Große Erfinder des Ostens

Von Malimo bis zur Atombombe: Vier DDR-Genies, die jeder kennen sollte

Manfred Baron von Ardenne, Dieter Mosemann oder Horst Bendix: Diese großen Köpfe aus der DDR haben Spuren hinterlassen.

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Im Jahre 1979: Prof. Dr. Manfred von Ardenne in seinem Institut am Weißen Hirsch in Dresden.
Im Jahre 1979: Prof. Dr. Manfred von Ardenne in seinem Institut am Weißen Hirsch in Dresden.Ulrich Hässler/imago

Das größte Windradrad der Welt, das 2025 in der brandenburgischen Schipkau hochgezogen werden soll, macht dieser Tage Schlagzeilen. Auch weil hinter der Innovation ein DDR-Genie steht. Der Leipziger Horst Bendix, der schon am Fernsehturm am Alexanderplatz mitbaute. Er ist einer der DDR-Erfinder, die Spuren hinterlassen haben. Wir stellen vier bedeutende vor.

Es ist Neuland in der Windenergie: Der Bau einer mehr als 350 Meter hohen Windkraftanlage. Das Projekt in der Lausitz nimmt 2025 konkrete Gestalt an. Im ersten Quartal sollen nach Angaben des Dresdner Unternehmens Gicon die Fundamente des bislang einmaligen Höhenwindrades gegossen werden, das fast so hoch wird wie der Berliner Fernsehturm. Mit einer Inbetriebnahme der Forschungsanlage im Windpark Klettwitz (Landkreis Oberspreewald-Lausitz) wird im Herbst 2025 gerechnet.

Das Unternehmen spricht vom weltweit höchsten Windrad. Die Anlage auf einem ehemaligen Tagebau-Gelände hat eine Nabenhöhe von 300 Metern und erreicht samt Rotoren eine Höhe von gut 364 Metern. Bisherige Windenergieanlagen sind etwa halb so groß. Kosten: rund 25 Millionen Euro. Entwickelt wurde die Idee von einem legendären DDR-Ingenieur – Horst Bendix aus Leipzig. Einem Mann, der schon am Bau des Fernsehturms mitarbeitete.

Horst Bendix: Der Mann mit dem Riesenwindrad

60 Wirtschaftspatente hat der Leipziger, der am 31. Mai 1930 geboren wurden, angemeldet. Es war Maschinenbauingenieur im DDR-Kombinat Takraf (Tagebau-Ausrüstungen, Krane und Förderanlagen), nach der Wende Technik- und Forschungschef des Leipziger Schwermaschinenwerks Kirow, heute Weltmarktführer für Eisenbahnkrane und Schlackentransporter.

Ein Genie und Erfinder aus der DDR: Horst Bendix aus Leipzig entwickelte die Idee für die Höhenwindräder.
Ein Genie und Erfinder aus der DDR: Horst Bendix aus Leipzig entwickelte die Idee für die Höhenwindräder.Sprind GmbH

Bendix konstruierte in der DDR riesige Braunkohlebagger, aber auch Kräne für den Aufbau und eine Kugeldrehverbindung für die bewegliche Kuppel des Berliner Fernsehturms. Der Leipziger versuchte auch, beschwerliche Dinge des DDR-Alltags zu verbessern. Als Horst Bendix damals keinen schützenden Unterstand für seinen Wartburg fand, entwickelte er eine zusammenfaltbare Garage.

Als Horst Bendix Rentner wurde, wollte er nur eines nicht – den Ruhestand. Der Tüftler und Visionär hörte als Rentner nicht auf zu forschen, nicht mal zwei Schlaganfälle konnten ihn lange ausbremsen. 2016, mit 86 Jahren, meldete Horst Bendix das Patent für die Höhenwindräder an. Eine Idee, die jetzt, gut neun Jahre später, Realität wird. Selbst erleben wird Bendix das aber nicht mehr. Er starb am 19. Juni 2023 mit 93 Jahren.

Dieter Mosemann: Ihm gehörte das letzte Patent der DDR

Er war einer der umtriebigsten Erfinder der DDR, leitete die Entwicklungsabteilung im VEB Kühlautomat in Berlin-Johannisthal. Auf sein Konto gehen 155 Erfindungen, die zum Patent angemeldet wurden – 84 davon nach der Wende. Aber ein DDR-Patentantrag (DD 298536) ging als ein ganz besonderer in die Geschichte ein. Als letztes Patent, das in der DDR angemeldet wurde. Am 2. Oktober 1990, wenige Stunden, bevor die DDR von der BRD geschluckt wurde.

Hinter DD 298536 versteckte sich ein kleines Bauteil aus Edelstahl, mit acht Löchern. Mosemann, der Experte für Kältemaschinen und dafür nötige Schraubenverdichter, konnte mit dem Ding unterschiedliche Temperaturen effizient erzeugen. Am 31. Oktober 2010, nach einem Ablauf von 20 Jahren, erlosch das letzte Patent der DDR.

Die von Mosemann entwickelte Kältetechnik war und ist universell einsetzbar. Zu DDR-Zeiten wurden die Fischfangflotte mit Gefriertechnik aus dem VEB Kühlautomat ausgestattet. Die Rote Armee der Sowjetunion kühlte damals mit den Maschinen aus dem VEB Kühlautomat ihre Atombunker, damit sie für Infrarot-Radar unsichtbar blieben.

1993 kaufte der GEA-Konzern die inzwischen in Kühlautomat Berlin GmbH umbenannte Firma. Von Mosemann nach der Wende entwickelte Kältemaschinen kühlen heute Lager von Supermarktketten oder die weltgrößte Skihalle in Dubai.

Heinrich Mauersberger: Der Malimo-Mann

Den Begriff Malimo kannte in der DDR jedes Kind. Malimo stand für ein in der DDR entwickeltes Textil-Herstellungsverfahren. Doch nur die wenigsten wussten, dass im Kunstwort Malimo auch der Name des Erfinders versteckt war. Heinrich Mauersberger hieß der Mann, der das Verfahren in den 50er Jahren erfand.

Erst hieß das von ihm entwickelte Produkt „Kettenstichware“, doch um es im Ausland zu vermarkten, musste ein neuer Name her. Malimo ist die Abkürzung für Mauersberger,  Limbach-Oberfrohna (Wohnort des Erfinders) und das Gewebe Molton.

Heinrich Mauersberger, 1909 in Neukirchen bei Crimmitschau geboren, war gelernter Färber und studierter Färbeitechniker. Der Anfang von Malimo erinnert ein wenig an die Anfänge der PC-Pioniere Gates & Jobs in den USA. Hier wie da spielten Garagen eine große Rolle. Von 1946 bis 1949 entwickelte Mauersberger in seiner Garage das Nähwirkverfahren Malimo.

Die Serienfertigung von Maschinen begann 1957 in Karl-Marx-Stadt. Malimo-Erzeugnisse gab es später überall in der DDR. Typische Produkte waren Handtücher und Gardinen. Maschinen wurden auch nach Norwegen, Schweden, Island, Dänemark, Frankreich, in die Schweiz, nach Japan, Österreich, Australien oder in die USA exportiert. Erst wurde Mauersberger mit Auszeichnungen überhäuft, da er aber nicht in die SED eintreten wollte, fiel er in Ungnade und verlor später seinen Job als Malimo-Institutsleiter, auch wurden ihm die Lizenzeinnahmen für die Technik nicht ausgezahlt.

Manfred Baron von Ardenne: Der Universalgelehrte

„Sechzig Jahre für Forschung und Fortschritt“ war der Titel seiner 1987 im DDR-Verlag der Nation erschienenen Autobiografie. Wikipedia vermerkt rund 600 Erfindungen und Patente in der Funk- und Fernsehtechnik, Elektronenmikroskopie, Kern-, Plasma- und Medizintechnik, die auf das Konto Ardennes geben.

Manfred von Ardenne wird 1907 in Hamburg geboren, mit 16 Jahren meldet er sein erstes Patent an, er konstruiert Fotoapparate und eine elektrische Alarmanlage, mit 18 erscheint sein erstes Buch. Er ist in den 20er Jahren entscheidend an der Entwicklung der ersten Fernseher und der dafür nötigen Röhrentechnik beteiligt.

Mit 21 (!) Jahren gründet Manfred von Ardenne in Berlin-Lichterfelde das Forschungslaboratorium für Elektronenphysik. 1930 gelingt ihm die weltweit erste Fernsehübertragung mit einer Kathodenstrahlröhre. Ein Jahr darauf, auf der Internationalen Funkausstellung in Berlin, zeigt er diese Technik erstmals dem Publikum, die New York Times berichtet auf Seite 1 über das elektronische Fernsehen.

Anfang der 30er Jahre gelingt Manfred Baron von Ardenne die weltweite erste elektronische Fernsehübertragung.
Anfang der 30er Jahre gelingt Manfred Baron von Ardenne die weltweite erste elektronische Fernsehübertragung.Teutopress/ Imago

Während des Zweiten Weltkriegs wendet sich Baron von Ardenne der experimentellen Kernphysik zu, forscht zu Isotopentrennung und Kernspaltung. Wissen, dass die Sowjetunion nach Kriegsende nutzt. Ardenne wird zwangsverpflichtet und baut in Sochumi am Schwarzen Meer ein neues Institut in der Sowjetunion auf. Mit anderen deutschen Forschern arbeitet er an der Entwicklung der sowjetischen Atombombe, entwickelt ein Elektronenmikroskop, arbeitet an Teilchenbeschleunigern und in kosmischen Raketen mit Ionenantrieb.

Ausgezeichnet mit dem Stalinpreis 2. Klasse kehrt er 1955 in die DDR zurück – und genießt von dem Zeitpunkt so etwas wie Narrenfreiheit. Er baut das mit 500 Mitarbeitern größte private Forschungsinstitut des gesamten Ostblocks auf. In einer schlossähnlichen Anlage mit zwei Sternwarten am Weißen Hirsch. Forschungsbereiche: Elektronen- und Ionenstrahlung, Vakuumbedampfung, Elektronenmikroskopie, Biomedizintechnik. Hier wurde die eine Herz-Lungen-Maschine für den DDR-Markt sowie die Sauerstoff-Mehrschritt-Therapie bei Krebs.

Von 1963 bis 1990 war von Ardenne Volkskammerabgeordneter (für den Kulturbund). Nach der Wende wurde ein Teil seines Institus zum Fraunhofer-Institut für Elektronenstrahl- und Plasmatechnik. 1997 starb Manfred Baron von Ardenne im Alter von 90 Jahren. ■