So einen kurzen Arbeitsweg wünscht man sich: Thomas Klein (62) braucht von Karlshorst in sein Büro nach Oberschöneweide, rund vier Kilometer entfernt, nur knapp zehn Minuten mit dem Auto. Das Auto braucht er, denn der Chef einer Versicherungsagentur arbeitet auch im Außendienst. Doch seit Montagmittag ist alles anders – seitdem die Kreuzung unter der maroden Brücke An der Wuhlheide wegen Einsturzgefahr des Brösel-Bauwerks komplett gesperrt wurde. Jetzt sucht er mit Tausenden anderen Autofahrern tagtäglich nach Umfahrungen. Am Dienstag wurden aus zehn Minuten Arbeitsweg anderthalb Stunden.
Die Kreuzung unter der Brücke ist eine der wichtigsten im Berliner Osten. Hier kreuzt sich die Route von Köpenick in die Stadtmitte mit der, die vom Adlergestell über Oberschöneweide und Karlshorst bis nach Marzahn-Hellersdorf führt. Beim Bau der Brücke wurde zu DDR-Zeiten gepfuscht, schlechtes Material verarbeitet. Deshalb ist die Spannbeton-Brücke nur 36 Jahre nach Eröffnung schon wieder Schrott.
Wuhlheide: Nicht mal Umleitungen sind ausgeschildert
„Ich verstehe, dass die Brücke abgerissen werden muss“, sagt Thomas Klein. „Was mich und viele Leute, die hier wohnen und arbeiten, aber ärgert, ist, dass der Senat sich nicht richtig auf den Erstfall vorbereitet hat.“ Man hätte doch schon länger gewusst, dass das Bauwerk zerbröseln werde. „Jetzt ist die Kreuzung dicht und nicht mal die Umleitungen sind ausgeschildert“, erklärt der 62-Jährige, der auch Vorsitzender des Unternehmerkreises Schöneweide ist.
Die ungenügende Vorbereitung der Vollsperrung sei ein Fiasko, sagt Thomas Klein. „Wir haben hier viele Firmen, die Lkw-Verkehr haben.“ Doch die stecken jetzt im Stau fest. Eine besondere Situation braucht auch Sonderlösungen, erklärt er: Man könne doch temporär die Treskowbrücke, die am Ende der Edisonstraße über die Spree führt, wie zu DDR-Zeiten wieder für beide Fahrtrichtungen freigeben. „Dann könnte der Verkehr besser abfließen“, sagt der Unternehmer.
Am Mittwochmorgen ist Thomas Klein extra schon eine Stunde früher losgefahren, um 8 Uhr waren die Straßen noch nicht so überfüllt wie am Vortag. Doch auf Fotos, die er unterwegs schießt, sieht man überall: Stau, Stau, Stau. In der Rudolf-Rühl-Straße, die am Stadion an der Alten Försterei vorbeiführt, in der Straße An der Wuhlheide, in der Wilhelminenhofstraße. Immerhin war er diesmal schon nach 45 Minuten am Ziel.

Die Karlshorster hat die Vollsperrung der Brücke an der Wuhlheide besonders hart getroffen. Denn der Stadtteil sieht auf der Landkarte wie ein von Eisenbahnstrecken umrahmtes Dreieck aus. Nur wenige Straßen führen rein oder raus. Die Hauptachse, die von Dauerbaustellen geplagte Treskowallee, wurde durch die Komplettsperrung der Wuhlheide-Brücke zur Sackgasse. Nur zwei mögliche Umfahrungen bieten sich an. Eine Richtung Westen (Ehrlichstraße, Rummelsburger Landstraße, Minna-Todenhagen-Brücke – rund sieben Kilometer), die andere Richtung Osten (Waldowallee, Rudolf-Rühl-Straße oder Köpenicker Straße – rund neun Kilometer).

Was machen die Autofahrer? Sie fluten die kleinen Nebenstraßen – auf der Suche nach Abkürzungen, nach Wegen aus dem Chaos. Christiane Grün (82), die gerade mit dem Fahrrad auf dem Weg in den Supermarkt ist, wohnt im Prinzenviertel. Sehr ruhig sei es dort normalerweise, erzählt sie. „Seit Dienstag aber nicht mehr“, sagt die 82-Jährige. „Überall tauchen Autos auf.“

Auch direkt an der Brücke, auf der Seite von Oberschöneweide, regiert das Chaos. Irritierte, fehlgeleitete Autofahrer kommen aus der Roedernstraße und fahren trotz „Durchfahrt verboten“-Schild auf die Edisonstraße – entgegen der Fahrtrichtung, weil sie hier nicht über die Straßenbahnschienen kommen. Ein VW-Transporter fährt sogar rückwärts bis zur nächsten Kreuzung, um dann abzubiegen.
Autokräne drehen sich: An der Brücke laufen die Arbeiten
Das einzige, was direkt vor Sperrgittern noch funktioniert, sind die Fußgängerampeln – obwohl hier gar keine Straßenbahn, kein Auto mehr fährt. Eine ältere Dame aus der Nachbarschaft, die gerade vom Einkaufen kommt, bleibt bei Rot kurz stehen und geht dann doch weiter: „So ein Blödsinn!“, schimpft sie sich beim Gehen selbst aus. Sie sieht aber auch ein Vorteil im Chaos: „Ich lebe gesünder, ich laufe jetzt mehr“, sagt sie und lacht.

Auch Long Phan Thanh (25) hofft auf einen positiven Effekt. Er ist Chef des vietnamesischen Restaurants Meli direkt an der Brücke. „Vielleicht kommen jetzt mehr Gäste aus Schöneweide zu uns, die sonst zum Essen in die Stadt fahren würden“, sagt er. Und er setzt auf neugierige Brücken-Gucker. „Von unserer Terrasse hat man dann den besten Ausblick auf die kommenden Abriss-Arbeiten.“
Bis spätestens Freitag: Senat will Auftrag zum Abriss erteilen
An der Brücke laufen derweil die Arbeiten. Schwere Hammerschläge, Autokräne bewegen sich rund um die einsturzgefährdeten Brückenpfeiler. Nach und nach werden diese mit Beton-Systemsteinen (je 1,5 Tonnen schwer) ummantelt. Die Stützkonstruktionen sollen einen unkontrollierten Einsturz verhindern. Als Abschluss treibt ein Bauarbeiter Stützhölzer in die verbliebenen Leerräume.
Kollegen trennen am Mittwochmittag parallel zur Brücke mit Bauzäunen Fahrspuren ab: Hier soll in den nächsten Tagen der Verkehr von Köpenick nach Rummelsburg einspurig wieder rollen (KURIER berichtete exklusiv).

Wie die BZ berichtet, will der Senat den Auftrag für den Abriss der Brücke bis spätestens Freitag erteilen. Maximal zwei Wochen soll dann der Abriss der Bröselbrücke dauern. Die Pläne für den kommenden Umbau der Kreuzung machen den Anliegern aber Sorgen. Wie es heißt, soll keine neue Brücke gebaut werden, der Verkehr nur noch mit Ampeln geregelt werden. „Damit programmiert man das Chaos auch für die Zukunft“, sagt Thomas Klein vom Unternehmerkreis Schöneweide. „Durch die Brücke kam immer ordentlich Fluss in den Verkehr.“ Mit einer reinen Ampellösung aber werde die Kreuzung für Tausende Autos täglich zur Staufalle.