Die Partei Alternative für Deutschland (AfD) gilt offiziell seit 2019 als „Prüffall“ und seit 2021 als „Verdachtsfall“ für den Verfassungsschutz und ist in mehreren Bundesländern als eindeutig verfassungsfeindlich eingestuft. Dennoch sitzt die Partei mit 83 Abgeordneten im Bundestag und wird nach den Bundestagswahlen voraussichtlich einen deutlich höheren Stimmenanteil erreichen.
Geheimbericht: AfD-Vorstellungen „mit der Achtung der Menschenwürde unvereinbar“
Im Herbst 2024 hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz ein aktualisiertes Gutachten über die AfD fertiggestellt, in dem offenbar die Verfassungsfeindlichkeit der AfD auch auf Bundesebene zweifelsfrei festgestellt wird. Aufgrund des auf den 23. Februar 2025 vorgezogenen Wahltermins entschied die Behörde, das brisante Papier doch nicht zu veröffentlichen. Dies begründete der damalige Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang in einem taz-Interview so: „Die Verkündung dieses Prüfergebnis noch in diesem Jahr war mit der vorgezogenen Neuwahl obsolet – das wäre zu nah an den Wahltermin gerückt.“
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Beim Verfassungsschutz befürchtet man, dass die Veröffentlichung als Wahl-Beeinflussung aufgefasst werden könnte – unter anderem auch im Zusammenhang mit dem Umstand, dass Thomas Haldenwang sich selbst als CDU-Kandidat zur Wahl stellt. Derzeit verklagt das Medienhaus Correctiv den Verfassungsschutz auf Auskunft zum aktuellen Stand des Gutachtens. Eine Campact-Petition, die eine Veröffentlichung des AfD-Berichts noch vor den Wahlen fordert, hatte am Dienstag knapp 380.000 Unterschriften. Nun ist das unabhängige Demokratie-Portal netzpolitik.org vorgeprescht und veröffentlicht eine Fassung des Berichts aus dem Jahre 2021, den der Verfassungsschutz daraufhin mit aktuellen Erkenntnissen vervollständigte.
Auf den 1000 Seiten des AfD-Geheimberichts werden zahlreiche Anhaltspunkte für die Verfassungsfeindlichkeit der AfD aufgeführt und belegt, aber auch feststellbare Bestrebungen von Teilen der Partei erwähnt, sich davon abzugrenzen. Dazu gehört der von der AfD inzwischen offensiv verwendete Begriff „Remigration“ und „Umvolkung“, was die Deportation von Menschen mit Migrationshintergrund und Andersdenkenden meint. Diese völkischen Vorstellungen der AfD seien „mit der Achtung der Menschenwürde unvereinbar“, heißt es wörtlich in dem Bericht.
AfD-Geheimbericht: zahlreiche Belege für verfassungsfeindliche Bestrebungen
Grundgesetzwidrige Fremdenfeindlichkeit, Muslim- und Islamfeindlichkeit sieht der Verfassungsschutz demnach bereits Stand 2021 auf allen Ebenen der AfD belegt. Der Bericht dokumentiert Bestrebungen „bei gewichtigen Teilen der Partei“ gegen demokratische Prinzipien, Verunglimpfung von Staat und anderen Parteien. In der Partei gebe es Bestrebungen gegen das Rechtsstaatsprinzip, gegen die Gewaltenteilung und das staatliche Gewaltmonopol, verfassungsfeindlichen Antisemitismus und Verharmlosung des Nationalsozialismus.
Der formal aufgelöste rechtsextreme „Flügel“ um den Rechtsextremen Björn Höcke nehme einen „strukturellen Einfluss“ auf die Gesamtpartei, wofür die Verfassungsschützer Belege aufführen. Weiterhin nennt die Behörde Verbindungen der Partei zu anderen rechtsextremen Gruppen, neurechten Netzwerken, Verlagen, zur Identitären Bewegung sowie ausländischen Rechtsextremisten.
Diese Verbindungen „gehen besonders im Bereich der Neuen Rechten über eine reine Überschneidung hinaus und sind als strukturelle Verbindungen innerhalb eines strategisch agierenden Netzwerkes zu bezeichnen“, heißt es laut netzpolitik.org wörtlich in dem Bericht.
Abgrenzung der AfD von rechtsextremen Strömungen„ strategisch-taktischer“ Art ohne Substanz
In dem Bericht findet sich auch der Grund, warum der Verfassungsschutz die AfD bislang noch nicht als gesichert rechtsextrem einstufen wollte: Stand 2021 sei es nicht ausgeschlossen gewesen, „dass eine knappe Mehrheit in der Partei noch eine Zusammenarbeit mit extremistischen Kräften meidet“. Der Verfassungsschutz ordnet diese Abgrenzungsbemühungen allerdings als Augenwischerei ein, sie seien „strategisch-taktischer bzw. formal-rechtlicher Art ohne substantielle Aussagekraft“.
Für den Bericht hat der Verfassungsschutz keine Erkenntnisse von V-Leuten herangezogen, sondern stützt sich auf öffentlich zugängliche Quellen, darunter Facebook-Posts, Tweets und Youtube-Videos. Deshalb enthält der Bericht auch nichts substanziell Neues, dokumentiert aber die systematische Radikalisierung der Partei. Vor und nach seinem Ausscheiden aus dem Verfassungsschutz ließ Thomas Haldenwang keinen Zweifel daran, dass sich die AfD immer weiter radikalisiert. Ob und wann der aktualisierte Bericht veröffentlicht wird, steht noch nicht fest. ■
Hinweis: In einer ersten Version des Artikels hieß es, Correctiv verklage den Verfassungsschutz auf Herausgabe des AfD-Gutachtens. Tatsächlich wird die Behörde aufgefordert, Auskunft zu dessen Inhalt zu geben, woraus hervorgehen würde, dass die AfD als zweifelsfrei verfassungsfeindlich eingestuft wird.