Die Gewalt auf Berlins U-Bahnhöfen nimmt weiter zu. Auf manchen Linien fahren regelrechte Schlägertrupps mit, die auch an den Bahnhöfen dann für Randale sorgen. Die Polizei ist bisher machtlos.
Im Juli 2023 kam es innerhalb weniger Tage zu einer erschreckenden Serie brutaler Übergriffe: Ein Streit am Hermannplatz endete für einen 23-Jährigen schwer verletzt, als er von einem Messer attackiert wurde. Trotz seiner Verletzung schaffte er es gerade noch in eine U-Bahn und entkam den Angreifern.
Kurz darauf der nächste Vorfall: Am U-Bahnhof Neukölln wurde ein 36-Jähriger Opfer eines brutalen Angriffs. Zwei Männer schubsten ihn gegen einen einfahrenden Zug, doch der Mann hatte Glück im Unglück und erlitt nur leichte Verletzungen.
Noch am selben Tag kam es an der Turmstraße zu einem weiteren Vorfall, als zwei Unbekannte einen 27-Jährigen attackierten. Er bekam eine Glasflasche gegen den Kopf und wurde die Rolltreppe hinuntergeschubst. Die Folge: ein Schädel-Hirn-Trauma.
Diese gewalttätigen Übergriffe auf Berlins U-Bahnhöfen zeigen ein zunehmend düsteres Bild der Sicherheitslage im öffentlichen Nahverkehr der Hauptstadt. Eine Statistik der Polizei, die dem „Tagesspiegel“ (Bezahlschranke) vorliegt, unterstreicht diese Entwicklung: 2023 stieg demnach die Zahl der Gewaltdelikte auf den Bahnhöfen auf 2716 an, das sind etwa zwölf Prozent mehr als im Vorjahr.
Das Kottbusser Tor in Kreuzberg ist Berlins schlimmster U-Bahnhof
Körperverletzung, Raub und Bedrohung gehören zu den häufigsten Delikten. Im Durchschnitt verzeichnet Berlin damit täglich etwa sieben gewalttätige Vorfälle allein in seinem U-Bahn-Netz. Besonders kritisch ist die Lage an einigen bereits berüchtigten Stationen: Das Kottbusser Tor in Kreuzberg führt die traurige Liste mit 190 Fällen im Jahr 2023 an, gefolgt vom Alexanderplatz mit 138 Taten und dem Hermannplatz mit 103 registrierten Gewalttaten.
Auch die Gesamtzahl der Straftaten in Berlins U-Bahn-Netz stieg an und umfasst nicht nur Gewaltdelikte, sondern auch Taschendiebstähle, Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz, Sachbeschädigungen und das Fahren ohne gültiges Ticket.
Die Top 5 der Kriminalitätshotspots werden hier ebenfalls von denselben Bahnhöfen angeführt: Kottbusser Tor, Alexanderplatz, Hermannplatz, Zoologischer Garten und Leopoldplatz.
Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) führen die hohe Kriminalität auf die starke Frequentierung dieser Stationen zurück, die als zentrale Verkehrsknotenpunkte täglich von Tausenden Fahrgästen genutzt werden. Konkrete Fahrgastzahlen für die einzelnen Bahnhöfe veröffentlicht die BVG allerdings nicht, was eine detaillierte Analyse erschwert.
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) sieht in den besonderen Strukturen der Brennpunktbahnhöfe einen entscheidenden Faktor für die hohe Kriminalitätsbelastung. Benjamin Jendro, Sprecher der GdP Berlin, erklärt, dass Bahnhöfe wie das Kottbusser Tor und der Hermannplatz nicht nur verkehrstechnische, sondern auch soziale Brennpunkte sind. Hier treffen Drogenszene, Party- und Einkaufswütige sowie Touristen aufeinander, was zu einem hohen Konfliktpotenzial führt.

Der Alexanderplatz sei zudem als Touristenziel und Shopping-Hotspot überfüllt, während die Umgebung des Bahnhofs Zoo auch eine Obdachlosenszene beherberge. Für Jendro ist es deshalb nicht verwunderlich, dass es in diesen Gebieten regelmäßig zu Konflikten kommt.
Überwachungsgkameras und Notrufsäulen auf U-Bahnhöfen
Die BVG hat auf die wachsende Kriminalität mit einem Ausbau der Sicherheitsvorkehrungen reagiert. Laut Unternehmensangaben sind täglich rund 250 Sicherheitskräfte und Mitarbeitende von Sicherheitsdienstleistern in Bahnhöfen und Fahrzeugen im Einsatz.
Besonders kritische Bahnhöfe sind rund um die Uhr besetzt, und Endbahnhöfe werden zwischen 20 Uhr abends und 5 Uhr morgens verstärkt überwacht, so der „Tagesspiegel“. Darüber hinaus sind alle Bahnhöfe mit Notrufstationen und einem dichten Netz von Überwachungskameras ausgestattet – insgesamt rund 6700 Kameras an Bahnhöfen sowie zahlreiche weitere in den U-Bahn-Wagen.
Allerdings erlaubt das Datenschutzgesetz in Berlin eine Speicherung der Aufnahmen nur für 48 Stunden, was laut Jendro die Arbeit der Polizei stark einschränkt. Oft würden Straftaten erst Tage später angezeigt, sodass das Material nicht mehr verfügbar sei.
Jendro fordert darum eine Verlängerung der Speicherfrist und spricht sich für den Einsatz moderner Technik zur Kriminalitätsprävention aus. Pilotprojekte zur Identifizierung verdächtiger Verhaltensmuster mit Künstlicher Intelligenz könnten helfen, Gewalttaten frühzeitig zu erkennen und Kriminelle abzuschrecken. In anderen Ländern gäbe es bereits positive Erfahrungen mit KI-Technologien zur Überwachung öffentlicher Verkehrssysteme.
Zugangsschranken oder Drehkreuze auf U-Bahnhöfen
Auch Einlasskontrollen nach Vorbild Londons, bei denen Zugangsschranken oder Drehkreuze für mehr Sicherheit sorgen sollen, hält die Polizeigewerkschaft für prüfenswert. Diese Maßnahmen könnten den Zugang zu den Bahnhöfen besser kontrollieren und das Sicherheitsgefühl der Fahrgäste stärken.

Trotz der angespannten Sicherheitslage gibt die BVG Entwarnung: Die Zahl der Fahrten ist im vergangenen Jahr ebenfalls um rund elf Prozent gestiegen, und bezogen auf die hohe Fahrgastzahl sei die Kriminalitätsrate pro Kopf sogar leicht gesunken.
Das ist natürlich Zahlen-Hokuspokus. Denn die Gewerkschaft der Polizei sieht nach wie vor dringenden Handlungsbedarf. Vor allem die zunehmenden Gewaltdelikte seien ein alarmierendes Zeichen. „In der U-Bahn und den Bahnhöfen treffen täglich viele Menschen aufeinander, das Konfliktpotenzial ist automatisch hoch und dann wird heute leider vielfach eher zugeschlagen als miteinander geredet“, sagt Jendro.
Zusätzlich zur Aufstockung der Sicherheitskräfte appelliert Jendro an die Politik, längerfristige und umfassende Maßnahmen gegen die Gewalt auf Berlins U-Bahnhöfen zu ergreifen.
Kurzfristige Lösungen wie mehr Polizeiwachen sieht die GdP kritisch. Neue Wachen wie am Kottbusser Tor und Alexanderplatz hätten bisher kaum zur Eindämmung der Gewalt beigetragen, da die Beamten dort meist in der Wache selbst und nicht auf Streife seien.
Die Sicherheit an Berlins U-Bahnhöfen wird zunehmend zur Herausforderung – und nach Ansicht der Gewerkschaft ist ein Umdenken erforderlich, um die Eskalation zu stoppen und die öffentliche Sicherheit endlich nachhaltig zu stärken. ■