Der Streit um die geplante Straßenbahnstrecke zum Ostkreuz in Berlin lodert weiter. Kurz vor Ablauf der Frist für Einwendungen formiert sich im Berliner Stadtteil Friedrichshain massiver Protest. Schon vor Jahren gab es über 1000 Einwendungen, jetzt sind noch einmal fast 600 dazugekommen. Sie wurden der zuständigen Senatsverwaltung für Verkehr übergeben.
Die Anwohner befürchten, dass die Straßenbahn, die künftig durch ihre Wohngegend fahren soll, für erhebliche Lärmbelastungen und Erschütterungen sorgt. Besonders der hohe Geräuschpegel, den das Quietschen der Bahnen in den Kurven verursacht, bereitet vielen Sorgen.
Die gefürchtete Lärmkulisse ist durchaus vergleichbar mit Techno-Musik und bedroht die Lebensqualität der Menschen im Kiez, so die Meinung vieler Betroffener. Zu Recht, denn schon heute quietschen und heulen die Straßenbahnen in der engen Kurve Wühlisch-, Ecke Holteistraße auf ohrenbetäubende Weise.
Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) schauen zwar alle paar Monate nach dem Rechten und fuhrwerken an den Schienen herum, aber schon Tage später sind die ohrenbetäubenden Schleifgeräusche der Tram wieder da. Und das auch nachts, was für viele in dem Bezirk eine Zumutung ist.
Ein neues Lärmgutachten hat im Zusammenhang mit dem geplanten Streckenbau durch die Sonntagstraße gesundheitsgefährdende Lärmemissionen festgestellt. Die Prognose betrifft den gesamten Streckenabschnitt, der in Planung ist. Infolgedessen bekam die BVG vom Senat die Auflage, eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen, wodurch sich die Gesamtkosten noch einmal erhöhen. Bislang hatte sich die BVG um eine solche Prüfung herumgedrückt. Bei den Anwohnern löste das Unverständnis aus.
Tram-Streit am Ostkreuz schwelt schon seit Jahrzehnten
Schon seit 1993 ist die Anbindung des Ostkreuzes ans Straßenbahnnetz beschlossen, doch das Genehmigungsverfahren für die bloß 1,2 Kilometer lange Strecke konnte bis heute nicht abgeschlossen werden. Immer wieder gab es Verzögerungen und erneute Auslegungen der Planunterlagen, da Versäumnisse bekannt wurden und betroffene Anwohner Einwände erhoben.
Auch die Feuerwehr meldete Bedenken an, da im Brandfall in der engen Sonntagstraße neben der Tramstrecke zu wenig Platz vorhanden sei. Ausfahrbare und einfahrbare Strommasten sollen jetzt die Lösung sein, verspricht die BVG, was die Kosten weiter explodieren lässt. Außerdem müssten mehr Bäume gefällt werden, auch weil die Anzahl der Oberleitungsmasten steigt.
Besonders aber die Sorge um gesundheitliche Beeinträchtigungen und die Veränderung des städtebaulichen Charakters der Sonntagstraße treibt die Kritiker auf die Barrikaden. Auch wirtschaftliche Folgen wie der mögliche Wertverlust von Immobilien stehen im Raum.
Gutachten: Lärm der neuen Tram-Strecke ist gesundheitsgefährdend
Die Bürgerinitiative um Hans-Hermann David und weitere Anwohner bereitet sich inzwischen auf eine juristische Auseinandersetzung vor. Sollte der Senat den Planfeststellungsbeschluss erlassen und den Bau der Straßenbahnstrecke genehmigen, wollen sie klagen, sagten sie jetzt noch einmal in der „Berliner Zeitung“.
Unterstützung erhalten sie dabei auch von anderen Eigentümern, die um den Wert ihrer Immobilien bangen. Auch das städtische Bild dürfte durch den Bau leiden: Durch notwendige Baumfällungen und zusätzliche technische Installationen wie Schaltschränke an den Gehwegen wird das Erscheinungsbild der Straßen deutlich verändert, steht zu befürchten.

Auf der anderen Seite gibt es aber auch Befürworter des Projekts. Der Berliner Fahrgastverband Igeb sowie der SPD-Politiker Sven Heinemann fordern mehr Tempo bei der Umsetzung. Das tun sie gebetsmühlenartig schon seit Jahren, ohne neue Argumente vorzulegen – geschweige denn, sich auf neue Argumente einzulassen – und ohne Rücksicht auf die berechtigten Interessen der Anwohner des Viertels.
Über 1000 Leute, also quasi der gesamte Kiez, sind aus verständlichen und gut nachvollziehbaren Gründen gegen das Projekt, aber Heinemann und Igeb betonen immer wieder, dass die neue Tramverbindung vielen Tausenden Fahrgästen eine bequeme und schnellere Anbindung ans Ostkreuz ermöglichen würde, was natürlich Unsinn ist.
Schließlich gibt es schon eine Straßenbahnstrecke in der Boxhagener Straße nebenan. Die Stammstrecke hat auch einen Halt in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs Ostkreuz. Bisher müssen Fußgänger von dort gut 150 Meter zurücklegen, dann sind sie im Bahnhof. Natürlich könnte man die 150 Meter auch mit Tramgleisen belegen, was deutlich günstiger käme als der Bau einer umstrittenen und hoch komplizierten 1,2-Kilometer-Strecke.
Nebenbei: Mit dem banal-utilitaristischen Argument, die „paar Anwohner“ müssten sich nun endlich mal der Mehrheit der öffentlichen Nahverkehrsteilnehmer unterordnen, könnte man jedes Minderheitenrecht wegätzen. Es gibt kein Grundrecht auf eine neue Straßenbahnstrecke.
Ob also unter den genannten Umständen die Senatsverwaltung für Mobilität gemeinsam mit der BVG wie geplant wirklich erste Baumaßnahmen bis 2026 beginnen kann, ist zweifelhaft. Klar ist jedenfalls, dass das Straßenbahnprojekt in Friedrichshain noch für weiteren Zündstoff sorgen wird. Und auch andere Tramvorhaben, wie etwa die geplante Verlängerung der Linie M10 nach Neukölln, dürfte Konflikte mit Anwohnern auslösen. ■