Grüne und SPD abgestraft

Berlin nach Bundestagswahl tiefrot: So hat die Hauptstadt gewählt

Erstmals schafft es ein AfD-Direktkandidat aus Berlin in den Bundestag, Grüne und SPD verlieren Hochburgen und die Linke triumphiert. Berlins Regierender Wegner blickt mit Sorge auf die nächste Wahl.

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Mit großem Abstand als Wahlkreissieger in Treptow-Köpenick bestätigt: Linken-Urgestein Gregor Gysi
Mit großem Abstand als Wahlkreissieger in Treptow-Köpenick bestätigt: Linken-Urgestein Gregor Gysidpa/Carsten Koall

Bittere Niederlagen für Grüne und SPD, Sensationssieg für die Berliner Linke: Erstmals überhaupt hat die Partei in Berlin die Bundestagswahl vor CDU und Grünen gewonnen und sogar grüne Hochburgen erobert.  Die SPD  sackt wie im Bund auf einen historischen Tiefstwert.

Die Bundestagswahl hat die politischen Verhältnisse im schwarz-rot regierten Berlin gehörig durcheinandergewirbelt: Plötzlich liegt die Linke auf Platz eins, die CDU landet abgestraft auf einem mäßigen zweiten Platz, die AfD erzielt starke Zugewinne, SPD und Grüne müssen herbe Verluste hinnehmen:  Sind das bereits Vorboten für die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus 2026?

Nach Auszählung aller Wahlgebiete kam die Linke auf 19,9 Prozent der Zweitstimmen. Sie ist damit fast doppelt so stark wie bei der Wahl 2021 inklusive der Teilwiederholung 2024. Gewonnen hat sie bei Bundestagswahlen in Berlin noch nie, zuletzt lag sie auf Platz vier.

Mit knappen Abständen folgen CDU, Grüne, AfD und SPD. Besonders bitter ist das Ergebnis für die SPD, die die letzte Wahl noch gewonnen hatte: 15,1 Prozent bedeuten nur Platz fünf und das schlechteste Ergebnis bei Bundestagswahlen in Berlin seit 1990.

Bundestagswahl-Erdrutsch in Berlin bei hoher Wahlbeteiligung

Zweischneidiges Ergebnis für die CDU des Regierenden Bürgermeisters Kai Wegner: Zwar schnitt sie mit 18,3 Prozent etwas besser ab als bei der vergangenen Wahl (17,2 Prozent). Damit blieb sie aber deutlich unter dem Ergebnis der Union im Bund. Die Grünen verlieren dagegen deutlich, kommen nach 22 Prozent im Jahr 2021 nur noch auf 16,8 Prozent.

Erstmals schafft es die Berliner AfD auf ein zweistelliges Ergebnis und kommt auf 15,2 Prozent (2021: 9,4 Prozent) – sie liegt damit sogar knapp vor der SPD, die nur noch 15,1 Prozent erreicht (2021: 22,2 Prozent). Das BSW kommt aus dem Stand auf 6,6 Prozent, das allerdings im Bund knapp an der 5-Prozent-Hürde gescheitert ist. Die Wahlbeteiligung lag laut Wahlleitung bei sehr guten 80,3 Prozent (2021/24: 69,5 Prozent).

Ex-Regierender Bürgermeister Müller raus!

Von den zwölf Berliner Wahlkreisen gewann die Linke vier, CDU und Grüne je drei, AfD und SPD je einen - alle direkt gewählten Abgeordneten ziehen in den Bundestag ein. Der frühere Regierende Bürgermeister Michael Müller unterlag im Wahlkreis Charlottenburg-Wilmersdorf und fliegt nach einer Legislaturperiode wieder aus dem Bundestag, da er nicht auf der SPD-Landesliste steht.

CDU-Spitzenkandidat Jan-Marco Luczak verlor im Wahlkreis Tempelhof-Schöneberg denkbar knapp gegen den Grünen-Kandidaten Moritz Heuberger, der ganze 61 Stimmen mehr auf sich vereinte. Besonders bitter für die Grünen: Sie verlieren ihre Hochburg Friedrichshain-Kreuzberg-Prenzlauer Berg Ost an die Linke. In Neukölln gewann überraschend der Linke Ferat Koçak, Treptow-Köpenick gewann Seriensieger Gregor Gysi (Linke) erneut souverän. In Marzahn-Hellersdorf siegte AfD-Mann Gottfried Curio knapp vor Mario Czaja (CDU).

Laut dem neuen Wahlrecht ziehen die Sieger im Wahlkreis allerdings nicht wie bisher automatisch in den Bundestag ein. Sie bekommen nur noch dann ein Mandat, wenn ihre Partei auf genügend Zweitstimmen kommt, anderenfalls geht der Wahlkreis leer aus. Fest steht das erst mit Bekanntgabe des vorläufigen Wahlergebnisses durch die Bundeswahlleiterin in der Nacht.

Linke Silberlocke Linker Gysi holt mit großem Abstand Direktmandat

Der Linken-Bundestagsabgeordnete Gregor Gysi hat im Berliner Wahlkreis Treptow-Köpenick Platz eins erfolgreich verteidigt - und zieht direkt in den Bundestag ein. Der 77-Jährige erreichte nach Angaben der Bundeswahlleitung 41,8 Prozent der Erststimmen. Damit setzte er sich mit großem Abstand gegen den AfD-Kandidaten Michael Walter Gleichmann (20,5 Prozent) auf Platz zwei und Dustin Hoffmann (14,1 Prozent) von der CDU durch. Gysi hat den Wahlkreis seit 2005 durchgängig für die Linke gewonnen.

Der 77-Jährige hatte im November die „Mission Silberlocke“ mit den beiden langjährigen Linken-Politikern Bodo Ramelow und Dietmar Bartsch gestartet. Ziel war, dass jeder der drei ein Wahlkreismandat gewinnt und so über die sogenannte Grundmandatsklausel der Partei den Einzug in den Bundestag sichert. Mit 77 Jahren und als dienstältester Bundestagsabgeordneter rechnet er damit, zur Eröffnung des Parlaments als Alterspräsident zu amtieren.

Erstmals Berliner AfD-Kandidat direkt im Bundestag: Gottfried Curio

(dpa/bb) Die AfD hat erstmals bei einer Bundestagswahl in einem Berliner Wahlkreis die meisten Erststimmen errungen. Im Wahlkreis 84 Berlin-Marzahn-Hellersdorf setzte sich Gottfried Curio knapp durch, der seit 2017 für die AfD im Bundestag sitzt. Mit 29,5 Prozent der Erststimmen zieht er direkt in den Bundestag ein, wie die Bundeswahlleitung am frühen Morgen mitteilte.

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Mario Czaja, der das Direktmandat bei der Wahl im Jahr 2021 geholt hatte, lag mit 29,2 Prozent nur denkbar knapp hinter Curio.

Wegner mit CDU-Ergebnis unzufrieden

Der Regierende Bürgermeister und CDU-Landeschef Kai Wegner erklärte, zwar habe CDU hat die Bundestagswahl mit deutlichem Vorsprung gewonnen und einen klaren Regierungsauftrag erhalten. „Dennoch kann das Wahlergebnis nicht zufriedenstellen.“ Von der Debatte um die Brandmauer zur AfD hätten vor allem die politischen Ränder profitiert. Darüber werde zu reden sein.

Die Grünen-Vorsitzenden Nina Stahr und Philmon Ghirmai erklärten: „Wir hatten von diesem Abend sowohl bundesweit als auch in Berlin mehr erhofft.“ Der Verlust des Direktmandats in Friedrichshain-Kreuzberg sei ein herber Schlag.

Die AfD-Landesvorsitzende Kristin Brinker sagte: „Das gute Abschneiden in Berlin erfüllt uns mit Genugtuung. Das sind optimale Voraussetzungen für die Abgeordnetenhauswahl im kommenden Jahr.“

Panne in Wilmersdorf: Chip kaputt

Rund 2,4 Millionen Menschen waren in Berlin zur Wahl aufgerufen. Größere Zwischenfälle gab es nach Angaben von Landeswahlleiter Stephan Bröchler nicht.

Zu einer Panne kam es in Berlin-Wilmersdorf. Dort konnte am Morgen ein Wahllokal in einer Jugendfreizeiteinrichtung nicht wie geplant öffnen. Die Wählerinnen und Wähler wurden zu einer fußläufig entfernten Sekundarschule geleitet, wo sie ihre Stimme abgeben konnten. Gegen Mittag öffnete das ursprüngliche Wahllokal dann doch noch. Ursache der Panne war, dass der Chip für die Tür zunächst nicht funktionierte, wie Bröchler sagte.

Mehrere Festnahmen bei Protesten gegen CDU und AfD in Berlin

Eine Demonstration vor der CDU-Zentrale in Berlin war am Abend deutlich kleiner als erwartet – laut Polizei kamen 75 Teilnehmer, angemeldet waren 750. Bei Protesten nahe der AfD-Bundesgeschäftsstelle gab es drei Festnahmen.

Fünfte Wahl in Berlin binnen dreieinhalb Jahren

Der Wahltag in Berlin war schon der fünfte innerhalb von dreieinhalb Jahren. Bei der Bundestagswahl 2021 und der gleichzeitigen Wahl zum Landesparlament hatte es in Berlin zahlreiche schwerwiegende Pannen gegeben. Die Abgeordnetenhauswahl musste deshalb 2023 vollständig, die Bundestagswahl ein Jahr später in einem Fünftel der Berliner Wahlbezirke wiederholt werden. Im Juni 2024 folgte die Europawahl.

Im bisherigen Bundestag waren 25 Berliner Abgeordnete vertreten. SPD und Grüne stellten je sechs, die CDU fünf, AfD und Linke je drei und die FDP zwei.