Ich habe sie nie Naddel genannt, das mochte sie nicht. Menschen, die sie näher kannten, sagten Nadja zu ihr. Eigentlich ganz normal, aber Normalität war kein Faktor in ihrem Leben. Denn Nadja Abd el Farrag wurde nur akzeptiert, wenn sie die Rolle Naddel spielte. Das wurde zum Fluch ihres Lebens. Für die folgenden Zeilen muss man zwei Dinge wissen. 1. Nadja hatte ein gutes Herz. 2. Am Ende konnte sie es nicht mehr zeigen.
Ich habe mehr als zehn Jahre über Nadja geschrieben. Nicht immer gut. Sogar meistens nicht. Denn Nadja hat dann funktioniert, wenn sie Fehler gemacht hat. Deshalb haben die Medien nicht nur über ihre Fehler geschrieben, sondern nach Fehlern gesucht. Paparazzi haben ihr Fallen gestellt, um an Fotos zu kommen, die sie in kompromittierenden Situationen zeigten. Wir, die Medien, haben den Niedergang dieses Menschen nicht nur begleitet, wir haben uns teilweise daran ergötzt.
Nadja hat das System, das sie am Ende aufgefressen hat, geliebt
Nein, Nadja Abd el Farrag war kein einfacher Mensch. Und daran, dass sie all ihr Geld verpulvert hat, ist kein Journalist schuld. Und auch ich gehöre zu denjenigen, die ihr wirklich helfen wollten. Eine Wohnung zu finden, zum Beispiel - ohne einen Artikel darüber zu schreiben. Sie hat diese Versuche, ich bin sicher, auch andere Kollegen haben ihr Hilfe angeboten, immer abgelehnt.
Nadja hat das System, das sie am Ende aufgefressen hat, geliebt. Sehr sogar. Das war neben dem Alkohol ihre zweite Sucht. Sie war gerne ein Star. Dennoch stelle ich mir die Frage, ob wir, die Medien, ihr je eine faire Chance gegeben haben. Damit sie funktioniert, gab man ihr im Dschungelcamp schon heimlich Wein. Vor Auftritten: zwei Flaschen. Das wussten viele in den Medien. Wir wussten auch, dass sie immer ein Hotelzimmer mit Balkon wollte – a) um zu rauchen und b) weil sie eben dort die leeren Flaschen lagerte, damit sie nachts im Zimmer nicht darüber stolperte.
Nadja Abd el Farrag versoff ihre Einnahmen
Für ein Interview wollte sie 1500 Euro, für einen TV-Beitrag im Promi-Magazin 5000 Euro – und weil sie eben mit Geld nicht umgehen konnte bzw. – man muss es so hart sagen – ihre Einnahmen versoff, wurde die Spirale nach unten tödlich. Nadja hatte immer weniger Geld und musste immer mehr Schlagzeilen produzieren.
Schnelle Schlagzeilen, an langwierigen TV-Produktionen konnte man sie schon lange nicht mehr teilhaben lassen. Aber dem Mediensystem hat es gefallen. Wir haben an Nadja Abd el Farrag selbst viel Geld verdient. Ich sage explizit „an“, nicht „mit“. Denn eine Partnerschaft war das nie. Sie war schon lange ein Opfer der Medien. Immer für ein paar Kröten der nächsten Schlagzeile ausgeliefert.

Nadja Abd el Farrag fand nicht den Weg aus dem Medienzirkus
Ein Satz, der sich in mein Gehirn eingebrannt hat, ist dieser: „Ich bin eigentlich nur ein Mädchen, das ihren Vater ganz doll liebt.“ Das sagte Nadja einmal zu mir, als ich sie fragte: „Nadja, wer bist du eigentlich wirklich?“ So sah sie sich selber. Als jemand, der irgendwie in diesen Medienzirkus geraten war, aber den Weg aus der Manege nicht fand.
Die Aufgabe von Journalisten ist vornehmlich, über Ereignisse zu berichten. Aber - wir haben auch eine Verantwortung. Im Fall von Nadja Abd el Farrag haben wir versagt. Kollektiv. Es ist nur teilweise eine Entschuldigung, wenn man als Journalist sagt: Aber die Leute wollten es doch lesen. Ja – das stimmt. Viele Menschen in diesem Land konnten nicht genug bekommen, vom langen Absturz dieser Frau. Dennoch: Wir hätten aufhören können. Das haben wir nicht getan, das müssen wir uns vorwerfen lassen.
Nadja Abd el Farrag – am Ende vereint mit ihrem Vater
Das mag sich jetzt hart anhören, aber der Tod von Nadja Abd el Farrag sollte den Medien eine Lehre sein. Es darf nie mehr so sein, dass ein Mensch abertausende Schlagzeilen dieser Art über sich ergehen lassen muss. Ich weiß nicht, ob das in Zeiten von Social Media wirklich möglich ist, denn wie abfällig sich besonders einige Influencer über Nadja geäußert haben, ist an Niedertracht kaum zu überbieten. Wir als Medien aber könnten diesen tragischen Tod nicht nur mit warmen Worten begleiten – eine Wärme übrigens, die wir Nadja zu Lebzeiten kaum zuteil werden ließen, wir sollten uns vornehmen, dass wir unserer Verantwortung in Zukunft besser gerecht werden.
Ich will mit einer Frage schließen, die ich Nadja an eben jenem Abend in Berlin auch stellte: „Vermisst du deinen Vater?“ Ihre Antwort: „Am Schluss, da werde ich wieder mit ihm vereint sein. Ich möchte in seinem Grab beigesetzt werden.“ Ich hoffe, dass man ihr diesen Wunsch erfüllt. Ohne Kameras, ohne Blitzlicht. Und vielleicht kann sie da, wo sie jetzt ist, sein, wer sie immer sein wollte: Einfach, Nadja.