Margret Pollak steht in der Tür der alten Villa in der Stillen Straße in Pankow. Die Wege sind sauber geharkt, die Beete hübsch bepflanzt. Im Garten stehen die weißen Stühle schräg an den Tischen. Doch die Idylle in der Seniorenfreizeitstätte trügt.
Seit 13 Jahren verwalten mehr oder weniger rüstige Rentner und ihre Unterstützer dieses Haus in einer Pankower Villengegend selbst. Doch Ende dieses Jahres läuft eine Vereinbarung des Trägers Volkssolidarität mit dem Bezirksamt Pankow und dem Förderverein Stille Straße aus. Und wieder weiß keiner, wie es dann weiter gehen soll. „Auch dreizehn Jahre nach der Besetzung sind die Verhältnisse nicht geklärt“, sagt Margret Pollak aufgebracht.
Die ältesten Hausbesetzer der Welt
Moment Mal, Besetzung? Machen das nicht eher Punks und Anarchos mit alten Häusern? Doch in Pankow wagten einst rüstige Greise den zivilen Ungehorsam und kämpften wütend und am Ende erfolgreich für den Erhalt ihres Senioren-Treffs. Die Besetzung in der Stillen Straße wurde zum Inbegriff für das Recht älterer Menschen auf Kultur und Selbstbestimmung.

Doch von vorn: Dieses Haus in Pankow atmet pure Geschichte. Einst lebte Erich Mielke hier, bis er und die anderen Pankower Funktionäre in die Waldsiedlung von Wandlitz zogen. Das Haus diente von da an als Dienstobjekt für die Stasi, nach der Wende übernahm das Bezirksamt Pankow das Haus und das Kulturamt Pankow zog ein. Seit 1998 befindet sich in der Stillen Straße 10 in Pankow eine Seniorenbegegnungsstätte, die es im Sommer 2012 zu Weltruhm brachte.
Wut-Renter von Pankow machten international Schlagzeilen
Denn 2012 machten die „Wut-Rentner“ von Pankow international Schlagzeilen, als sie ihr Haus ganze 112 Tage lang, von Juli bis Oktober, besetzt hielten. Kurzerhand zogen sie damals mit Schlafsack und Thermoskanne in die Villa ein, kampierten auf Liegen, als die Schließung ihres Treffs drohte. Margret Pollak war damals mittendrin dabei. Sie erinnert sich noch gut an den Trubel, als Reporter aus aller Welt, inklusive BBC, in die Stille Straße kamen, um von den „unbeugsamen Alten“ zu berichteten.

Dass sie noch heute mit ihren knapp 80 Jahren jede Woche hier in die Singgruppe und zum Sport gehen kann, verdankt sie den wilden Tagen von damals. Längst nicht alle Mitstreiter sind noch am Leben.
Bezirk und Volkssolidarität retteten die Senioren-Einrichtung
Doch damals atmeten die Senioren erstmal auf, als nach der Besetzung die Volkssolidarität im Januar 2013 die Trägerschaft für das Haus übernahm und eine Kooperation mit dem Bezirk und dem neu gegründeten „Förderverein Stille Straße 10 e.V.“ einging. Das Haus in der millionenschweren Pankower Villengegend schien gerettet.
Einziges Manko: seither gab es immer nur einjährige Zusagen vom Bezirk Pankow, der kein Geld in die Villa investieren will. 2023 gewährte der Bezirk erstmalig eine dreijährige Nutzung mit der Auflage, es solle ein Konzept für eine Mehrgenerationen-Einrichtung erarbeitet werden. Der Bedarf an Begegnungsstätten für Jung und Alt in Pankow sei hoch, hieß es.
Vertrag für Senioreneinrichtung läuft aus
Ende 2025 läuft dieser Nutzungsvertrag mit der Volkssolidarität nun aus. Und die Wut-Rentner wappnen sich erneut. „Wenn man davon ausgeht, dass wir jetzt aufgeben, hat man sich geirrt“, sagen sie kämpferisch. In Zeiten, in denen Sparrunden durch Pankower Freizeiteinrichtungen für Jung und Alt fegen, scheint nichts mehr sicher.
Dabei haben sie sich in der Stillen Straße längst auch junge Leute mit an Bord geholt, auch sie sind begeistert von diesem ziemlich einmaligen Selbstverwaltungs-Konzept. 150 Mitglieder hat der Verein mittlerweile, in der Stillen Straße setzen die Alten der Individualisierung in der Gesellschaft ganz bewusst etwas entgegen. Einsamkeit sei nicht nur unter Senioren ein großes Thema, sagt Margret Pollak.

„Entscheidungen werden immer per Mehrheitsbeschluss getroffen, ein Lehrstück in angewandter Demokratie“, sagt Eveline Lämmer, einer der sieben Vorständinnen im Verein. „Alle wissen: das ist unser Haus, deswegen fühlen sich alle verantwortlich“, so Lämmer weiter. „Uns organisiert hier keiner was.“
So stellen sich die Pankower Senioren die Zukunft vor
Und so wollen die Senioren in der Stillen Straße auch in Sachen Zukunft gern ein Wörtchen mitreden. Die AG Zukunftswerkstatt in der Stillen Straße, eine von insgesamt 13, hat ein Konzept erarbeitet, welches das Haus öffnen und gleichzeitig Bewährtes sichern soll. So rüsten sich die Rentner für mögliche neue Diskussionen. Im Juni sollen die Senioren das Papier im Pankower Sozialausschuss vorstellen.
„Wir lehnen es ab, uns etwas auszudenken, was die Politik hier gern sehen will, wir schauen uns stattdessen das an, was gut funktioniert und entwickeln es weiter“, sagen sie selbstbewusst. Es gehe um Selbsthilfe, gegenseitige Unterstützung, auch kulturelle Angebote wie Lesungen in Kooperation mit dem Pankower Schloss seien sehr erfolgreich und sollen bestehen bleiben. Die Schauspielerin Jasmin Tabatabai haben sie als Schirmherrin gewonnen. Demnächst veranstalten deren „Lieblingsrentner“ am 28. Juni ein großes Kiezfest im Schlosspark Schönhausen.

Auch mit Schulen im Bezirk starteten die Alten bereits Projekte, es gibt Smartphoneberatung von Jungen für Alte, das Miteinander der Generationen, es findet hier längst statt, sagen sie. Ob beim Pankower Wohntisch, beim Tischtennisturnier, bei der Sprachförderung von Kindern mit Migrationshintergrund, beim gemeinsamen Kochen nach alten Rezepten oder bei der Hausaufgabenbetreuung und beim Einkaufsservice für Eingeschränkte: „Wir erfinden uns ständig neu, anstatt uns Bedarfe auszudenken.“
Doch all die schönen Zukunftspläne sind nichts wert, wenn es nicht endlich auch Planungssicherheit gibt, wissen die Senioren. Eine hauptamtliche Stelle müsste her, um alles unter dem Dach zu koordinieren. „Wenn man etwa bei Stiftungen Geld beantragt, wollen sie langfristig planen können“, sagt Margret Pollak.