Wildtier-Experte verrät

Mauerhasen und DDR-Schweine: Wie ging es den Tieren im Todesstreifen?

Die deutsche Teilung veränderte das Leben von Millionen Menschen. Und wie sieht es bei der Tierwelt aus? Berlins Wildtier-Experte gibt Einblicke.

Author - Florian Thalmann
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Der Todesstreifen war verbotenes Gebiet für die Menschen – doch die berühmten Mauerkaninchen fühlten sich hier pudelwohl. Mit dem Mauerfall endete dieses beinahe putzige Kapitel der DDR-Geschichte.
Der Todesstreifen war verbotenes Gebiet für die Menschen – doch die berühmten Mauerkaninchen fühlten sich hier pudelwohl. Mit dem Mauerfall endete dieses beinahe putzige Kapitel der DDR-Geschichte.imagebroker/imago, frontalvision.com/imago (Montage: FTH/BK)

In diesem Jahr feiert Deutschland das 35-Jahre-Jubiläum der Wiedervereinigung. Die deutsche Teilung und der Fall der Mauer hatten riesigen Einfluss auf das Leben von Millionen Menschen. Aber nicht nur dort! Wussten Sie beispielsweise, dass die Trennung Deutschlands in Ost und West auch große Folgen für die Tierwelt hatte? Berlins Wildtier-Experte Derk Ehlert verriet dem KURIER, was es mit Mauerkaninchen, Wildschweinen in Berlin und DDR-Habichten auf sich hat – und ob es die deutsche Teilung auch in der Tierwelt gab.

Tierwelt zu Zeiten der DDR: Im Todesstreifen lebten Tausende Kaninchen

An ein spezielles Tier kann sich Derk Ehlert noch heute ganz genau erinnern. „Ich bin in der Nähe der Mauer im Westen der Stadt aufgewachsen, habe schon damals Wanderungen und Spaziergänge an der Grenze gemacht“, sagt er dem KURIER. Und dabei begegnete ihm immer wieder ein Fuchs, der nur drei Beine hatte. „Ewigkeiten sah ich ihn – vielleicht waren es zwei Jahre, für Kinder ist das eine Ewigkeit. Er zog sich immer wieder hinter den Grenzzaun zurück.“ Für Ehlert, heute Wildtierreferent des Berliner Senats, ein Kuriosum. „Mich hat fasziniert, dass er sich im Grenzstreifen offenbar auskannte.“ In einem Bereich, der eigentlich verbotenes Gebiet war.

Verbotenes Gebiet war er für die Menschen. Und wie gingen Tiere mit dem Bollwerk aus Beton und Stahl um, das den Westen von der DDR trennte? Konnten Wildschweine, Rehe und Dachse „rübermachen“ – und gab es die Trennung zwischen Ost und West auch in der Tierwelt? Genau darum soll es bei einer Veranstaltung im Berliner Tierpark am Dienstag gehen: Unter dem Titel „Tierisch geteilt! Waschbär, Hase & Co. und die innerdeutsche Grenze“ wollen Experten der Frage auf den Grund gehen, wie sich die deutsche Teilung auf die Berliner Fauna auswirkte. Mit dabei ist auch Ehlert, der die Tierwelt der Hauptstadt seit Jahrzehnten beobachtet.

Derk Ehlert ist der Wildtierreferent des Senats – kein anderer kennt sich mit der Tierwelt in Berlin so gut aus wie er.
Derk Ehlert ist der Wildtierreferent des Senats – kein anderer kennt sich mit der Tierwelt in Berlin so gut aus wie er.Volkmar Otto

Er weiß: Die Zeit der Teilung hatte für die Tiere ein paar Vorteile. „Im Grenzbereich gab es damals viele sogenannte Todesstreifen – Gebiete, die nicht betreten werden durften“, sagt Ehlert dem KURIER. „Natürlich haben viele Tiere nach und nach herausgefunden, dass sie dort gut und ungestört leben konnten – sowohl in Berlin als auch entlang der rund 1400 Kilometer langen Grenze.“ Auf vielen Flächen an der innerdeutschen Grenze konnte sich die Natur ohne Störung entwickeln und erhalten. Ehlert nennt als Beispiel den Köppchensee. „Er liegt an der Grenze zwischen Pankow und Reinickendorf. Weder die Menschen aus dem Osten, noch die Menschen aus dem Westen kamen ran.“

Der Fall der Mauer besiegelte auch das Ende der Mauerkaninchen in Berlin

Doch auch in der Innenstadt profitierte die Tierwelt vom Todesstreifen. Berühmt sind etwa die Mauerkaninchen: Unzählige Langohren gab es während der deutschen Teilung auf dem Berliner Mauerstreifen. „Sie lebten in Kolonien, gruben sich ihre Tunnel und zogen sich zurück, wenn Gefahr drohte.“ Ehlert selbst beobachtete die Tiere schon in seiner Kindheit. „Ich erinnere mich daran, dass ich auf einer Aussichtsplattform stand, auf den Mauerstreifen blickte und die Kaninchen sehen konnte.“ Man habe kaum in den Grenzbereich kommen können, ohne an den Tieren vorbeizukommen. „Es gab wirklich sehr viele“, sagt Ehlert.

Das Denkmal Kaninchenfeld erinnert mit 120 in den Boden eingelassenen Silhouetten an die Mauerkaninchen aus dem Todesstreifen.
Das Denkmal Kaninchenfeld erinnert mit 120 in den Boden eingelassenen Silhouetten an die Mauerkaninchen aus dem Todesstreifen.Joachim Schulz/imago

Während der Fall der Mauer für die Menschen in Deutschland ein ganz neues Kapitel einläutete, läutete er für die Mauerkaninchen das Ende ein. Nach dem Abbau des Mauerstreifens gingen auch die Tierbestände dahin, Tausende Kaninchen verschwanden innerhalb von Wochen, Monaten, Jahren. „Das lag natürlich daran, dass das Gebiet plötzlich betretbar war, bebaut und verändert wurde“, sagt der Wildtier-Experte. Aber: Auch die Kaninchen-Seuche Myxomatose, die sich in den 90er-Jahren ausbreitete, trug einen Teil zum Sterben der Kaninchen bei. „Sie hat den Bestand reduziert – hüben wie drüben.“

Auch andere Wildtiere lebten in der Zeit vor der Wende in Berlin ruhiger

Doch nicht nur für die Kaninchen war die Zeit vor dem Mauerfall gar nicht so schlecht – auch andere Tiere lebten ruhiger. „Berlin war seit jeher die Stadt der großen Tiere. Wildschweine, Füchse und Dachse waren hier schon lange zu sehen.“ Auch dieses Phänomen hat einen politischen Hintergrund: Das Jagdrecht lag hier bei den Alliierten – und die hatten gar kein Interesse daran, auf die Pirsch zu gehen. „Es gab Förster, die eine Waffe trugen und auch mal ein verletztes Wildschwein erlegten. Aber eine ordnungsgemäße Jagd gab es hier nicht.“ Auch Habichte konnten sich dadurch in Berlin ungestört ausbreiten. „Die Raubvögel wurden in anderen Bundesländern immer bejagt, weil sie den Taubenzüchtern schaden“, sagt Ehlert.

Auch größere Tiere wie Wildschweine und Füchse haben sich in Berlin immer wohlgefühlt – weil hier vor der Wende nicht vom Jagdrecht Gebrauch gemacht wurde.
Auch größere Tiere wie Wildschweine und Füchse haben sich in Berlin immer wohlgefühlt – weil hier vor der Wende nicht vom Jagdrecht Gebrauch gemacht wurde.Mauersberger/imago

Gefährliches Gebiet: Auch Tiere litten und starben im Todesstreifen

Wer nun aber denkt, dass es die Tierwelt durch die deutsche Teilung nur leichter hatte, der hat sich auch geirrt. Denn: Natürlich barg der Todesstreifen mit seinen tödlichen Aufbauten auch Gefahren. „Ich bin an der Mauer aufgewachsen und kann mich erinnern, als Kind ab und zu Schüsse gehört zu haben. Man wusste nicht, woher das kommt – da sind sicher auch immer wieder Tiere in die Anlagen gelaufen.“ Auch für viele Tierarten war die Mauer also ein Bauwerk, das die eine Welt von der anderen trennte. Denn ob Mensch oder Tier: „Rübermachen“ konnten hier nur die wenigsten.

„Tierisch geteilt! Waschbär, Hase & Co. und die innerdeutsche Grenze“: Podiumsdiskussion im Tierpark Berlin, Restaurant Patagona. 16. September 2025, 18 Uhr. Informationen und Anmeldung unter www.bundesstiftung-aufarbeitung.de/tierisch-geteilt