Ein Vorurteil hält sich hartnäckig. Dass die DDR immer vom Westen abgekupfert hätte. Auch im Fernsehen. Aber ein DDR-TV-Klassiker beweist, dass auch der Westen ganz genau beobachtete, was im Osten Erfolg hatte. Erst lief im DDR-Fernsehen der Quotenhit „Zur See“, dann schickte das ZDF „Das Traumschiff“ über die Ozeane. Und der West-Berliner Traumschiff-Produzent Wolfgang Rademann gestand später, dass er von der DDR-Serie so beeindruckt war, dass er ihm klar war: „So etwas müssen wir auch machen“.
Dass die DDR-Serie immer noch funktioniert, zeigt Youtube. Dort hat der Bezahlkanal ARD Plus die erste Folge im März vergangenen Jahres kostenlos eingestellt. Bis heute gab es knapp 560.000 Aufrufe, die Folge wurde hundertfach kommentiert. „Hat in der DDR Sehnsucht nach der großen weiten Welt geweckt. War damals ein Straßenfeger. Tolle Erinnerung!“, schreibt ein User. „Meine absolute Lieblingsserie, als ich ein Teenie war, und das hat sich bis heute nicht verändert“, schwärmt Iris Schumann. „Meine Kollegen ziehen mich gerne dazu auf, aber ich stehe dazu. Was für charismatische Darsteller – Horst Drinda, Gunther Naumann, Jürgen Zartmann.“
Zwei DDR-Schauspielstars in einem Bett
Einen großen Unterschied gab es im Vergleich mit dem späteren ZDF-Ableger: Die DDR schickte ein Schiff der Handelsmarine auf die große Tour um die Welt. Genauer gesagt: Richtung Kuba. Im August 1974 ging die 23-köpfige Filmcrew an Bord. Auf einem echten Handelsschiff, dass in Kuba 6600 Tonnen Zucker laden sollte. Das Lehr- und Frachtschiff MS J. G. Fichte, ein 1948 gebauter französischer Truppentransporter, der seit 1962 für den VEB Deutsche Seereederei Rostock fuhr.
Auch bei den Dreharbeiten für die neunteilige Serie war die MS Fichte mit voller Besetzung unterwegs. Fast 300 Mann, darunter Matrosen und Offiziere, die ihre praktische Ausbildung auf „Großer Fahrt“ beenden sollten – und so zu Komparsen fürs Fernsehen wurden. Viel Platz für die Filmcrew blieb nicht. Günter Naumann, Horst Drinda und Jürgen Zartmann teilten sich eine Kabine. Naumann und Drinda schliefen im Ehebett, wie sich Jürgen Zartmann in einer MDR-Dokumentation (in der ARD-Mediathek zu sehen) an die Serie erinnert. Ihm blieb die Klappcouch im Wohnzimmer. „Da habe ich genächtigt“, erzählt er, vom Schlafzimmer nur abgetrennt von einem Vorhang.
Es gibt Bilder, da sieht man, wie sich die Schauspieler in den Drehpausen auf Deck bräunen, Volleyball spielen – unter Netzen, damit der Ball nicht im Ozean verschwindet. Eine Vergnügungstour war die Fahrt nach Kuba aber nicht. Es gab nur wenig Platz, und die Filmcrewmitglieder waren kaum seefest. In der Biscaya geriet die MS Fichte in einen Sturm mit Windstärke 11. „Da hat es viele zur Strecke gebracht, wir konnten kaum noch arbeiten“, sagt Jürgen Zartmann.

Neun Folgen (je 60 bis 75 Minuten) wurden gedreht, die dann 1977 im DDR-Fernsehen zu sehen waren. Immer am Freitagabend, immer um 20 Uhr. Eine TV-Serie, die viele Schauspieler zu Fernsehlieblingen machte. Auch Günter Schubert und Erik S. Klein spielten mit, in kleineren Rollen waren Fred Delmare oder Rolf Hoppe zu sehen.
Eva Stein, die Drehbuchautorin, erinnert sich in der MDR-Dokumentation: „Eigentlich ist es erstaunlich, dass eine solche Serie überhaupt produziert wurde, die das Fernweh der eingemauerten DDR-Bevölkerung ja noch verstärken musste.“ Eva Stein schrieb die Abenteuer, die Kapitän Hans Karsten (Horst Drinda), Chief Paul Weyer (Günter Naumann) und Bootsmann Reinhart (Jürgen Zartmann) auf hoher See erlebten, in die Drehbücher. Vom Brandsatz an Bord, über einen ein Bullenkampf an Deck (dafür wurden in Rostock extra die beiden Rinder Max und Moritz eingeschifft), Sabotage im Hafen bis hin zur Rettung eines schwerkranken Crew-Mitglieds in allerletzter Minute.
Manche Geschichte, etwa die vom Maschinenschaden in Folge 1, passierte auch in echt. Denn die MS Fichte hatte ja schon ein paar Jahre auf dem Buckel. Die Filmleute nannten das in die Jahre gekommene Schiff liebevoll „Johann Schrottlieb Fichte“. Aber im Fernsehen funktionierte die Abenteuerserie auf hoher See. Sie hat Einschaltquoten bis zu 60 Prozent. In der DDR werden sogar Bastelbögen verkauft, aus denen sich Kinder die „Fichte“ zusammenkleben können. Und noch einen Zweck erfüllte die Serie: Der VEB Deutsche Seereederei in Rostock brauchte Nachwuchs, junge Leute, die Matrosen werden wollten. Und die wollten jetzt auch auf so ein Schiff, um in die weite Welt zu kommen.
Was aus den großen „Zur See“-Stars wurde
MS J. G. Fichte: Das Schiff war vielleicht der größte Star der Serie. Im Sommer 1979 ist für das Schiff im Dienste der DDR für immer Schluss. Der Kahn ist schrottreif. Es wird an eine Reederei in Panama verkauft und in „Sunrise“ umbenannt. Unter diesem Namen ist es auch ab und zu im Rostocker Hafen zu sehen. Ab 1980 erhält die „Fichte“ wieder neue Namen. Erst ist sie als „Sunrise IV“ unterwegs, dann tritt das DDR-Traumschiff als „Pegancia“ seine letzte Reise an. Zum Abwracken wird der Schrottkasten im Mai 1981 nach Gadani (Pakistan) geschleppt. Dort findet die „Fichte“ auf einer Werft ihr Ende.

Horst Drinda: Geboren 1927 in Berlin, besuchte er ab Spätsommer 1945 die Schauspielschule des Deutschen Theaters. Er spielte dort und in Halle Theater. Ab Mitte der 60er-Jahre gehört er zum Schauspielerensemble des DDR-Fernsehens. Mehr als 90 Film-und-Fernsehproduktionen stehen in seiner Vita. In den 90er-Jahren spielte er unter anderem in „Männerpension“ und „Leinen los für MS Königstein“ mit. Seine letzte Rolle hatte er 2003 in der Episode „Am Ende siegt die Liebe“ der MDR-Serie „In aller Freundschaft“. Nach zwei Schlaganfällen im Mai 2003 war Drinda gelähmt. Er starb am 21. Februar 2005 im Alter von 77 Jahren in Berlin-Pankow.
Günter Naumann: Weil er zur Wehrmacht eingezogen wurde, konnte Naumann (geboren: 1925 in Chemnitz) sein Architekturstudium nicht beenden. Nach dem Ende der Kriegsgefangenschaft malte er, bevor er ab 1950 in Leipzig Schauspiel studierte. Ab 1957 wurde er am Berliner Ensemble zum gefragten Charakterdarsteller. Seinen Durchbruch beim Film feierte er 1960 in Frank Beyers Antikriegsfilm „Fünf Patronenhülsen“, 1970 wechselte er zum DDR-Fernsehen.
Nachdem er schon öfter im „Polizeiruf 110“ mitgespielt hatte, wurde er Ende der 80er selbst zum Ermittler – zu Hauptmann Beck. Eine Rolle, die er auch nach der Wende behielt. Nur, dass dann aus dem Hauptmann ein Hauptkommissar wurde. Naumann spielte 1993 im ersten Polizeiruf der ARD, war auch in „Marienhof“ (1992 bis 1995), „Nikolaikirche“ (1995) oder „Hans im Glück“ (1999) zu sehen. 2009 starb er im Alter von 83 Jahren in einem Krankenhaus Köpenick an Nierenversagen.
Jürgen Zartmann: 1941 in Darmstadt geboren, wuchs er in Leipzig auf. Wie auch Günter Naumann studierte Jürgen Zartmann Schauspiel in Leipzig und bespielte danach die Bühnen der DDR (Weimar, Halle, Schwerin). Für das DDR-Fernsehen spielte er die Helden in den Serien „Archiv des Todes“ (1980) und „Front ohne Gnade“ (1984), von 1981 bis 1991 gehörte er als Oberleutnant Manfred Bergmann zum „Polizeiruf“-Ermittlerteam.
Nach der Wende wechselte ins Seifenopern-Fach. 1992 war er für einige Folgen Regisseur bei GZSZ, eher er ab 1995 für mehr als fünf Jahre den Christoph von Amstetten in der ARD-Vorabendserie „Verbotene Liebe“ spielte. Heute lebt er in der Nähe von Berlin, in Stahnsdorf, und ist in zweiter Ehe verheiratet.

Günter Schubert: Er war als Matrose Thomas Müller an Bord der MS Fichte. 1938 in Weißwasser geboren, lernte er dort den Beruf eines Kelchglasmachers, ehe es ihn auf die Bühnen zog. 1962 machte er seinen Abschluss an der Staatlichen Schauspielschule in Berlin, spielte in Senftenberg und Potsdam, ehe er 1970 zum DDR-Fernsehen wechselte. Mit Rollen für Serien wie „Treffpunkt Flughafen“ und „Bereitschaft Dr. Federau“. Auch seine Stimme kannte man: Er synchronisierte Kjeld in der Olsenbande-Reihe.
Nach der Wende ging seine Karriere nahtlos weiter. Er bekam Rollen fürs Kino („Go Trabi Go 2“), war in vielen Serien („Liebling Kreuzberg“, „Unser Lehrer Doktor Specht“) zu sehen und spielte noch 2007 im „Polizeiruf“ und im „Tatort“ mit. Am 2. Januar 2008 starb er an einer Krebserkrankung in der Klinik Havelhöhe in Berlin-Kladow. ■