Union-Kolumne

1. FC Union und Leipzig: Die Chemie stimmt wie zu DDR-Zeiten!

Wissen ist Macht! Nichts wissen macht nichts – oder doch? Früher waren die Eisernen und Chemie Leipzig Brüder im Geiste. Die Erinnerung hat beide wieder zusammengeführt.

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Die Fans des 1. FC Union machen bei Spielen bei RB Leipzig immer deutlich, mit wem sie in Sachsen sympathisieren.
Die Fans des 1. FC Union machen bei Spielen bei RB Leipzig immer deutlich, mit wem sie in Sachsen sympathisieren.Matthias Koch/imago

Seit dem Wochenende ist der 35. Jahrestag des Mauerfalls also Geschichte. Die Sonntagsreden dazu sind gehalten und werden wie so viele vor ihnen ein weiteres Jahr nicht gebraucht. Passend dazu, als sei der hierzulande so genannte antifaschistische Schutzwall kurz wieder hochgezogen worden, wurde er in Köpenick zwischen dem 1. FC Union und Freiburg auf seine Undurchlässigkeit geprüft. Test beim 0:0 beiderseits bestanden.

Welch lange Zeitspanne 35 Jahre sind, wurde mir in der vorigen Woche erst wieder vor Augen geführt, als ich zu einer Podiumsdiskussion nach Leipzig eingeladen war. Jens Fuge, Chronist des einheimischen Regionalligisten Chemie, moderierte zum Thema: „Wir sind Leutzscher, keiner mag uns!“ Der Untertitel dazu: „Das Verhältnis zwischen Chemie und den Medien damals und heute“.

Chemie Leipzig und der 1. FC Union: Brüder im Geiste

Ich hatte mich für diese Runde qualifiziert, weil ich im Frühsommer 1984 für das „Deutsche Sportecho“ über die beiden Entscheidungsspiele um den Verbleib in bzw. den Abstieg aus der Oberliga berichtete. Die Gegner, die nach 26 Spieltagen punkt- und torgleich auf Tabellenrang 12 standen, von denen neben dem Halleschen FC Chemie jedoch einer absteigen musste, waren der 1. FC Union und Chemie Leipzig. Es war, welch Zufall, im 35. Jahr der hiesigen höchsten Spielklasse.

Im Juni testete der 1. FC Union gegen Chemie Leipzig, deren Fans im Alfred Kunze Sportpark mit einer Choreo an die Oberliga-Mannschaft der Saison 1983/84 erinnerten.
Im Juni testete der 1. FC Union gegen Chemie Leipzig, deren Fans im Alfred Kunze Sportpark mit einer Choreo an die Oberliga-Mannschaft der Saison 1983/84 erinnerten.Picture Point LE/imago

Irgendwie waren die Rot-Weißen aus Köpenick und die Grün-Weißen aus Leutzsch damals Brüder im Geiste. Die einen fühlten sich hinter dem BFC Dynamo gegängelt, die anderen hinter dem 1. FC Lokomotive. Etliche Jahre später, die Mauer war längst gefallen und beiden stand das Wasser wirtschaftlich Oberkante Unterlippe, half beiden einer, den sie 2018 in Berlin, vor dem Aufstieg in die Bundesliga noch, zum Ehrenmitglied ernannten und ihn noch immer Retter nennen: Michael Kölmel. Und weil die beiden Entscheidungsspiele vor 40 Jahren ein runderes Jubiläum abgeben als 35 Jahre Mauerfall, bestritten die Eisernen den Auftakt in diese Saison vor rund vier Monaten mit einem 4:0 im dortigen Sportpark, der nach Trainerlegende Alfred Kunze benannt ist.

RB trifft Chemie Leipzig ins Herz

Bei der jetzigen Diskussion wurde mir auf nahezu beklemmende Weise gezeigt, dass längst nicht zusammengewachsen ist, was zusammengehören sollte. Es stieß mir auf bei der Frage aus dem Publikum, wie es sein könne, dass es nach dem durchaus erfolgreichen Saisonstart des sächsischen Bundesligisten RB in einer einheimischen Zeitung hieß, die Zeit sei reif, dass nach 1913 (!) mal wieder ein deutscher Meister aus Leipzig käme. Das trifft einen Chemiker mitten ins Herz.

Als ob Chemie nicht 1951 DDR-Meister geworden wäre und weitaus spektakulärer noch einmal 1964. „Das“, so der Mann aus dem Publikum, „ist Ignoranz, Unwissenheit, ja Dummheit.“ Chemies Titel als „Rest von Leipzig“ unter den Tisch kehren zu wollen, gerade angesichts solcher Legenden wie Kapitän Manfred Walter, Mittelfeldmotor Klaus Lisiewicz, Mittelstürmer Dieter Scherbarth und Torjäger Bernd Bauchspieß, ist ein unentschuldbares Vergehen. Es ist aus der Kategorie, als würde einem Eisern-Anhänger weisgemacht, 1968 hätte es gar keinen Triumph des 1. FC Union im FDGB-Pokal gegeben. Zudem hätten Jimmy Hoge, Mäcky Lauck, Wolfgang Wruck und Meinhard Uentz nie in der Alten Försterei gespielt. Jeder gelernte DDR-Bürger kennt den saloppen Spruch: „Wissen ist Macht!“ mit der Fortsetzung: „Nichts wissen macht nichts.“ In dem Fall aber doch.

Chemie Leipzig schaut mit stolz auf den 1. FC Union

Ein anderes Beispiel, das vor Desinteresse nur so strotzt und fast noch böser ist, weil aus offizieller Sicht betrachtet. Nachdem Hans-Jürgen Dörner, im Westen gern „Beckenbauer des Ostens“ genannt, gestorben war, stand im DFB-Journal im Nachruf, Dixies größte Stunde habe 1976 in Montreal geschlagen. Aber auch: „Mit der Auswahl der DDR stand der elegante Libero und Kapitän im Finale des olympischen Fußballturniers, das mit 3:1 gegen die Sowjetunion gewonnen wurde.“ DDR und UdSSR, das passt immer, selbst wenn es im Endspiel gegen Polen ging, damals WM-Dritter. Man mag sich den Shitstorm nicht vorstellen, würde jemand meinen, die Helden von Bern hätten 1954 im WM-Finale nicht Ungarn in die Knie gezwungen, sondern vielleicht Rumänien. Es wäre dennoch die gleiche Ebene.

Mit dem 1. FC Union von heute hat das freilich nichts zu tun. Einen Satz aber habe ich in Leipzig immer wieder so oder so ähnlich gehört: Dass die Eisernen es als einziger Verein aus dem Osten geschafft haben, sich in der Bundesliga zu behaupten, macht uns sprachlos, bei der gemeinsamen Vergangenheit aber auch ein wenig stolz. ■