Im Abseits trotz hoher Gewinne

Gemein? Der Osten ist AfD-blau – doch die AfD darf nicht mitregieren

Im Osten Deutschlands hat die AfD haushoch gewonnen. Im neuen Bundestag ist sie die zweitstärkste Kraft. Ist das wirklich undemokratisch, wenn keiner mit dieser Partei regieren will?

Author - Norbert Koch-Klaucke
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AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel: Trotz Wahlerfolg schiebt sie Frust, weil keiner mit ihr und ihrer Partei regieren will.
AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel: Trotz Wahlerfolg schiebt sie Frust, weil keiner mit ihr und ihrer Partei regieren will.Julian Schultenstraten/dpa

Der Frust ist groß und Deutschland wieder einmal politisch geteilt. Gemeint ist Kanzlerkandidatin Alice Weidel und ihre AfD, die nach der Bundestagsneuwahl die zweitstärkste Kraft im künftigen Parlament bildet, die Anzahl ihrer Stimmen sogar verdoppelte und dennoch nicht mitregieren darf.  Dabei erreichte die teilweise rechtsextreme Partei im ganzen Osten des Landes, mit Ausnahme Berlins, Spitzenwerte von 32,5 Prozent in Brandenburg bis 38,6 Prozent in Thüringen – und ist dort Wahlsieger. Die Region ist AfD-blau, die sich in den Grenzen der einstigen DDR zeigt.

Schon gleich nach Bekanntgabe der Prognose und den ersten Hochrechnungen ist klar: Alice Weidel hat mit ihrer Partei einen haushohen Sieg eingefahren – und trotzdem muss sie sich wie ein Verlierer fühlen. Von allen Parteien, die es in den Bundestag geschafft haben, wird die AfD ignoriert, bewusst geschnitten.

Besonders ärgerlich wertet Weidel das Verhalten der Union und die des künftigen Kanzlers Friedrich Merz, der die Alternative für Deutschland für eine Regierungsmitarbeit schroff abweist. Dabei hatte er noch vor Tagen im Bundestag einen Migrationsantrag mit den Stimmen der Rechten durchgebracht.

Trotz des Erfolges und der neuen Stärke: Die AfD wird einfach übergangen. Weidel zeigt am Tag nach der Wahl deutlich ihren Frust in Richtung Union, spricht von einer Blockadehaltung.

Die AfD-Spitze, die das Land gerne regieren würde: Tino Chrupalla kommt aus dem Osten Deutschlands, Alice Weidel pendelt zwischen Deutschland und der Schweiz.
Die AfD-Spitze, die das Land gerne regieren würde: Tino Chrupalla kommt aus dem Osten Deutschlands, Alice Weidel pendelt zwischen Deutschland und der Schweiz.M. Popow/imago

„Der Wähler wünscht sich eine Mitte-Rechts-Regierung“, sagt sie. „Wir werden die CDU in den nächsten Jahren überholen und das wird sehr, sehr schnell gehen.“ Weidel deutet damit an: Der Ton und das Auftreten der AfD im Bundestag dürften schon aufgrund ihrer Fraktionsgröße noch einmal deutlich selbstbewusster werden, als bisher schon.

Wie sehr, machte Weidel bereits in einem Satz nach der Wahl klar, in dem sie in Anspielung auf eine Äußerung von Ex-Parteichef Alexander Gauland angekündigte: „Wir werden die anderen jagen, dass sie vernünftige Politik für unser Land machen.“

Die Wählerschaft, vor allen die aus dem Osten des Landes, versteht den Frust, den die Oberen bei der AfD jetzt schieben. Denn auch die Männer und Frauen, die bei der AfD ihr Kreuz machten, finden es „undemokratisch“, dass keiner mit ihrer Partei regieren will.

Ist es undemokratisch, wenn die AfD nicht zum Zuge kommt?

Doch ist das wirklich gemein, die AfD nicht zum Zuge kommen zu lassen, obwohl sie eine große Wählerschaft vorweisen kann? Politikwissenschaftler sehen das nicht so.

Erinnern wir uns an die Landtagswahl im September 2024 in Thüringen. Die AfD hatte dort mit über 30 Prozent die meisten Stimmen eingefahren. Und dennoch sitzt sie auf der Oppositionsbank. Stattdessen regiert CDU-Ministerpräsident Mario Voigt  mit BSW und SPD. Ist das gemein?

Nein, erklärte damals Politik-Professor Wolfgang Schroeder von der Uni-Kassel. Denn was der AfD passiert, ist in  Deutschland kein Einzelfall. Auch angesehene Parteien können trotz hohem Wahlsieg nicht zum Zuge kommen.

Politikwissenschaftler Prof. Wolfgang Schroeder
Politikwissenschaftler Prof. Wolfgang SchroederDavid Ausserhofer/WZB Berlin/dpa

Bei der Bundestagswahl 1976 hatte Helmut Kohl ein Wahlergebnis von 48 Prozent erreicht, und ihm war trotzdem keine Regierungsbeteiligung möglich, erklärte Schroeder in einem Interview mit dem MDR mach der Thüringen-Wahl. Bezogen auf die AfD erklärte der Politik-Forscher: Wenn andere mit einer Partei nicht zusammengehen wollen, sei dies nicht „undemokratisch“.

Im Gegenteil, die betroffene Partei müsse sich fragen, warum das so ist. „Wenn man in der eigenen, programmatisch personellen Aufstellung so unverträglich ist, dass sich keine Partner finden, dann kann man auch 48 Prozent haben und wird nicht zum Zuge kommen“, sagte Schroeder.

Partei trotz hoher Gewinne ignoriert: AfD ist kein Einzelfall

Aktuell nimmt der Parteienforscher ebenfalls zur AfD-Situation Stellung. Die AfD müsse erkennen, „dass sie mit ihrer permanenten Radikalisierung ihre eigenen Machtmöglichkeiten beschneidet – auch wenn sie mehr Stimmen bekommt“, sagt Schroeder.

Die AfD möchte dorthin, wo andere europäische Rechtsaußen-Parteien bereits sind: in die Regierung. Möglich wäre das nur, wenn die Union ihre „Brandmauer“ aufgibt und mit ihr koaliert. Wird die Union das tun? Langfristig sei dies die „Schlüsselfrage“ für die Union, prophezeit Schroeder.

Bleibt noch die Frage: Warum ist die AfD überhaupt so erfolgreich, vor allen im Osten des Landes? Zunächst gelang es der Partei viele jugendliche Wähler auf ihre Seite zu ziehen. Genau die Altersgruppe, die bei vorangegangenen Wahlen besonders für die Grünen und auch für die FDP stimmten.

Bundestagswahl Zweitstimmen: Fast der ganze Osten Deutschlands zeigt sich im AfD-blau.
Bundestagswahl Zweitstimmen: Fast der ganze Osten Deutschlands zeigt sich im AfD-blau.Infografik/dpa

Das ist schon überraschend: Die AfD, die Umwelt- und Klimaschutz nicht gerade abfeiert und „Windräder niederreißen will“, punktet mit knallharter Flüchtlings- und Einwanderungspolitik bei der Jugend! Starke Ergebnisse erzielte sie auch unter Arbeitern (38 Prozent) und unter jenen Wählern, die ihre wirtschaftliche Situation als schlecht einstufen (ebenfalls 38 Prozent).

Ist jeder ostdeutsche AfD-Wähler ein Nazi?

Profitiert hat die AfD wohl auch davon, dass das Thema Migration im Wahlkampf so zentral war: Bei Infratest dimap fanden es 46 Prozent der Befragten grundsätzlich gut, dass die AfD den Zuzug von Migranten begrenzen will.

Der Osten im AfD-blau: Das bedeutet nicht, dass jeder Ostdeutschen gleich ein Nazi ist, der diese Partei gewählt hat. Allerdings sollten die Wähler schon wissen, wem sie da ihre Stimme geben. In Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt wurde die AfD von den jeweiligen Landesämtern für Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft.

Der Dresdner Politikwissenschaftler Hans Vorländer erklärt, dass die Partei in absehbarer Zeit nicht an Wählergunst verlieren wird. „In Ostdeutschland ist die AfD inzwischen so flächendeckend verwurzelt, dass sie zur Lebenswelt der Menschen gehört“, sagt der Forscher.

Der Grund: Die Partei habe sich bei den Menschen als Plattform für Unzufriedenheit mit Politik allgemein und mit anderen Parteien „normalisiert“. Daher wird sie inzwischen im Osten Deutschlands von allen denkbaren Gesellschaftsschichten wie von Arbeitern, Arbeitslosen, von jungen Menschen, Selbstständigen und dem Mittelstand gewählt.

Es gebe im Osten eine „lebensweltliche Identifizierung“ mit der AfD, die das Wahlverhalten zugleich verfestige, sagte Vorländer. Er bezweifelt daher, ob ein vom mutmaßlich künftigen Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) angestrebter Politikwechsel die AfD schrumpfen lasse.

Mehr als in anderen Regionen Deutschlands komme es besonders im Osten des Landes auf starke Führungspersönlichkeiten an, die sich über Jahre hinweg „ein Image erarbeitet haben und die Chance haben, die Machtoptionen der AfD einzugrenzen“. Als Beispiele nannte der Forscher die Ministerpräsidenten von Sachsen und Brandenburg, Michael Kretschmer (CDU) und Dietmar Woidke (SPD).

Beide verhalfen ihren Parteien bei den Landtagswahlen im September 2024 zum Wahlsieg. Unionskanzlerkandidat Merz hingegen habe im Osten nicht punkten können.

Merz sei kein volkstümlicher Politiker und habe allein durch seinen Habitus Schwierigkeiten, bei den Ostdeutschen anzukommen. Für die CDU und die anderen Parteien gehe es nun vor allem darum, die Menschen im eigenen Lager zu halten und den „Zustrom“ zur AfD zu bremsen, betont der Dresdner Politikwissenschaftler. ■