Das Kind ist schon längst in den Brunnen gefallen. Doch die Berliner regen sich jetzt darüber auf, dass der Bau eines Wolkenkratzers am Galeria-Kaufhaus ihnen den Blick auf den Fernsehturm nimmt – an einer prominenten Sichtachse in Berlin-Mitte. Denn nun hat das Hochhaus eine Höhe erreicht, wo jeder an dieser Stelle wirklich sehen kann, wie dieser Betonklotz das höchste Wahrzeichen Berlins einfach so wegschluckt. Das macht einen Berliner jetzt ganz besonders traurig. Hermann Habich (86) aus Mitte – er hat vor 60 Jahren den Fernsehturm mitaufgebaut.
Wir treffen den Rentner an der Kreuzung Karl-Liebknecht-Straße/Memhardtstraße. Eine der sehr beliebten Sichtachsen, an denen Berliner und Touristen Fotos vom Fernsehturm machten. Dort schaut nun Hermann Habich verärgert zu dem Wolkenkratzer, wie er den Fernsehturm frisst.
„Es ist eine Schande, wie die heutigen Verantwortlichen und Stadtplaner mit diesem Baudenkmal umgehen“, sagt er. Auch Habich hat den Wolkenkratzer seit Ende 2023 in die Höhe schießen sehen. Er hat gehofft, dass man dennoch „seinen Fernsehturm“ später noch von allen Seiten aus sehen kann. Er habe auf die Vernunft und Fachkompetenz der Planer gebaut – und ist jetzt bitter enttäuscht worden.

„Es macht mich traurig zu sehen, wie man in Berlin mit einem Wahrzeichen umgeht. Da wird einfach geplant und gebaut, ohne zu überlegen, ob die Menschen am Ende damit glücklich sind.“ Die Sicht auf dem Fernsehturm durch ein anderes Bauwerk zu nehmen, sei auch irgendwie respektlos gegenüber denjenigen, die an dem Wahrzeichen mitgebaut haben – so wie Hermann Habich.
„Ich gehörte zu der Truppe des Ingenieurhochbaus Berlin, die das Fundament für den Fernsehturm gelegt hat“, sagt Habich. Das war im August 1965. Damals war Habich 26 Jahre alt. „Wir waren schon eine tolle Truppe“, sagt er. Fix waren sie. Nach wenigen Monaten war Ende 1965 das Fundament fertig. Jahre dauerte der Rest. Am 6. Oktober 1969 wurde der Fernsehturm am Vorabend des 20. DDR-Geburtstages eröffnet.
Wolkenkratzer schluckt Wahrzeichen: „Wir sind stolz, auf den Fernsehturm“
„Wir waren stolz, am Fernsehturm mitbauen zu dürfen“, sagt Habich. Und der Mann ist immer noch stolz darauf, aber auch unbeschreiblich traurig, wie die heutigen Stadtväter mit DDR-Bauten wie dem Fernsehturm umgehen.
„Huch, der Fernsehturm ist ja fast weg“, sagen Peter und Sabine Brosch (beide 69) aus Mahlsdorf. Das Ehepaar hat sich nach langer Zeit einen Besuch zum Alexanderplatz gegönnt. Ins Pressecafé wollen sie eigentlich. Doch dann schauen sie von dem Eingang aus zu dem Wolkenkratzer, der kaum noch Sicht auf den Fernsehturm lässt.

134 Meter sollte das Hochhaus an der Galeria eigentlich werden. Doch dann wurde aufgestockt – erst im Frühjahr auf 141 Meter, dann im August auf 146 Meter. Die Behörde von Bausenator Christian Gaebler (SPD) duldete es, ließ dafür die Städtebaulichen Vereinbarungen zwei Mal ändern.

„Im Zuge der weiteren Projektplanung wurde seitens des Vorhabenträgers Commerz Real festgestellt, dass die im Bebauungsplan festgesetzte Geschossfläche von 42.000 Quadratmeter für das Hochhaus bei einer Höhe von 134 Metern nicht erreicht wird“, teilt die Pressestelle der Bauverwaltung mit. „Deshalb wurde die Höhe in einer Änderungsvereinbarung auf 146 Meter angehoben. Damit bleibt der Hochhausturm immer noch unterhalb der im Bebauungsplan festgesetzten Höhenobergrenze.“ Die liegt bei bis zu 150 Metern.
Keine Sicht auf den Fernsehturm: „Wozu braucht man dieses Hochhaus überhaupt?“
Die Broschs können darüber nur den Kopf schütteln: „In dem Wolkenkratzer sollen doch Büroräume entstehen. Braucht man dieses wirklich? Es gibt in der Stadt genug Büroflächen, die leer stehen“, sagen die Eheleute. „Wozu braucht man dieses Hochhaus überhaupt?“

Das fragen sich auch Petra (72) und Eddi Bierstedt (73) aus Mitte. Auch sie schauen von der Kreuzung zum Pressecafé verwundert zum Hochhaus. „Wir wohnen ja in der Nähe zu Kreuzberg. Zum Glück können wir dort aus unserem Wohnzimmerfenster den Fernsehturm noch sehen.“
Petra Bierstedt findet, dass der Alex mit seinen Hochhausprojekten immer mehr an Glanz verliert. „Ich habe den Alex noch erlebt, als damals noch Straßenbahnen fuhren, so wie heute. Dann wurde umgebaut und es gab auch Ärger, als Häuser wegen des Fernsehturm-Baus verschwanden“, erinnert sie sich. „Doch für mich war der neue Alex ein schöner Ort. Sogar das alte Kaufhaus mit seiner Wabenfassade war viel schicker als der heutige Bau. Das Einzige was am Alex noch schön ist, ist die Weltzeituhr!“

Dass die Berliner sauer auf eine verlorene Sicht auf den Fernsehturm sind, können auch Touris wie der Hamburger Stephan Schmidt (64) verstehen. „Natürlich kommt es bei der Ansicht auf Bauwerken immer auf den Standpunkt an“, sagt er. „Und bei diesen ist es wirklich schade, keinen Blick auf den Fernsehturm zu haben. Irgendwie wirkt der Wolkenkratzer-Bau, als hätte man ihn einfach so zwischen Kaufhaus und Fernsehturm hineingeklatscht.“