Sportliche Zeitreise

37 Olympiasiege! 1988 feierte die DDR ihren letzten großen Auftritt

Bei den Spielen in Seoul war nur der große Bruder Sowjetunion eine Nummer zu groß für die Sportler mit Hammer, Zirkel und Ehrenkranz auf der Brust.

Teilen
Erich Honecker bei der Olympia-Feier der DDR 1988.
Erich Honecker bei der Olympia-Feier der DDR 1988.Eberhard Thonfeld/Imago

Mit Glanz und Gloria verabschiedete sich der DDR-Sport 1988 mit 102 Medaillen, darunter 37 Siege, von der olympischen Bühne. Das war genau eine Goldmedaille sowie insgesamt acht Plaketten mehr als die USA. Als unerreichte Top-Nation thronte damals die Sowjetunion mit 55 Gold-, 31 Silber und 46 Bronze-Medaillen, insgesamt 132 Medaillen über allen. Zum Vergleich: Deutschland holte vor wenigen Wochen in Paris 33 Medaillen, davon zwölf goldene. Die USA gewannen die Medaillenwertung mit 40 Siegen und insgesamt 126 Plaketten.

Die Abschlussfeier der Spiele 1988 fand auf den Tag genau, 40 Jahre nach der Gründung des Demokratischen Sportausschusses (später DTSB) am 1. Oktober 1948 statt. Manfred von Brauchitsch, damals in der DDR Präsident der Gesellschaft zur Förderung des olympischen Gedanken, schrieb in seinem Geleitwort im Standardwerk „Spiele der XXIV. Olympiade“: „Alle, die an jenem denkwürdigen Gründungstag dabei waren, erklärten sich bereit, mit ihren Aktivitäten die vom Faschismus hinterlassenen geistigen und materiellen Trümmer zu beseitigen sowie als Sportler mitzuhelfen, ein neues und friedliebendes Deutschland zu schaffen. Aus der Bereitschaft erwuchsen Taten und aus den Taten schließlich Erfolge – so auch diejenigen der Olympiakämpfer der Deutschen Demokratischen Republik von Melbourne bis Soul.“ Der KURIER schaut auf die Erfolge der DDR beim letzten großen Olympia-Auftritt 1988 zurück.

Kristin Otto: Sechs Starts, sechs Siege!

Bei den Schwimm-Wettbewerben stehen die 100 m Freistil der Frauen traditionell als erste Disziplin auf dem Programm. Natürlich auch in Seoul 1988. „Gelingt dort ein Sieg, stimuliert das die gesamte Mannschaft“, sagte damals die heutige ZDF-Sportmoderatorin Kristin Otto (58). Im Finale dieser 100 m kontrollierte die damals 22-jährige Leipzigerin das Feld und schlug nach 54,93 Sekunden an. Lediglich Otto selbst bei ihrem Weltrekord von 54,73 im Jahre 1986 und die Potsdamerin Babara Wanja-Krause beim Olympiasieg 1980 (54:79) schwammen noch schneller.

Zum wahren Goldfisch stieg Kristin Otto in Seoul mit sechs Starts und sechs Siegen auf. Das hatte bis dato olympischen Einmaligkeitswert. Die einstige sowjetische Turnerin Larissa Latynina (89) und der finnische Wunderläufer Pavo Nurmi brachten es zwar jeweils auf neun Goldmedaillen. Beide benötigten dazu allerdings mehrere Olympische Spiele. Ein Alleinstellungs-Merkmal kann Kristin Otto für sich als studierte Journalistin in Anspruch nehmen, indem sie zwischen 2000 und 2014 gemeinsam mit dem leider verstorbenen Heinz-Florian Oertel und einem Autoren-Kollektiv sieben Olympia-Bücher herausgebracht hat. Die DDR-Schwimmer zogen damals elf Gold, acht Silber und neun Bronzemedaillen aus dem olympischen Wasser. Das war fast ein Drittel aller möglichen Medaillen. Davon können unsere deutschen Schwimmer heute nur träumen.

Heike Drechsler (l.) stürmt 1988 im olympischen 100-m-Finale hinter Florence Griffith-Joyner ins Ziel.
Heike Drechsler (l.) stürmt 1988 im olympischen 100-m-Finale hinter Florence Griffith-Joyner ins Ziel.Sven Simon/Imago

In der Leichtathletik gewann die DDR die meisten Medaillen

In der Leichtathletik gewannen die Athleten der DDR 27 Medaillen. Mehr als die USA und die Sowjetunion (je 26). Allerdings stieß die Gold-Ausbeute den Sportbossen auf. Nur sechs Siege gab es, dafür elf Mal Silber und zehn Mal Bronze.

Star der Spiele war Florence Griffith-Joyner. „Als Gast von einem anderen Stern“ lief die 100-m-Sprinterin sich in die Geschichtsbücher. Die Afroamerikanerin flog in 10,54 Sekunden über die olympische Sprintstrecke. Schon vor den Spielen stellte „FloJo“ in Indianapolis in 10,49 ihren schier unerreichbaren Weltrekord auf. Der inzwischen verstorbene deutsche Leichtathletik-Trainer Bert Sumser kommentierte damals in der Süddeutschen Zeitung: „Aktionärin am Börsenmarkt des manipulierten Hochleistungssports“. Doping konnte der Olympiasiegerin allerdings nie nachgewiesen werden. Griffith-Joyner starb aber bereits mit 36 Jahren.

Die Jenenserin Heike Drechsler sprintete in Seoul mit 10,85 s als Dritte ins Ziel und vervollständigte ihren ersten olympischen Auftritt mit Bronze über 200 Meter und der Silbermedaille im Weitsprung als sie bei 7,22 landete. Im August in Paris hätte diese Weite zum Olympiasieg gereicht. Heike Drechsler vergoldete ihre olympische Karriere im vereinten Deutschland mit zwei Weitsprung-Goldmedaillen 1992 und 2000.

Sigrun Wodars (l.) reißt im Finale der 800 Meter die Arme hoch, Christine Wachtel wird Zweite.
Sigrun Wodars (l.) reißt im Finale der 800 Meter die Arme hoch, Christine Wachtel wird Zweite.Thomas Zimmermann/Imago

Doppelsiege feierte die DDR über 800 m und im Zehnkampf

Die 800 Meter der Frauen befanden sich 1988 fest in Neubrandenburger Hand. Die beiden Frauen Sigrun Wodars (58) und Christine Wachtel (59) wussten, ein Sieg ist nur sicher, wenn beide gemeinsam taktisch gut ohne Egoismus laufen. Am Ende gewann Sigrun Wodars in 1:56:10 knapp vor Christine Wachtel. Die beiden Frauen leben in Neunbrandenburg und sind beide noch berufstätig.

Torsten Voss (l.) und Christian Schenk bestimmten den Zehnkampf 1988, holten Silber und Gold.
Torsten Voss (l.) und Christian Schenk bestimmten den Zehnkampf 1988, holten Silber und Gold.Werek/Imago

Das Zepter in der Königsdisziplin schwangen die beiden DDR- Zehnkämpfer Christian Schenk aus Rostock und   der Schweriner Torsten Voss. Am Ende standen gleich zwei Zehnkämpfer aus Mecklenburg auf dem Siegerpodest. Gold gab es für den 2,01-Meter-Riesen Schenk und Silber für Voss. Schenk lebt in Rostock und ist Vorsitzender einer Gesellschaft für Inklusion, während Torsten Voss als Athletik-Trainer in Nordrhein-Westfalen arbeitet. Bei Voss trainierte einige Zeit auch Berlins Eisbären-Starstürmer Marcel Noebels.

Wie vielseitig Topathleten sein können, demonstrierte der Berliner Kugelstoß-Olympiasieger (22,47 m Oly-Rekord) von Seoul Ulf Timmermann. Nach der Wende arbeitet Timmermann als Steuerberater und führte eine Zeit lang sogar die Ostthüringer Backwaren GmbH als Geschäftsführer. Zum Diskusgoldhelden krönte sich in Südkorea der Schweriner Jürgen Schult mit 68,82 m. Schon 1986 haute Schult in Neubrandenburg eine Wahnsinnsweite von 74,08 m heraus. Der Weltrekord hielt 38 Jahre, bis der Litauer Mykolas Alekna in diesem Frühjahr die klassische Scheibe in Oklahoma (USA) auf 74,35 m schleuderte. Jürgen Schult(63) ist darüber keineswegs sauer: „Es musste einmal einer weiter werfen. Es freut mich, dass es Mykolas geglückt ist. Ich habe früher oft mit seinem Vater Virgilijus um die Siege gekämpft.“ Schult wiederum versucht in der Polizeisportschule Kienbaum als Trainer, endlich wieder einmal deutsche Athleten im Diskuswerfen auf die Medaillenränge zu hieven.

Olympia 1988: Boxer Henry Maske bei der Siegerehrung.
Olympia 1988: Boxer Henry Maske bei der Siegerehrung.Camera 4/Imago

Für Henry Maske hat die Goldmedaille von 1988 eine ganz besonderen Wert

Der eher coole Henry Maske schwärmte mir gegenüber im vergangenem Januar an seinem 60. Geburtstag: „Bei all meinen Siegen als Profi besitzt die olympische Goldmedaille von Seoul für mich einen besonderen Wert. Sie behält in meinem Herzen für immer einen Ehren-Platz.“ Schon kurz vor Maske riss der Schweriner Leichtgewichtler Andreas Zülow nach dem Kampf gegen den Schweden George Cramne im engen Chamshill Students Gymnasium die Arme hoch. Der damals 23-Jährige Schweriner beendete gerade einen goldenen Fight. Am Boxring von Seoul saß ich neben dem leider schon verstorbenen Westberliner-Kollegen Holger Schück.

Der eingefleischte Boxreporter freute sich über die Bronzemedaille von Reiner Gies aus Kaiserslautern, kam aber aus dem Staunen nicht heraus: „So stark hätte ich eure DDR-Boxer nicht erwartet.“ Neben den Olympiasiegern reiste Fliegengewichtler Andreas Tews mit einer Silbermedaille zurück nach Schwerin. Vier Jahre später saß Schück im spanischen Granollers wieder neben mir. Als Andreas Tews und Torsten Mey als Olympiasieger gekürt wurden, hatten wir uns mit Holger inzwischen auf ein vertrauliches du geeinigt und Schück schrieb für den SID über Tews und Mey von unseren Boxern.

Aber noch einmal zurück nach Seoul. Neben unseren drei Medaillengewinnern bestachen damals auch Weltergewichtler Siegfried Mehnert aus Halle und der Schweriner Torsten Schmitz im Halbmittelgewicht mit einwandfreien Ringauftritten. Doch beide Boxer mussten gegen Südkoreaner antreten. Nur mit K.o.-Siegen wären sie wohl eine Runde weitergekommen. So weit zum olympischen Boxen in Südkorea.

Joachim Kunz stemmt sich bei Olympia 1988 zur Goldmedaille.
Joachim Kunz stemmt sich bei Olympia 1988 zur Goldmedaille.Camera 4/Imago

Im Gewichtheben stemmten sich DDR-Asse zu den Medaillen

Ein paar Kilometer entfernt ließen die Gewichtheber die Muskeln spielen. Der Chemnitzer Leichtgewichtler Joachim Kunz keuchte zwar, als er die 190 Kilogramm in die Hallenluft stieß. Aber Achim wankte nicht und durfte sich später die Goldmedaille umhängen lassen. Eine Gewichtsklasse höher stemmte Joachims Klubkamerad Ingo Steinhöfel vom damaligen SC Karl-Marx-Stadt 360 Kilo im Reißen und Stoßen zur Hochstrecke und durfte sich über Silber freuen. Steinhöfel nutzte die Kraft als Heber und arbeitet heute als Fitness-Trainer in Sachsen. Joachim Kunz ließ zunächst als Unternehmer bei der Mico GmbH Suppen anrühren und kümmert sich jetzt im Athletik-Klub Reichenbrand darum, dass wirtschaftlich alles läuft. Ronny Weller aus der Oderstadt Frankfurt stemmte sich zur Bronzemedaille im zweiten Schwergewicht. Weller veredelte vier Jahre später trotz eines schweren Autounfalls im Jahre 1989 Bronze zu Gold.

Unvergessen ist das olympische Straßenradrennen. Den Auftritt des Geraers Olaf Ludwig könnte ein talentierter Drehbuchautor geschrieben haben. Olaf Ludwig kam sich beim Punktefahren auf der Bahn irgendwie verloren vor. Er fand einfach nicht den richtigen Tritt. Platz 14 lautete das enttäuschende Resultat. Nur 72 Stunden später war der Thüringer nicht wiederzuerkennen. Masseur „Eule“ Ruthenberg hatte das vorausgesagt. In der letzten Runde hatte sich eine elfköpfige Spitzengruppe gebildet. Unter ihnen UdSSR-Sprint-Ass Dshamolidin Abdushaparow, den Olaf bestens von der Friedensfahrt kannte.

Im Straßenrennen bei Olympia 1988 feiern Christian Henn, Olaf Ludwig (beide DDR) und Bernd Gröne (BRD) das deutsche Podium bei der Siegerehrung.
Im Straßenrennen bei Olympia 1988 feiern Christian Henn, Olaf Ludwig (beide DDR) und Bernd Gröne (BRD) das deutsche Podium bei der Siegerehrung.Sven Simon

Olaf Ludwig und Bernd Gröne - Ost und West gemeinsam aufs Podium

Der damals 28-Jährige Ludwig setzte aus einer Verfolgergruppe in der letzten Runde den Ausreißern nach und startete gleich mit dem Recklinghausener Bernd Gröne durch. Im Schlussspurt begnügte sich Gröne mit Silber, denn dem Power-Spurt Ludwigs war er nicht gewachsen. Auf dem Siegerpodest standen dann mit Ludwig, Gröne und Christian Henn drei Deutsche. Einmalig in der olympischen Straßenradsport-Geschichte. Goldradler Ludwig ist ein bisschen traurig, wenn er heute das olympische Straßenrennen sieht: „Paris bot eine traumhafte Kulisse, aber das Peloton mit zwei Fahrern pro Nation so zu verkleinern, wird dem Radsport nicht gerecht.“

Für ein sportliches Unikat sorgte in Seoul übrigens die Dresdnerin Christa Luding. Bei den Winterspielen in Calgary war die schnelle Christa zu Gold gesprintet. In Seoul legte sie im Radsprint noch eine Silbermedaille dazu. Super-Christa war weltweit die erste Athletin, die im Sommer und Winter für Medaillenglanz sorgte.

Olympia 1988: Der Kajak-Vierer gewann in der Besetzung mit Birgit Fischer (v.r.), Ramona Portwich, Anke Nothnagel und Heike Singer Gold.
Olympia 1988: Der Kajak-Vierer gewann in der Besetzung mit Birgit Fischer (v.r.), Ramona Portwich, Anke Nothnagel und Heike Singer Gold.Camera 4/Imago

Birgit Fischer schraubte in Seoul ihre Gold-Bilanz auf drei von später insgesamt acht Siege

Die Brandenburgerin Birgit Fischer (62) wiederum, die damals Schmidt hieß, sorgte am wolkentrüben September-Tag auf dem Han River für reichlich Glanz. Sie legte nach einem Olympiasieg in Moskau in Seoul zwei weitere nach. Am Ende ihrer Karriere liegen insgesamt acht Goldmedaillen in der bestaunenswerten Medaillen-Schatulle.

Aus dem Han-Wasser wuschen auch die DDR-Ruderer achtmal Gold. Im Ruder-Einer glänzte der Hallenser Thomas Lange (60). Der Einer-Ruderer ließ in Barcelona eine zweite Goldmedaille. diesmal für Deutschland, folgen. Heute lebt Dr. Lange als Chirurg in Ratzeburg und steht dem Ruderclub als Vorsitzender vor. Zu erwähnen sei auch noch Olaf Heukrodt (62). Der heutige Trainer in Leipzig gewann über 500 m im Kajak und sagte am 1. Oktober als DDR-Fahnenträger bei der Abschlussfeier in Seoul praktisch tschüss DDR, denn schon ein Jahr später fiel die Mauer und danach startet bei Olympia wieder Deutschland. ■