Wie zuverlässig sind die Prognosen, die im Abstand weniger Tage vor den Bundestagswahlen veröffentlicht werden? Zwei neue Umfragen zeigen in diesen Tagen völlig unterschiedliche Trends, aber bei allen Prognosen fällt beim näheren Hinsehen ein Defizit auf: Es fehlt die möglicherweise wichtigste Wählergruppe!
Mit Hochspannung schauen Polit-Nerds auf die neuesten Umfragen, nachdem CDU/CSU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz durch die Abstimmung mit der AfD im Bundestag heftige Proteste ausgelöst hatte. Bricht die Union ein oder profitiert sie sogar davon, kann die AfD zulegen?
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Zwei Wahlumfragen, völlig unterschiedliche Trends
Die jüngste, am Mittwoch veröffentlichte Umfrage stammt vom Internet-Umfragedienst YouGov, dessen Wahlumfrage völlig anders erhoben wird als die der traditionellen Institute wie Forschungsgruppe Wahlen und Forsa. Diese befragen nach bewährten Kriterien zufällig ausgesuchte Wahlberechtigte per Telefonumfrage. YouGov befragt dagegen registrierte Internetnutzer. Diese fügen sich zu einem anderen Meinungsbild, das sich so zusammenfassen lässt: Die Union bleibt trotz allen Wirbels um die gemeinsame Abstimmung mit der AfD klar vorn, liegt weit vor allen anderen Parteien mit 29 Prozent, gefolgt von der AfD, die laut YouGov auf 22 Prozent kommt. Verlierer der Woche wären demnach die Grünen, die auf zwölf Prozent absacken, während die Linke um einen Punkt auf sechs Prozent steigt. Überraschender Gewinner der Woche wäre die SPD, die auf einen seit Juli nicht mehr gemessenen Höchstwert von 18 Prozent kommt.
Einen Tag zuvor war die von RTL/n-tv beauftragte Umfrage von Forsa erschienen. Das Berliner Institut baut wie eh und je auf Telefonumfragen. Die Befragten äußerten am Telefonhörer andere Meinungen: Mit nur noch 28 Prozent kommt die Union auf den tiefsten Wert seit Oktober 2023! Sie bleibt damit zwar weiterhin stärkste Partei vor der AfD mit 20 Prozent. Aber einen Anstieg für die SPD gibt es nicht, sie verharrt bei 16 Prozent, während die Grünen auf 15 Prozent einen lange nicht mehr gemessenen Höchstwert erreichen. FDP und BSW würden demnach die Fünf-Prozent-Hürde verfehlen, kämen also überhaupt nicht in den Bundestag, wohl aber die Linke mit fünf Prozent.
Die auf dem Portal wahlrecht.de veröffentlichten Umfragewerte offenbaren jedoch das Hauptproblem aller Umfragen, die in diesen Tagen veröffentlicht werden: Die Werte von CDU/CSU bis Sonstige addieren sich wundersamerweise stets auf 100. Forsa hatte jedoch bei den Umfragen zwischen Dezember und Januar eine massiv ansteigende Zahl von Unentschlossenen ermittelt, die in die Prozentzahlen überhaupt nicht einfließen. Zwar werden sie in den Umfragen als Nichtwähler erfasst, das steht jedoch überhaupt nicht fest. Ein unbekannter Anteil dieser bislang Unentschlossenen wird als Kurzentschlossene doch wählen gehen – und kann den Wahlausgang komplett verändern. Betrug die Zahl dieser Unentschlossenen laut Forsa Mitte Dezember noch 22 Prozent, waren es im Januar schon 28 Prozent, also so viel wie der gesamte Stimmenanteil von CDU und CSU – Millionen Stimmen, die den Wahlausgang durcheinander wirbeln könnten!
Bundestagswahl: Verliert Merz die sicher geglaubte Wahl, kommt es zur Überraschungs-Koalition?
Wenn es BSW und FDP nicht in den Bundestag schaffen, erhöht sich für andere Parteien die Anzahl an Sitzen im Bundestag – und das führt den Forsa-Zahlen zufolge derzeit zu einer bislang unerwarteten Situation: SPD, Grünen und Linken fehlen zusammen gerade mal 46 Sitze für eine sogenannte Kanzlermehrheit, also die Mindestzahl an Sitzen, um eine Mehrheitsregierung zu bilden und einen Kanzler wählen zu können. Theoretisch könnten Unentschlossene einer solchen Koalition die fehlenden Stimmen geben – oder aber auf der anderen Seite des politischen Spektrums der AfD deutlich mehr Stimmen verschaffen, als dies die Umfragen bisher prognostizieren. Sie könnte angesichts von wenigen Prozentpunkten Unterschied zur Union durchaus noch stärkste Partei werden – selbst ein Wahlsieg von SPD oder Grünen wären angesichts solcher Unwägbarkeiten nicht kategorisch auszuschließen.
Der Blick auf die Präsidentschaftswahlen in den USA zeigt, dass sich ein sicher geglaubter Sieg am Wahltag rasch in Luft und Tränen auflöst. Wahlentscheidend waren in den USA bestimmte Wählergruppen wie Latinos und essenzielle Sorgen wie die Inflation. So heftig in diesen Tagen um Migration gestritten wird: Die Alltagssorgen der Menschen wie unbezahlbare Mieten, die Angst vor Krieg oder Faschismus bewegen mehr Menschen, als es die Umfragen derzeit abbilden. Entschieden wird die Wahl erst am 23. Februar bei Schließung der Wahllokale. ■