Bürger wehren sich gegen das Baumfällen an der S-Bahn-Trasse: Fast 2500 Menschen haben für einen neuen Ansatz votiert. Sie fordern wie Silke Pfeiffer (52), Andreas Zeidler (52) und Thomas Hirschberg (75), dass mit mehr Augenmaß vorgegangen wird.
Bürger wehren sich gegen das Baumfällen an der S-Bahn-Trasse: Fast 2500 Menschen haben für einen neuen Ansatz votiert. Sie fordern wie Silke Pfeiffer (52), Andreas Zeidler (52) und Thomas Hirschberg (75), dass mit mehr Augenmaß vorgegangen wird. Volkmar Otto

In Pankow soll es demnächst mit großen Bauarbeiten an der Wollankstraße losgehen. Und dafür sollen hunderte Bäume fallen.

Die alte Eisenbahnbrücke von 1901 wird durch einen Neubau ersetzt. Am nördlichen Ende des S-Bahnhofs entsteht ein neuer Zugang zum Bahnhof. Auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs Berlin-Schönholz entsteht hinter dem Kinderbauernhof Pinke-Panke eine Wartungsanlage für ICE und IC. Die Inbetriebnahme ist für das Jahr 2026 vorgesehen.

So weit, so fortschrittlich. Wenn Deutschland den Schienenverkehr ausbauen, und damit ökologisch verträglicher unterwegs sein will, sind diese Maßnahmen nötig. Anwohner aber fragen sich, warum für all diese Arbeiten vorsorglich und sehr gründlich alles vorhandene Grün an der S-Bahn-Trasse entfernt werden muss.

1000 Bäume auf Mauerstreifen sollen fallen

Die Mitglieder der Initiative „Kahlschlag 2030“ fürchten, dass in den kommenden Tagen bis zu 1000 Bäume auf dem denkmalgeschützten Grünen Band gerodet werden – wir sprechen vom ehemaligen Mauerstreifen zwischen Wollankstraße und Bürgerpark, der eine öffentliche Grünanlage und Teil eines Landschaftsschutzgebiets (LSG) ist.

Von der Informationspolitik der Bahn sind die Anwohner, die zum Teil bisher gar nicht von den massiven Eingriffen wussten, maßlos enttäuscht. „Es geht uns gar nicht darum, das Projekt der ökologischen Verkehrswende zu behindern“, sagt Silke Pfeiffer. Doch wie viel gerodet wird, und wo Ausgleich geschaffen wird, wurde bisher nicht transparent genug kommuniziert, kritisiert sie. 

Komplette Fällung: Zu einfach und zu ideenlos

Mittlerweile haben fast 2500 Menschen ihre Petition unterzeichnet. Es muss doch einen Mittelweg eben – Verkehrswende ja, aber ohne komplette Rodung – fordern die Anwohner. Die Initiative kritisiert, dass die Bahn sich die Fällung vieler Bäume aus Gründen der Bauvereinfachung vorbehalte. Man verstehe den Bedarf an Modernisierung, heißt es in der Petition. „Aber das komplette Fällen der Bäume erscheint uns dann doch zu einfach und zu ideenlos.“

Sämtliche Bäume entlang des Bahndamms sind bedroht. Tabula rasa, weil es so einfacher ist. 
Sämtliche Bäume entlang des Bahndamms sind bedroht. Tabula rasa, weil es so einfacher ist.  Volkmar Otto

Man wolle ein Bewusstsein dafür schaffen, dass an diesem historisch bedeutsamen Ort „nur gerodet wird, was unbedingt gerodet werden muss“, sagt Pfeiffer. „Man darf nicht einfach aus Bequemlichkeit Tabula rasa machen. Es sollte so verträglich wie möglich ablaufen.“ Doch der Forderung nach mehr Information und Beteiligung der Betroffenen sind bisher weder die Bahn noch die Politik vor Ort nachgekommen. 

Kunstaktion zur Rettung der Bäume

Am vergangenen Sonntag hat die Initiative daher eine Kunstaktion gestartet, um auf den drohenden Kahlschlag aufmerksam zu machen. Mit weißen Banderolen wurden die todgeweihten Bäume, viele von ihnen drei Jahrzehnte alt, markiert. Hier stand einst die Berliner Mauer, heute spenden die Bäume Luft und Schatten in einer immer dichter bebauten Stadt.

Mit einer Kunstaktion wollen die Anwohner auf den drohenden Kahlschlag aufmerksam machen. 
Mit einer Kunstaktion wollen die Anwohner auf den drohenden Kahlschlag aufmerksam machen.  Silke Krüger 

Dass für die gefällte Bäume und Sträucher an gleicher Stelle Ausgleich geschaffen wird, ist nicht zu erwarten: Der Tagesspiegel zitiert aus dem Planfeststellungsbeschluss des Eisenbahn-Bundesamts: darin heißt es lediglich, es würden Obst- und Straßenbäume, Rasen und Büsche gerodet – teilweises ohne Ersatz zu schaffen. Es komme zu „baubedingten Verlusten von trassenbegleitenden Gehölzen“ durch die „Einrichtung einer Böschungsauffahrt auf dem Bahndamm und Neuanlage von Böschungen sowie der Errichtung der Lärmschutzwand“. Außerdem würden Bäume („Gehölzbestände“) für den „Ausbau der zukünftigen zweigleisigen Fernbahntrasse (…) dauerhaft beseitigt“.

Weil die Flächen vor Ort begrenzt sind, kauft sich die Bahn zudem von Ersatzpflanzungen frei: „Die übrigen zu kompensierenden Eingriffe (werden) in Form einer zweckgebundenen Ersatzzahlung in Höhe von 116.207 Euro an das Land Berlin ausgeglichen.“

Anstelle eines Grünen Bandes wird in Pankow ein graues Band bestehend aus einer Lärmschutzwand mit einigen wenigen Zierkirschen, die bleiben sollen, geschaffen.

Pankower Bürger fühlen sich überrumpelt

Doch bis zum Auftreten der Bürgerinitiative kannte kaum ein Anwohner die Ausmaße des Fünfjahresprojekts. Eine Info-Veranstaltung der Bahn habe im Oktober das Fass zum Überlaufen gebracht, sagt Silke Pfeiffer. Einladungen seien in der gesamten Nachbarschaft erst am Tag des Bürgergesprächs per Post zugestellt worden. „Das war kein Zufall“, so Silke Pfeiffer, „man hat offenbar Angst vor den Fragen der Anwohner und schürt doch genau mit solchen Tricks das Misstrauen.“

 Thomas Hirschberg (75) kann von seinem Balkon die Bäume an der S-Bahn sehen. Wie lange noch?
 Thomas Hirschberg (75) kann von seinem Balkon die Bäume an der S-Bahn sehen. Wie lange noch? Volkmar Otto

Die Bäume entlang des Mauerwegs sind nicht nur Teil der Pankower Stadtlandschaft, sondern auch Zeugen des Zusammenwachsens und der Entwicklung des besonderen Ortes an der Grenze zwischen Ost und West. Durch die geplanten Böschungsarbeiten könnten außerdem unter Denkmalschutz stehende Mauerfragmente verdeckt werden. „Obwohl wir den Bedarf an einer Infrastrukturerweiterung erkennen, ist es uns ein tiefes Anliegen, dieses Stück unserer Geschichte und unser wertvolles Naturdenkmal zu bewahren“, sagt Andreas Zeidler. „Wir fragen uns, ob die geplante Baumfällung wirklich ohne Alternative ist.“

Die Bürgerinitiative fordert zunächst einen Aufschub der geplanten Maßnahmen. Und dann ein offenes und vertrauensbildendes Gespräch zwischen den Beteiligten, um folgende Fragen zu klären:

Wie viele Bäume werden im Zuge der Baumaßnahme gefällt? Auf welchen Flächen und zu welchem Zeitpunkt gibt es Ersatzpflanzungen? Gibt es hier Veränderungen seit Beginn der Planfeststellung, sind diese wirklich alternativlos? Ist der Bezirksverwaltung die historische Dimension des Parks entlang des Mauerwegs bekannt? 

Bis auf die Zierkirschen entlang des Mauerwegs sollen alle Bäume und Gewächse weichen.
Bis auf die Zierkirschen entlang des Mauerwegs sollen alle Bäume und Gewächse weichen. Volkmar Otto

„Gemeinsame Lösungen sind das Ziel, die den Interessen der Deutschen Bahn und den Belangen einer nachhaltigen und von den Bürger:innen getragenen Stadtentwicklung gerecht werden“, sagt der Pankower Grünen-Abgeordnete Stefan Gelbhaar. Das setze allerdings voraus, dass die Bahn keine voreiligen Fakten schafft. „Bevor erforderliche Fällungen anstehen, muss es zu einem erneuten Austausch vor Ort mit den Anwohnerinnen und Anwohnern sowie den involvierten Ämtern kommen. Um zu informieren und zu beteiligen und um Vertrauen aufzubauen. Dafür setze ich mich ein, etwa durch die gezielte Ansprache der Bahn. Es geht immerhin um die Verkehrswende – und nicht minder um den Schutz von Stadtnatur.“

Riesenbaustelle rund um S-Bahnhof Wollankstraße

Auch auf den Verkehr in ganz Pankow wird die Baustelle große Auswirkungen haben. Während Bus-, Fuß- und Radverkehr, abgesehen von „temporären Vollsperrungen“, weiter fließen können soll, wird der Pkw-Verkehr auf der Wollankstraße „für die Bauzeit großräumig umgeleitet“, teilte die Senatsverkehrsverwaltung unlängst mit. Bei der S-Bahn wird es über den gesamten Bauzeitraum „zu Sperrungen unterschiedlichsten Umfangs kommen“.