
Nun sind wir also seit 35 Jahren verheiratet. Wir, die in der DDR geboren wurden, mit denen, deren Wiege in der alten Bundesrepublik und West-Berlin stand. Für mich ist die Deutsche Einheit, die am 3. Oktober 1990 vollzogen wurde, nichts anderes als eine Ehe, in der man sich liebt, auch zofft und dann sich wieder in den Armen liegen sollte. Ich weiß, wovon ich rede. Denn ich erlebe so eine Ost-West-Ehe auch privat jeden Tag!
Vor fast 59 Jahren im Osten Berlins geboren, in der DDR aufgewachsen, bis am 9. November 1989 die Mauer fiel. Da war ich 23 Jahre alt. Damals ahnte ich noch nicht, dass ich in einem wiedervereinten Deutschland meine große Liebe kennenlernen und heiraten würde. Eine Frau, die vor fast 57 Jahren auf der anderen Seite der Mauer das Licht der Welt erblickte und im Westen Berlins aufwuchs.
Das Mädel aus dem Westen und der Junge aus dem Osten: Damit es noch romantischer wird – wir hatten uns am Vorabend des Valentinstages auf dem Geburtstag einer gemeinsamen Freundin getroffen.

„Kommst du aus dem Osten oder aus dem Westen?“ Diese Frage stellen wir uns nicht
„Kommst du aus dem Osten oder aus dem Westen?“ Diese Frage stellten wir uns nicht. Es war uns einfach nicht wichtig, dieses Ossi- und Wessi-Abgestempel. Unsere Blicke trafen sich, es funkte. Und wir ließen uns auf ein Ost-West-Glück, das nicht immer perfekt ist, aber bis heute seit über zwei Jahrzehnten hält. In zwei Jahren feiern wir unsere Silberhochzeit!
Ein Großteil unserer Ehe liegt auch in den 35 Jahren der Deutschen Einheit. Wer so lange miteinander verheiratet ist, begeht die sogenannte Leinenhochzeit. So steht es auf einem Hochzeitstag-Portal im Internet. Und weiter: „Dieser Hochzeitstag symbolisiert die Stärke, aber auch die Flexibilität und Reißfestigkeit der Ehe, ähnlich dem Material Leinen.“


Trifft das auch auf die Deutsche-Einheits-Ehe zu? Als die Ost- und Westdeutschen vor 35 Jahren heirateten, war das schon lange nicht mehr die frische Teenager-Liebe, die wir alle noch vom Mauerfall spürten. „Endlich wächst zusammen, was zusammengehört“, sagte damals der unvergessene Willy Brandt (SPD), einst Bundeskanzler und Regierender Bürgermeister vom Westteil Berlins. Seine Worte in jener Nacht, die wir so begierig in unserem Liebestaumel aufsogen – davon war nach der Hochzeit am 3. Oktober 1990 schon bald nichts mehr zu spüren.

Dabei waren wir Ostdeutschen damals so verliebt – in eine neue Zeit. Mit vielen träumte ich von einem neuen Land, das wir mit allen Deutschen, woher sie auch kamen, gestalten wollten. Indem es nie wieder eine Diktatur geben sollte, in der die Machthaber ihr eigenes Volk bespitzeln. Wir träumten von Freiheit und davon, freie Entscheidungen über das eigene Leben treffen zu können; von einem Land ohne Grenzen, in dem auch die Meinung Andersdenkender akzeptiert wird, ohne Repressalien seitens eines Regimes befürchten zu müssen, wie es in der DDR war.
Verliebt und schnell verheiratet: Rasch kam dann der Ost-West-Alltag
Und die Westdeutschen liebten es, den Osten zu erobern. Ich erinnere mich, wie plötzlich Jugendliche aus dem Westen Berlins im Osten der Stadt Party machten. In Klubs, die über Nacht in alten Fabrikgebäuden entstanden. Ost und West tanzten gemeinsam. Techno war ein Kind dieser jungen deutsch-deutschen Einheit.
Andere Westdeutsche mit Geld oder offenbar viel Geld zogen ebenfalls in den Osten. Sie kauften marode Werke auf oder machten sie dann marode, machten Spekulationsgeschäfte mit alten Stasi-Seilschaften. Ostprodukte verschwanden, weil keiner mehr aus dem Osten sie haben wollte. Die Fabriken verschwanden, die Jobs verschwanden.
Es war die Zeit der Besser-Wessis, die in dem vereinten Land nun den Ton in Unternehmen und in der Politik angaben, und im Bundestag wegen eines millionenschweren Schlosswiederaufbaus den Abriss des Palastes der Republik beschlossen. Das traf die ostdeutsche Seele verletzend tief. Und die Menschen, die zu Recht über diese Willkür und die Nichtachtung des Lebens in der DDR klagten, stempelte man jahrelang als Jammer-Ossis ab.

Und der wehrte sich. Die Ostalgiewelle, die aufkeimte, um auf Partys mit Pionierhalstuch und NVA-Uniform die DDR-Identität zu retten – sie war nicht mein Weg in dieser Einheitsehe. Für mich gab es dafür keinen Grund. Mein DDR-Leben war Kindergarten, Wehrkundeunterricht in der Schule, ein verhasster Grundwehrdienst, ein Studiumabbruch, weil ich nicht Offizier werden wollte, und eine Bespitzelung durch die Stasi. „Nicht tragbar für diesen sozialistischen Staat“, stand in meiner Akte.
Also ging ich einen anderen Weg, ohne aber meine Herkunft zu verleugnen. Denn für mich war der Staat DDR, den ich mit der SED-Diktatur verband, zu Recht untergegangen. Dagegen ist meine ostdeutsche Heimat geblieben, in der ich zu DDR-Zeiten meine Freiheitsnischen suchte und fand. Und diese lasse ich mir nicht nehmen. Und man hat sie mir nicht genommen. Sie gehört nach wie vor zu meinem Leben.
Ost-West-Ehe: Meine Frau und ich sind einfach Deutsche in einem Land
Im geeinten Deutschland wurde ich Journalist, zog in den Westteil Berlins, um die Menschen und ihr Leben von der anderen Seite wirklich kennenzulernen. Ich traf viele Menschen, in denen ich keine Besser-Wessis sah und die mich auch nicht als Jammer-Ossi bezeichneten. Wir waren einfach Deutsche in einem wiedervereinten Land.
Zu diesen Menschen gehört meine Frau. Zusammenwachsen, was zusammengehört: Wir gingen unsere Ost-West-Beziehung ein – und anders als in der Einheits-Ehe stellten wir unser bisheriges Leben, das wir in Gesellschaftssystemen führten, nicht infrage.
Im Gegenteil, wir wollen immer mehr von dem Leben des Anderen wissen. Natürlich gibt es auch andere Ansichten und Reibereien. Doch die werden mit einem Glas Rotkäppchen-Sekt oder einer Westmarke beendet. So einfach ist es. Denn wir merkten schnell: Egal, ob man im Osten oder im Westen aufgewachsen ist – es gibt mehr Verbindendes, als Trennendes.

So stellten wir fest, dass wir beide in unserer Jugend gerne im RIAS die Krimi-Serie „Achtung, Hochspannung!“ hörten – sie im Westteil, ich im Ostteil. Wir lieben Comics. Na gut, meine Frau mag die Asterix-Hefte, ich die Mosaik-Helden Digedags und Abrafaxe. Das macht doch nichts! Nun freue ich mich sogar auf den neuen Asterix, der im Oktober erscheint. Ich werde den Band sogar lesen, bevor ich ihn meiner Frau schenke.
Wir sind beide Kinder des „Kalten Krieges“. Als mit dem Berliner Mauerfall und der Deutschen Einheit auch der „Eiserne Vorhang“ verschwand, hofften wir beide mit vielen, vielen Menschen in Ost und West, dass die Welt friedlicher wird. Sie ist es leider nicht geworden.
Meine Ost-West-Ehe: Wir suchen das Gemeinsame und nicht, was uns trennt
Aber die Sorge um die Zukunft hat auch etwas im Zusammenleben der Menschen in diesem Land bewirkt: Egal, wie man sich vor Jahren als Ossi und Wessi noch bekämpfte – jetzt ist die Sehnsucht und der Wunsch nach Frieden eine der wichtigsten Gemeinsamkeiten aller Deutschen im 35. Einheitsjahr.
Das Gemeinsame suchen: Das ist auch das Erfolgsrezept in meiner Ost-West-Ehe. Meine Frau hat ihre Erfahrungen aus dem Westen Berlins und ich meine aus dem Osten in einen Topf geworfen – und wir versuchen, daraus das Beste zu machen. „Man muss sich nur richtig zusammenrappeln“, sagt meine Frau. Sie hat recht, es funktioniert.

Sich auf Augenhöhe begegnen: Was in unserer kleinen Ost-West-Ehe gut läuft, wird garantiert auch eines Tages in der großen klappen. Da bin ich mir sicher.