Der klare KURIER-Kommentar

Wie schaffte es die Linke? Grüne haben in Kreuzberg nichts mehr zu sagen!

Totgesagte leben länger: Das trifft auf die SED-Nachfolgepartei zu, die völlig überraschend Berlin eroberte und die Grünen aus ihrer wichtigsten Hochburg vertrieb.

Author - Norbert Koch-Klaucke
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Sie ist eine von den Parteichefs: Heidi Reichinnek hat es geschafft, bei der Wahl die Linken aus der Versenkung zu holen. Sie sitzen im Bundestag, sind Wahlsieger in Berlin, wo sie die Grünen aus einer ihrer Hochburgen vertrieben.
Sie ist eine von den Parteichefs: Heidi Reichinnek hat es geschafft, bei der Wahl die Linken aus der Versenkung zu holen. Sie sitzen im Bundestag, sind Wahlsieger in Berlin, wo sie die Grünen aus einer ihrer Hochburgen vertrieben.Jens Schicke/imago

„Totgesagte leben länger“, hatte DDR-Staatschef Erich Honecker Anfang Oktober 1989 gesagt. Auf ihn selbst traf das nicht zu. Wenige Wochen später war er weg vom Fenster und die Mauer fiel. Aber das Sprichwort mit den Totgesagten passt gut auf die Partei, die am Ende der DDR einst aus der SED entstand, zwischendurch PDS hieß und sogar noch vor Tagen als abgeschrieben galt: die Linkspartei!

Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt: Sogar die Zeile der DDR-Nationalhymne beschreibt treffend, wie die Linke am Wahlabend plötzlich aus der Versenkung schoss. Ohne zittern zu müssen, kommen sie mit über acht Prozent der Stimmen in den Bundestag. Das schaffte nicht einmal die Glanzfigur Sahra Wagenknecht mit ihrem BSW, die einst bei den Linken war und an deren „Aus-der Reihe-tanzen“ die Linke fast zerbrochen wäre.

In Berlin schafften die Linken noch viel mehr! 35 Jahre nach dem Mauerfall ist die SED-Nachfolgepartei mit knapp 20 Prozent der Wählerstimmen wieder der Wahlsieger in der Hauptstadt. Es ist schon überraschend, wie die Linken den Berliner Grünen ihre so sicheren Hochburgen in Friedrichshain-Kreuzberg nahmen. Dort wird zwar Habecks-Partei auf Bezirksebene weiter regieren. Aber zu Sagen hat sie dort bei der so woken Generation nun so wirklich gar nichts mehr.

Die Grünen sind in der Tat ein Grund, warum die Linken erstarkten. Bevormundungen und Verbote (etwa in der Verkehrspolitik) hatten besonders die Berliner Grünen drauf. Besonders übel war es, wie sie es mit offenbar falschen Beschuldigungen schafften, einen sicheren Direktkandidaten (Fall Gelbhaar) aus dem Rennen zu schießen.

Dabei verloren die Grünen vollkommen die sozialen Sorgen der Bürger aus dem Blick, die sich nicht so locker einmal ein teures Lastenfahrrad leisten können. Ähnlich wie die SPD überließ man nun den Linken die wichtigen Themen wie Mieten, Arbeitslosigkeit, Vermögenssteuer. Und das kam vor allem bei den jungen Wählern bis 24 Jahre an, die sonst eher Grün gewählt hätten.

Wahltriumph: Heidi Reichinnek ist der neue Star bei den Linken

Und eins darf man auch nicht vergessen – die Linken punkten mit einem neuen Star: Heidi Reichinnek  (36), Ostdeutsche, seit einem Jahr Mit-Parteichefin. Mit klaren, harten Ansagen gegen rechts und gegen Kanzler-Favorit Friedrich Merz (CDU) punktete sie bei der Jugend. Bei den Älteren fand ihr Durchpeitschen der sozialen Themen Anklang.

Vor allem beim Thema Mieten sorgten die Linken für Aufmerksamkeit, riefen im Wahlkampf die Bürger auf, mögliche Falschabrechnungen der Vermieter in einer sogenannten Mietwucher-App zu melden. Alles Sachen, die sich keiner bei den Grünen und der SPD wagten. Und es waren Themen, die im Migrations- und Ukraine-Krieg-Wahlkampf der anderen völlig untergingen.

Alt-Star Gregor Gysi (Die Linke) holte bei der Mission Silberlocke 47 Prozent der Erststimmen in seinem Wahlbezirk in Treptow-Köpenick.
Alt-Star Gregor Gysi (Die Linke) holte bei der Mission Silberlocke 47 Prozent der Erststimmen in seinem Wahlbezirk in Treptow-Köpenick.Carsten Koall/dpa

„Heidis Truppe“ griff vor allem dort an, wo die Wähler zu Hause sind. Die Jungen traf die Linke vermehrt mit Aktionen in den sozialen Medien im Internet, während die Linken-Altstars wie Gregor Gysi (ganz hip „Silberlocke“ genannt) die Älteren verstärkt an den Wohnungstüren und in den Kiezen ansprach.

Falsch war es nicht. Und genützt hat es auch. Denn nun sitzen die so immer überschlauen Grünen nicht alleine im Bundestag auf der Oppositionsbank. Zusammen mit den Linken könnten sie durchaus eine starke und sinnvolle Kraft im Parlament bilden.

Nicht etwa nur, um die Regierung des neuen Kanzlers Merz mit vernünftigen Argumenten im Zaum zu halten. Vor allem, um den blauen Nachbarn, der AfD, kräftig Paroli zu bieten. Denn diese ziehen stärker als je zuvor in den Bundestag ein und sitzen ebenfalls auf der Oppositionsbank. ■