Mit Berliner Schnauze

DDR-Legenden: Erinnern Sie sich noch an Achim Mentzel? So wurde er zur Ulknudel

Was der Schlagerkollege Thomas Lück damit zu tun hatte, dass der 1,76 Meter große und nach eigenen Angaben zwei Zentner schwere Berliner zum beliebten Stimmungssänger wurde.

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Einmal Kasper, immer Kasper: Achim Mentzel 1999 in seiner Wahlheimat Brandenburg.
Einmal Kasper, immer Kasper: Achim Mentzel 1999 in seiner Wahlheimat Brandenburg.United Archives/imago

Tausende singen es Heimspiel für Heimspiel mit, dieses „Hey, hey, hey UNION“. Voller Inbrunst. Diese Gänsehaut-Hymne, die zum 1. FC Union gehört wie die Alte Försterei. Und viele der Nachgeborenen, die erst in den letzten Jahren zum Fan der Eisernen wurden, wissen gar nicht mehr, wer die Stimme hinter dem Lied ist. Achim Mentzel. Ulknudel, singendes Dickerchen. Doch in diesem Lied rockte er wie der Teufel. Denn es ging um seine große Fußballliebe, den 1. FC Union.

„Rot-weiß sind unsere Farben/Der Ball ist unsere Welt/Den Pokal, den wollen wir haben/Darauf sind wir eingestellt/Alle Fans sind immer mit dabei/Stimmung in der alten Försterei!“ Dieses Lied produzierte Achim Mentzel schon 1981. Nicht weit von der Alten Försterei entfernt, ein paar Kilometer weiter im DDR-Rundfunkhaus in der Nalepastraße, am Rand von Schöneweide. Inoffiziell, auf eigene Rechnung. Doch schnell erreichte es über eine Kassette und die Stadion-Lautsprecher auch die Fans. „Hey, hey, hey UNION“.

Achim Mentzel mit „Stimmung in der alten Försterei“

Ein Lied, das zum Hit wurde, bevor es auf Platte erschien. Erst einige Jahre später stellte Achim Mentzel den Fan-Song „Stimmung in der alten Försterei“ als Demo-Tonband einem Redakteur der Schallplattenfirma Amiga vor: Und so wurde er dann 1985 auch auf einer sogenannten „Quartett“-Platte veröffentlicht – heute ein begehrtes Sammlerstück.

Gute Lieder leben länger als der Künstler. Denn schon vor acht Jahren starb Achim Mentzel im Alter von 69 Jahren in einem Cottbusser Krankenhaus. An einem Herzinfarkt in Folge eines unentdeckten Herzfehlers. Gestorben in Brandenburg, geboren in Berlin, aufgewachsen im Kiez um die Gethsemanekirche, mitten in Prenzlauer Berg. Man hörte immer, woher Achim Mentzel kam. Mit seiner Berliner Schnauze. Berlinern konnte er – und er konnte auch nicht anders. Immer lustig, aber immer auch unstet. Sein Lebenslauf ist voller Brüche, der eines Stehaufmännchens.

Seine Mutter eine Saarländerin, sein Vater ein französischer Besatzungssoldat. Talentiert im Fußball, damals noch rank und fast schlank. Er spielte bei Vorwärts Berlin und ballerte sich bis in die Berliner Juniorenauswahl. Lehre musste sein, er wurde nach der Schule Polsterer und Dekorateur. Und dann kam die Beatmusik und kickte den Fußball ins Seitenaus. Vorerst. Achim Mentzel war noch keine 16, als die Beatles „Love me do“ veröffentlichten. Schon ein Jahr später gründete er seine erste Band – das Diana Show Quartett. Achim Mentzel als Sänger und Gitarrist. Jetzt wusste er, was er wollte. 

Doch wie das so war mit der Beatmusik in der DDR. Staatschef Walter Ulbricht war erschreckt von der plötzlich so aufmüpfigen Jugend. Seine berühmte Rede machte Schluss mit musikalischer Freizügigkeit. „Ist es denn wirklich so, dass wir jeden Dreck, der vom Westen kommt, nu kopieren müssen? Mit der Monotonie des Je-Je-Je und wie das alles heißt, sollte man doch Schluss machen.“ Die Beatbands bekamen Auftrittsverbot, auch die von Achim Mentzel. Er wurde zur Armee eingezogen.

Aber ein Leben ohne Musik konnte sich Achim Mentzel nicht mehr vorstellen. Kaum aus der NVA entlassen, schloss er sich wieder Bands an. Jazz sollte es nun sein. Er wurde Mitglied im renommierten Alfons-Wonneberg-Orchester, wo auch Nina Hagen sang. 1973 spielte er dann so eine Art Grenz-Pingpong – ein gefährliches Spiel, das er aber erstaunlicherweise unbeschadet überstand. Erst die Flucht in den Westen, kurz darauf wieder zurück in den Osten.

Er floh in den Westen und wollte wenig später zurück in die DDR

Das Alfons-Wonneberg-Terzett durfte am 1. Juni 1973 in West-Berlin auftreten, beim Sommerfest der Deutschen Reichsbahn, der DDR-Staatsbahn, die auch für den S-Bahnverkehr im Westteil Berlins sorgte. Achim Mentzel erinnerte sich vor zwölf Jahren im KURIER-Interview: „Als wir die Instrumente auspackten, zog der Schlagzeuger aus der großen Trommel einen langen Lammfellmantel, aus der kleinen einen Packen Papiere. Ich bleib‘ hier.“ Kurzentschlossen antwortete Mentzel: „Meine Frau hat mich gerade mit ‘ner anderen Taube erwischt und vor die Tür gesetzt. Ich bleib‘ auch.“ Der Sänger zog ins Saarland, wo die Familie seiner Mutter wohnte, wurde als Schweißer umgeschult, nachts jobbte er als Musiker.

Doch der Berliner mit der Berliner Schnauze fühlte sich im beschaulichen Saarland bald fehl am Platze. Und dann kam auch noch der Brief mit dem Versöhnungsangebot seiner Frau: „Achim, ist doch alles nicht so schlimm ...“ Und er: „Frag‘ doch mal den Staatsanwalt, was mir passiert, wenn ich zurückkomme.“ Der signalisierte Wohlwollen. Also alles wieder auf Anfang. Im November stand er mit Sack und Pack, nagelneuer Fender-Gitarre und Verstärker auf dem Bahnhof Friedrichstraße, sagte zu den verdutzten Grenzern: „Ich bin Achim Mentzel und melde mich zurück.“ Zurück in die DDR, er wurde zwar wegen Republikflucht zu zehn Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt – durfte aber nach neun Wochen im Auffanglager gleich wieder mit dem Alfons-Wonneberg-Orchester spielen.

1975 kreuzten sich seine Wege wieder mit denen von Nina Hagen. Zusammen spielten sie in Fritzens Dampferband wurden damit auch in der DDR zu großen Namen. Dann war Nina Hagen weg – und Mentzel musste sich „neu“ orientieren. Auch privat. Denn die Nachfolgerin von Nina Hagen in der Band wurde Kathrin Steinhöfel – und später seine zweite Frau. Das mit der Liebe war immer so eine Sache bei Achim Mentzel. Das lustige Dickerchen brachte es auf vier Frauen, zig Affären und acht Kinder. Treu blieb er eigentlich nur dem 1. FC Union.

1986: Achim Mentzel macht eine gute Figur mit der Sängerin Sabine Bruhns und dem Ballettduo Saphir.
1986: Achim Mentzel macht eine gute Figur mit der Sängerin Sabine Bruhns und dem Ballettduo Saphir.Gueffroy/imago

Plötzlich interessant für die „Westgurken“

Dass Mentzel, 1,76 Meter groß und nach eigenen Angaben zwei Zentner schwer, dann zum Stimmungssänger wurde, lag am Schlagerkollegen Thomas Lück, wie er einst dem KURIER erzählte. „Der fing plötzlich an, Liebeslieder zu singen. Ich sprang in die Lücke: Jetzt mach‘ ick den Dicken! Den Liebe-und-Triebe-Schmus hätte mir eh keiner abgenommen. Ich konnte machen, was ich wollte, hatte meine Nische.“ Mit „Außerdem macht es Spaß“ landete er 1979 seinen ersten Ulk-Hit.

Auch der Mauerfall konnte Ulknudel Achim Mentzel nicht ausbremsen. Er sah sich selbst als Sonntagskind, weil alles so gut passte. „Am 9. November 1989 fiel die Mauer, am 23. November startete beim DFF meine Show.“ 17 Jahre lief Achims Hitparade, ab 1992 beim MDR. „Ich war einmal pro Monat auf Sendung und plötzlich interessant für die Westgurken. Die wollten ihre Sänger in meiner Hitparade haben.“ Über den MDR hinaus bekannt wurde er durch den Satiriker Oliver Kalkofe. Immer wieder imitierte der den Ostmoderator in „Kalkhofes Mattscheibe“, beschrieb ihn als Kreuzung aus Tony Marshall, einem überfahrenen Hamster und dem Yeti.

In Cottbus erinnert eine Straße an Achim Mentzel

Achim Mentzel konnte schon immer über sich lachen. Auch über diese Scherze. Und schlug in seiner Sendung einfach zurück. Auf eine Schiefertafel, die gut sichtbar für alle in der Fernseh-Kulisse stand, schrieb er: „Kalki ist doof!“ Später wurden beide Freunde und gingen gemeinsam auf Tour.

Auch die Schlager-Kollegen Siegfried Trzoß, Peter Schmiedel, Ingrid Raack, Gerd Christian und Hans-Jürgen Beyer kamen zur Einweihung des Achim-Mentzel-Wegs.
Auch die Schlager-Kollegen Siegfried Trzoß, Peter Schmiedel, Ingrid Raack, Gerd Christian und Hans-Jürgen Beyer kamen zur Einweihung des Achim-Mentzel-Wegs.Future Image/imago

Heute fehlt einer wie Achim Mentzel im Fernsehen. Aber vergessen ist er nicht. Dafür sorgt die Union-Hymne „Stimmung in der alten Försterei“ und eine Straße im Cottbusser Orteil Gallinchen, in dem der Sänger bis zu einem Lebensende lebte. Ganz in der Nähe seines Wohnhauses wurde vor drei Jahren der Achim-Mentzel-Weg beziehungsweise Drozka Achim Mentzela, wie die Straße auf Sorbisch heißt, in Beisein von Mentzels Witwe Brigitte eingeweiht. ■