Die „Lift“-Tragödie

Der schockierende Tod von zwei DDR-Rockstars – das passierte damals wirklich

Die Band Lift war auf dem Rückweg aus Polen in die DDR. Drei Musiker saßen in einem Wartburg. Michael Heubach fuhr, die anderen beiden dösten vor sich hin.

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Am 15. November 1978 starben die DDR-Rockstars Henry Pacholski (li.) und Gerhard Zachar bei einem Autounfall in Polen. Der eine war Sänger der Band Lift, der andere Bassist und Bandleader.
Am 15. November 1978 starben die DDR-Rockstars Henry Pacholski (li.) und Gerhard Zachar bei einem Autounfall in Polen. Der eine war Sänger der Band Lift, der andere Bassist und Bandleader.United Archives/imago

Das Lied „American Pie“ mit der Zeile „The day the music died“ (Der Tag, an dem die Musik starb) gehört zur Popgeschichte. Ein Lied über einen Tag im Jahre 1959, an dem die Rockstars Buddy Holly, Ritchie Valens und J.P. Richardson bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kamen. So einen Tag gibt es auch in der DDR-Rockgeschichte. Der 15. November 1978. Doch damals erfahren nur wenige, was wirklich passiert ist. Bei einem Verkehrsunfall sterben zwei Musiker der Band Lift, Bandleader und Bassist Gerhard Zachar († 33) und Sänger Henry Pacholski († 29). Am Steuer des Autos sitzt Keyboarder Michael Heubach (heute 74), der schwerverletzt überlebt.

Die 1973 in Dresden gegründete Rockband Lift startet damals gerade richtig durch. Mit Musik, die in die Zeit passt, mit elegischem Artrock, mit Hits wie „Wasser und Wein“ und „Mein Herz soll ein Wasser sein“. Im Jahr zuvor war ihr Debütalbum erschienen, sie werden mit dem Kunstpreis der DDR ausgezeichnet. Die Band wird gefeiert, die Touren führen inzwischen auch ins Ausland. 1978 nach Polen. Die Band ist gerade auf dem Rückweg in die DDR. Am 15. November 1978, in der Nähe von Kalisch (Kalisz). Drei Musiker sitzen in einem Wartburg. Michael Heubach fährt, die anderen beiden dösen vor sich hin.

Auf der Heimfahrt in die DDR: Die Drei treffen die falsche Entscheidung

Lift-Schlagzeuger und Sänger Werther Lohse, der damals wegen einer Krankheit pausierte, erzählte in einem Interview mit deutsche-mugge.de, dass die Kollegen auf der Rückfahrt von der Tour völlig übermüdet in einen Unfall geraten seien.

„Michael Heubach hat am Steuer gesessen und ist gefahren“, sagte Lohse. Die anderen hätten ihn fahren lassen, obwohl er ein schlechter Kraftfahrer gewesen wäre. „Das wusste der Zachar aber. Trotzdem ließ er ihn fahren, um hinten ein bisschen zu schlafen.“ Dann das schreckliche Unglück: In der Nähe der polnischen Kleinstadt Kalisz gerät der Wagen beim Überholen unter einen Lkw.

Michael Heubach, der als Komponist des Nina-Hagen-Hits „Du hast den Farbfilm vergessen“ berühmt wurde, kann sich an den folgenschweren Crash nicht mehr erinnern. „Von dem Unfall habe ich nichts mitbekommen“, erzählt der Musiker in einem Podcast von deutsche-mugge.de. „Meine letzte Erinnerung ist 60 Kilometer vor dem Unfallort.“ Dann Filmriss. Das Erleben setzt erst zehn Tage später wieder ein. Da wacht er in einem polnischen Krankenhaus aus dem Koma auf.

Heubach erzählt, dass die Tournee gerade zu Ende gewesen wäre. Und dass sie nach dem letzten Konzert die Wahl hatten, eine weitere Nacht im Hotel zu schlafen – oder gleich nach Hause zu fahren. Die Drei treffen die falsche Entscheidung. „Wir haben vorher noch in Breslau, damals Wroclaw, Sachen eingekauft.“ Daran kann sich Heubach noch erinnern. Sie hätten sich am Steuer abgewechselt, zur Zeit des Unfalls sei er gefahren.

In dem Podcast merkt man, dass es Michael Heubach immer noch schwerfällt, über den tragischen Tag zu sprechen. „Mir ist dann hinterher erzählt worden, es hätte eine Linkskurve gegeben, in die ich mit überhöhter Geschwindigkeit reingefahren wäre“, erzählt er mit stockender Stimme. „Ich hätte gegengelenkt und wäre dann unter einen entgegenkommenden Truck geraten. Der war so groß, dass der Wartburg genau dazwischen passte.“ Heubach macht eine Pause, ehe er weiterspricht: „Ich selbst lag zehn Tage im Koma, Gerhard Zachar und Sänger Henry Pacholski kamen ums Leben.“

Michael Heubach selbst ist schwerverletzt, auf der rechten Seite gelähmt. „Ich habe versucht, mich wieder an mein Dasein zu gewöhnen“, sagt der Musiker. Man hört den Worten an, dass es ihm wohl bis heute schwerfällt, mit seiner Schuld an dem Unfall klarzukommen.

Michael Heubach: Er liegt vier Monate im Krankenhaus

Durch eisernes Training hätte er es einigermaßen geschafft, sich wieder zu bewegen. Doch nach zwei Monaten im Krankenhaus, erst in Polen, dann in Leipzig und Berlin, gibt es einen Rückschlag. „Es wurde festgestellt, dass ich Hepatitis hatte“, sagt er im Podcast. Die Ursache: wohl verunreinigte Blutkonserven. Folge: zwei weitere Monate im Krankenhaus.

Michael Heubach war der Keyboarder von Lift, hier ein Bild aus der Zeit vor dem Unfall.
Michael Heubach war der Keyboarder von Lift, hier ein Bild aus der Zeit vor dem Unfall.United Archives/imago

Der heutige Lift-Sänger Werther Lohse erzählte im Interview mit deutsche-mugge.de, dass Michael Heubach immer noch an den Nachwirkungen des Unfalls leide. „Er hat Probleme mit den Augen. Mit einem bestimmten Blickfeld. Er kann die Tasten nicht richtig erkennen und hat so etwas wie ein schwarzes Loch im Blickfeld und das hat er von damals zurückbehalten“, erklärte Lohse. Dass er überhaupt noch lebe und wieder spielen könne, wäre ein großes Glück. „Wir hatten ihn später mal wieder in der Band, und als er wieder auf die Bühne kam … das war unglaublich!“

Die DDR-Musikszene ist damals geschockt. „Wir können ihre Musik hören – aber selbst das fällt uns jetzt schwer“, heißt es damals in einem Nachruf. „Uns bleibt die Erinnerung an zwei Musikanten, die durch ihre Arbeit entscheidend dazu beigetragen haben, dass die Beat- und Rockmusik in unserem Land zu so hoher Qualität, zu Ansehen gelangt ist, über die Republikgrenzen hinaus.“

„Am Abend mancher Tage“: Lift singt ein Abschiedslied

Lift macht nach dem Unglück weiter. Werther Lohse kehrt als Leadsänger zurück. Mit dem Album „Meeresfahrt“ (1979, mit mehreren Texten, die noch aus der Feder Henry Pacholski stammten) und dem größten Lift-Hit „Am Abend mancher Tage“ (1980). Ein Lied, mit dem die Band den Unfalltod ihrer Kollegen verarbeitet: „Am Abend mancher Tage – da stimmt die Welt nicht mehr/Irgendetwas ist zerbrochen, wiegt so schwer/Und man kann das nicht begreifen. Will nichts mehr sehn/Und doch muss man weitergehn.“

Das traurige Lied wird der größte Hit von Lift, schafft es bis auf Platz 1 der DDR-Jahreshitparade. Danach lässt der Erfolg nach, Zahar und Pacholski fehlen als Triebfedern. Die Musiker wechseln in rascher Folge, nur Werther Lohse bleibt die Konstante. Das Album „Nach Hause“ floppt. Erst nach der Wende geht es wieder aufwärts. Mit der Stern-Combo Meißen und Electra touren Lift als „Sachsendreier“ erfolgreich durch die ostdeutschen Lande.

Die Autogrammkarte der Band aus den 70ern - mit Sänger Henry Pacholski (hinten, links), Keyboarder Michael Heubach (vorne, links) und Bassist und Bandleader Gerhard Zachar (vorne, mit verschränkten Armen).
Die Autogrammkarte der Band aus den 70ern - mit Sänger Henry Pacholski (hinten, links), Keyboarder Michael Heubach (vorne, links) und Bassist und Bandleader Gerhard Zachar (vorne, mit verschränkten Armen).Lift

Auch Michael Heubach macht nach einem Jahr Genesungspause wieder Musik. Erst in der Band von Veronika Fischer, dann als Keyboarder bei Ute Freundenberg & Gruppe Elefant. In der Zeit entsteht das bis heute gefeierte Hit-Album „Jugendliebe“.

Doch der Unfall holt den Musiker wieder ein: Als Ute Freudenberg damals Angebote bekommt, im Westen aufzutreten, muss er die Band schon 1981 wieder verlassen. Denn der Musiker erhält von der DDR keine Genehmigung, als „Reisekader“ in die BRD zu reisen – weil er den Unfall in Polen verschuldet hätte. Nach der Wende verdient Heubach sein Geld als freier Komponist und Musikproduzent.