Er baute das Wahrzeichen mit auf

Wolkenkratzer lässt Fernsehturm verschwinden: „Das ist eine Schande!“

Keine Sicht auf das höchste Wahrzeichen der Hauptstadt: Das ärgert Hermann Habich (86), der vor 60 Jahren dabei war, als der Fernsehturm gebaut wurde.

Author - Norbert Koch-Klaucke
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Wolkenkratzer nimmt Sicht auf Fernsehturm: „Das ist eine Schande!“, sagt Hermann Habich (86), der zu den ersten Arbeitern gehörte, die den Fernsehturm 1965 aufbauten.
Wolkenkratzer nimmt Sicht auf Fernsehturm: „Das ist eine Schande!“, sagt Hermann Habich (86), der zu den ersten Arbeitern gehörte, die den Fernsehturm 1965 aufbauten.Veronika Hohenstein

Das Kind ist schon längst in den Brunnen gefallen. Doch die Berliner regen sich jetzt darüber auf, dass der Bau eines Wolkenkratzers am Galeria-Kaufhaus ihnen den Blick auf den Fernsehturm nimmt – an einer prominenten Sichtachse in Berlin-Mitte. Denn nun hat das Hochhaus eine Höhe erreicht, wo jeder an dieser Stelle wirklich sehen kann, wie dieser Betonklotz das höchste Wahrzeichen Berlins einfach so wegschluckt. Das macht einen Berliner jetzt ganz besonders traurig. Hermann Habich (86) aus Mitte – er hat vor 60 Jahren den Fernsehturm mitaufgebaut.

Wir treffen den Rentner an der Kreuzung Karl-Liebknecht-Straße/Memhardtstraße. Eine der sehr beliebten Sichtachsen, an denen Berliner und Touristen Fotos vom Fernsehturm machten. Dort schaut nun Hermann Habich verärgert zu dem Wolkenkratzer, wie er den Fernsehturm frisst.

„Es ist eine Schande, wie die heutigen Verantwortlichen und Stadtplaner mit diesem Baudenkmal umgehen“, sagt er. Auch Habich hat den Wolkenkratzer seit Ende 2023 in die Höhe schießen sehen. Er hat gehofft, dass man dennoch „seinen Fernsehturm“ später noch von allen Seiten aus sehen kann. Er habe auf die Vernunft und Fachkompetenz der Planer gebaut – und ist jetzt bitter enttäuscht worden.

Der Fernsehturm wird gebaut: Blick auf den Sockel (1966), der auf dem Funadament steht, an dem auch Hermann Habicht mitgearbeitet hat.
Der Fernsehturm wird gebaut: Blick auf den Sockel (1966), der auf dem Funadament steht, an dem auch Hermann Habicht mitgearbeitet hat.Wolfgang Schukze/imago

„Es macht mich traurig zu sehen, wie man in Berlin mit einem Wahrzeichen umgeht. Da wird einfach geplant und gebaut, ohne zu überlegen, ob die Menschen am Ende damit glücklich sind.“ Die Sicht auf dem Fernsehturm durch ein anderes Bauwerk zu nehmen, sei auch irgendwie respektlos gegenüber denjenigen, die an dem Wahrzeichen mitgebaut haben – so wie Hermann Habich.

„Ich gehörte zu der Truppe des Ingenieurhochbaus Berlin, die das Fundament für den Fernsehturm gelegt hat“, sagt Habich. Das war im August 1965. Damals war Habich 26 Jahre alt. „Wir waren schon eine tolle Truppe“, sagt er. Fix waren sie. Nach wenigen Monaten war Ende 1965 das Fundament fertig. Jahre dauerte der Rest. Am 6. Oktober 1969 wurde der Fernsehturm am Vorabend des 20. DDR-Geburtstages eröffnet.

Wolkenkratzer schluckt Wahrzeichen: „Wir sind stolz, auf den Fernsehturm“

„Wir waren stolz, am Fernsehturm mitbauen zu dürfen“, sagt Habich. Und der Mann ist immer noch stolz darauf, aber auch unbeschreiblich traurig, wie die heutigen Stadtväter mit DDR-Bauten wie dem Fernsehturm umgehen.

„Huch, der Fernsehturm ist ja fast weg“, sagen Peter und Sabine Brosch (beide 69) aus Mahlsdorf. Das Ehepaar hat sich nach langer Zeit einen Besuch zum Alexanderplatz gegönnt. Ins Pressecafé wollen sie eigentlich. Doch dann schauen sie von dem Eingang aus zu dem Wolkenkratzer, der kaum noch Sicht auf den Fernsehturm lässt.

Vor dem Pressecafé an der Karl-Liebknecht-Straße aufgenommen: Der Wolkenkratzer hat den Fernsehturm fast verschlungen.
Vor dem Pressecafé an der Karl-Liebknecht-Straße aufgenommen: Der Wolkenkratzer hat den Fernsehturm fast verschlungen.Veronika Hohenstein

134 Meter sollte das Hochhaus an der Galeria eigentlich werden. Doch dann wurde aufgestockt – erst im Frühjahr auf 141 Meter, dann im August auf 146 Meter. Die Behörde von Bausenator Christian Gaebler (SPD) duldete es, ließ dafür die Städtebaulichen Vereinbarungen zwei Mal ändern.

Peter und Sabine Brosch (beide 69) aus Mahlsdorf: Ein Wolkenkratzer frisst den Fernsehturm, man kann darüber lachen, wenn diese Bausünde nicht so traurig wäre, meint das Ehepaar.
Peter und Sabine Brosch (beide 69) aus Mahlsdorf: Ein Wolkenkratzer frisst den Fernsehturm, man kann darüber lachen, wenn diese Bausünde nicht so traurig wäre, meint das Ehepaar.Norbert Koch-Klaucke/Berliner KURIER

„Im Zuge der weiteren Projektplanung wurde seitens des Vorhabenträgers Commerz Real festgestellt, dass die im Bebauungsplan festgesetzte Geschossfläche von 42.000 Quadratmeter für das Hochhaus bei einer Höhe von 134 Metern nicht erreicht wird“, teilt die Pressestelle der Bauverwaltung mit. „Deshalb wurde die Höhe in einer Änderungsvereinbarung auf 146 Meter angehoben. Damit bleibt der Hochhausturm immer noch unterhalb der im Bebauungsplan festgesetzten Höhenobergrenze.“ Die liegt bei bis zu 150 Metern.

Keine Sicht auf den Fernsehturm: „Wozu braucht man dieses Hochhaus überhaupt?“

Die Broschs können darüber nur den Kopf schütteln: „In dem Wolkenkratzer sollen doch Büroräume entstehen. Braucht man dieses wirklich? Es gibt in der Stadt genug Büroflächen, die leer stehen“, sagen die Eheleute. „Wozu braucht man dieses Hochhaus überhaupt?“

Petra (72) und Eddi Bierstedt (73): „Mit den Hochhausprojekten verliert der Alex noch mehr seinen Glanz. Das Einzige was am Alex noch schön ist, ist die Weltzeituhr!“
Petra (72) und Eddi Bierstedt (73): „Mit den Hochhausprojekten verliert der Alex noch mehr seinen Glanz. Das Einzige was am Alex noch schön ist, ist die Weltzeituhr!“Norbert Koch-Klaucke/Berliner KURIER

Das fragen sich auch Petra (72) und Eddi Bierstedt (73) aus Mitte. Auch sie schauen von der Kreuzung zum Pressecafé verwundert zum Hochhaus. „Wir wohnen ja in der Nähe zu Kreuzberg. Zum Glück können wir dort aus unserem Wohnzimmerfenster den Fernsehturm noch sehen.“

Petra Bierstedt findet, dass der Alex mit seinen Hochhausprojekten immer mehr an Glanz verliert. „Ich habe den Alex noch erlebt, als damals noch Straßenbahnen fuhren, so wie heute. Dann wurde umgebaut und es gab auch Ärger, als Häuser wegen des Fernsehturm-Baus verschwanden“, erinnert sie sich. „Doch für mich war der neue Alex ein schöner Ort. Sogar das alte Kaufhaus mit seiner Wabenfassade war viel schicker als der heutige Bau. Das Einzige was am Alex noch schön ist, ist die Weltzeituhr!“

Charlotte Bachmann nimmt das Verschwinden des Fernsehturmes mit Berliner Humor: „Ich weiß doch, wie das Ding aussieht!“
Charlotte Bachmann nimmt das Verschwinden des Fernsehturmes mit Berliner Humor: „Ich weiß doch, wie das Ding aussieht!“Veronika Hohenstein

Dass die Berliner sauer auf eine verlorene Sicht auf den Fernsehturm sind, können auch Touris wie der Hamburger Stephan Schmidt (64) verstehen. „Natürlich kommt es bei der Ansicht auf Bauwerken immer auf den Standpunkt an“, sagt er. „Und bei diesen ist es wirklich schade, keinen Blick auf den Fernsehturm zu haben. Irgendwie wirkt der Wolkenkratzer-Bau, als hätte man ihn einfach so zwischen Kaufhaus und Fernsehturm hineingeklatscht.“

Passantin Charlotte Bachmann (83) nimmt dagegen das alles mit dem typischen Berliner Humor. „Ist mir doch egal, ob man den Fernsehturm noch sieht oder nicht“, sagt sie. „Ich weiß doch, wie das Ding aussieht!“