Das Ritual ist geblieben. Ich versuche bis heute am Sonnabend, nichts von den Fußballergebnissen des Tages mitzubekommen, um dann die Zusammenschnitte im Vorabendprogramm zu sehen. Heute in der „ARD-Sportschau“, damals bei „Sport aktuell“ im DDR-Fernsehen. Es war einer der Momente, wo bei mir am Fernseher die Programmtaste 4 (DDR 1) den Vorrang vor Taste 1 (ARD) hatte.
Beides gleichzeitig ging damals nicht. „Sport aktuell“ lief auf DDR 1 ab 17.40 Uhr, die „Sportschau“ folgte um 18 Uhr. Und die Oberliga-Spiele vom 1. FC Magdeburg, von 1. FC Union oder Dynamo Dresden waren mir damals viel wichtiger als irgendwelches Gekicke aus Uerdingen oder Kaiserslautern. Nun, die letzten zwei, drei Spiele der „Sportschau“ habe ich dann noch im Westfernsehen geschaut, die Sendung in der ARD ging länger.
Die Reporterschule von Heinz Florian Oertel
„Sport aktuell“ aus dem Studio in Berlin-Adlershof lief seit dem Januar 1965 im DDR-Fernsehen, erst sonntags im Vorabendprogramm, dazu kamen zwei Spätsendungen am Wochenende. Ein Jahr später aber wanderte die Sendung ins Vorabendprogramm vom Sonnabend, um der Sportschau im Westen etwas entgegenzusetzen.
Aber anders als in der ARD wurde bei „Sport aktuell“ nicht nur Fußball gezeigt. So findet sich in der Programmankündigung für Sonnabend, den 16. April 1988, neben Spielen der DDR-Oberliga auch Gewichtheben. Radrennen, Leichtathletik, Turnen – auch all das wurde hier gezeigt. Fußball nahm aber trotzdem die meiste Sendezeit ein. „Sport aktuell“ überdauerte das Ende der DDR, aber nicht das Ende des DFF (Deutscher Fernsehfunk), wie der Sender seit März 1990 hieß. Die einzige regelmäßige Sportsendung des DDR-Fernsehens wurde ebenfalls Ende 1991 abgewickelt.
Obwohl die letzte Sendung von „Sport aktuell“ schon fast 33 Jahre zurückliegt, sind mir die Namen und Stimmen der Moderatoren und Reporter bis heute im Kopf geblieben. Der nasale Tonfall von Dirk Thiele, der atemlose Schnellsprecher Gottfried Weise. Reporter, die so gut ausgebildet waren, dass man sie auch später immer wieder hörte. Nicht unbedingt bei ARD und ZDF. Aber die Sportsender Eurosport und DSF, die damals groß wurden, brauchten gute Leute. Gute ausgebildete Leute, die alle durch die Schule von Reporterlegende Heinz Florian Oertel gegangen waren.
Heinz Florian Oertel: die Stimme des DDR-Sports. Bis heute unvergessen sind seine Emotionsausbrüche wie 1980 beim zweiten Marathon-Olympiasieg von Waldemar Cierpinski in Moskau. „Liebe junge Väter oder angehende, haben Sie Mut! Nennen Sie Ihre Neuankömmlinge des heutigen Tages ruhig Waldemar! Waldemar ist da!“ Oertel berichtete von 17 Olympischen Spielen und mehr als 100 Europa- und Weltmeisterschaften, bereits 1952 gehörte er bei den Olympischen Spielen in Helsinki zur Reportergilde.
1927 kam Heinz Florian Oertel in Cottbus zur Welt. „Vier Personen in Stube und Küche. Das war nicht einfach“, erzählte er später. Mit 17 Jahren ein Jahr Marinesoldat auf Sylt, dann ein Jahr Kriegsgefangenschaft. 1946 arbeitete er zunächst als Schauspieler und Regieassistent am Theater in Cottbus, wechselte 1949 zum DDR-Hörfunk, sechs Jahre später zum Fernsehen. Er moderierte 20 Jahre lang die Talksendung „Porträt per Telefon“, 1979 auch mal den „Kessel Buntes“, aber sein Herz hing am Sport. Beim Berliner Rundfunk führte er durch die Sendung „Hehehe – Sport an der Spree“, bei „Sport aktuell“ war er einer der prägenden Moderatoren.
„Ein international beleckter Spieler“
Können und Talent, das auch nach der Wende geschätzt wurde. In den 90er-Jahren arbeitete Oertel an der Freien Universität Berlin als Rhetorik-Dozent und als Lehrbeauftragter für Sport und Publizistik an der Uni in Göttingen, er war beim ORB und beim NDR zu sehen und zu hören, moderierte Galas. Zusammen mit Kristin Otto schrieb er mehrere erfolgreiche Olympiabücher. Im Alter von 95 Jahren starb Heinz Florian Oertel am 27. März 2023 in Berlin.
Dirk Thiele: Der heute 81-Jährige studierte nach einer Lehre als Werkzeugmacher Sport und Geschichte und wechselte 1970 zum DDR-Fernsehen. Neben „Sport aktuell“ machte er sich vor allen Dingen einen Namen als Kommentator von Handballspielen und der Vierschanzentournee. Ab 1992 heuerte er bei Eurosport an und kommentierte hier Ski Nordisch, Fußball und Leichtathletik. Bekannt war er vor allem für seine bildreiche Sprache: „Ach, Teufel noch mal. Jetzt geht gar nichts mehr. Jetzt hat sie die Handbremse angezogen, aber unfreiwillig.“ „Er kann auf der gesamten Klaviatur spielen – nicht nur die schwarzen Tasten.“ „Es hat ja keinen Sinn, Flagge zu zeigen, wenn man sie dann auf halbmast setzen muss.“

Gottfried Weise: Kommt eigentlich aus der schreibenden Zunft. 1944 geboren, absolvierte er ein Volontariat beim Sächsischen Tageblatt in Dresden, wurde Fußball-Redakteur bei „Sportecho“, der DDR-Sporttageszeitung. 1969 wechselte der heute 79-Jährige zum DDR-Fernsehen. Nach der Wende ging es nahtlos für ihn weiter, erst beim Sportkanal in London, 1993 beim DSF, ab 1994 bei Eurosport. Ein Reporter vom Typ Schnellsprecher, der sich auch schon mal in seinen eigenen Worten verhedderte: „ein international beleckter Spieler“, „Ein Tor mehr erzielen, als man selbst bekommt, ist immer noch besser als ein 1:0“.
Bodo Boeck: Er wechselte nach der Wende zum Mitteldeutschen Rundfunk, wo er vor allen Dingen über Fußball berichtete. Er war auch bei Olympia im Einsatz, zuständig für Gewichtheben (2012 in London), Shorttrack (2014 in Sotschi) oder Einhockey (2018 in Pyeongchang). Seine besten Sprüche: „Wird er da als Sandwich genommen? Sagt man das so?“ „Wenn der einmal brennt, dann wärmt er auch die anderen!“
Uwe Grandel: Ist als Kommentator des letzten DDR-Länderspiels in die Sportgeschichte eingegangen, am 12. September in Belgien, das die DDR durch zwei Tore von Matthias Sammer mit 2:0 gewann. Grandel, sonore Stimme, stets sachlich, stets fair, war bei der WM 1974 in der BRD dabei, kommentierte bei der WM-Endrunde 1990 in Italien 15 Spiele. Grandel gestand in einem Interview, dass er schon am Tag des Mauerfalls wusste, dass seine Zeit als „Starreporter“ im vereinten Deutschland vorbei sein würde. Seine besten Sprüche – aus dem legendären Europacup-Spiel, das Dynamo Dresden mit 3:7 bei Bayer Uerdingen verlor: „Ich wage kaum, hinzuschauen.“ „Das kann doch alles nicht wahr sein.“ ■