Aus vermeintlich gekränkter Ehre, verletztem Stolz, Eifersucht und überholten patriarchalen Rollenvorstellungen: In den vergangenen zwei Wochen wurden in Berlin zwei Frauen von ihren Ex-Partnern erstochen. Nicht die einzigen Fälle in diesem Jahr, die Zahl der Gewalt gegen Frauen steigt. Wie lässt sich tödliche Gewalt gegen Frauen verhindern? Innensenatorin Iris Spranger sieht die Bundesregierung gefordert – aber auch den schwarz-roten Senat.
Nach Angaben von Innensenatorin Iris Spranger hat es in Berlin in diesem Jahr bisher 28 Fälle von Körperverletzung mit Todesfolge gegen Frauen gegeben. Die SPD-Politikerin kündigt nun weitere Maßnahmen an, die Gewalt gegen Frauen verhindern sollen. Dazu gehört auch der Einsatz elektronischer Fußfesseln für Gefährder. „Die Verhinderung von Femiziden als extremster Gewaltform gegen Frauen hat Priorität für den Berliner Senat, die Innenverwaltung und – wie Sie wissen – vor allem auch für mich“, sagt sie.
Fußfesseln zur Verhinderung schwerer Straftaten
Überlegungen für einen besseren Schutz von bedrohten Frauen sollen bei der Überarbeitung des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (ASOG) berücksichtigt werden, erklärt die Innensenatorin. „Zur Verhinderung schwerer Straftaten – insbesondere Tötungsdelikte und Sexualstraftaten – und zur Verhütung schwerwiegender Verstöße gegen polizeiliche oder familiengerichtliche Schutzanordnungen wollen wir im ASOG die gerichtlich angeordnete elektronische Aufenthaltsüberwachung einführen“, sagt Spranger. „In erster Linie muss aber der Bund dringend das Gewaltschutzgesetz ändern und die Möglichkeit der elektronischen Aufenthaltsüberwachung bundeseinheitlich vorsehen.“
Die 28 umgebrachten Frauen in diesem Jahr sind sowohl Opfer von Mord als auch von Körperverletzung mit Todesfolge, Raubmord, Sexualmord und Totschlag geworden. Polizeipräsidentin Barbara Slowik weist darauf hin, dass aber nicht klar sei, ob es sich in allen Fällen um Femizide handle.

Der Begriff Femizid bedeutet, dass Frauen wegen ihres Geschlechts ermordet werden – also weil sie Frauen sind. Als häufigste Form gilt die Tötung von Frauen durch Partner oder Ex-Partner. „28 Frauen sind im Jahr 2024 in Berlin durch einen Mann vorsätzlich tödlich verletzt worden“, erklärt Slowik. Ob es ein Femizid gewesen sei, sei häufig noch in den laufenden Ermittlungen zu klären. Allein in diesem Sommer meldete die Polizei vier Fälle, in den Frauen getötet wurden.
30. Juni: In einer Wohnung in der Parkstraße (Tempelhof) erschlägt ein Mann seine Ehefrau, alarmierte Polizisten fanden die 45-Jährige mit schweren Kopfverletzungen vor. Die Familie hatte zehn Kinder, fünf Minderjährige lebten noch mit in der Wohnung. Die Großfamilie war aus Tadschikistan geflüchtet und wohnte bereits seit einigen Jahren in Berlin.
18. Juli: Die 69-jährige Birgit Angelika Keller wurde tot in ihrer Britzer Wohnung entdeckt. Täter und Motiv sind bisher unbekannt. Laut Polizei soll sie zwischen Mittwoch, 17. Juli, um 21 Uhr und Donnerstag, 18. Juli, um 7 Uhr in ihrem Haus in der Pintschallee in Britz getötet worden sein. Die Frau hatte zwei Hunde, mit denen sie täglich unterwegs war. Die Polizei sucht nach Zeugen, die im genannten Tatzeitraum oder davor und danach im Bereich des Tatorts Auffälliges beobachtet haben?
Ex-Partner ersticht die 36-jährige Libanesin Nurhan B.
28. August: In Zehlendorf wird die 36-jährige Libanesin Nurhan B. von ihrem 50-jährigen Ex-Partner erstochen. Die Frau hatte sich bereits vor einiger Zeit von ihrem gewalttätigen Ehemann getrennt und eine Gewaltschutzverfügung gegen ihn erwirkt. Doch das hielt den 50-Jährigen nicht davon ab, seiner Ex-Frau nachzustellen. Nachbarn berichten, dass er ihr vor ihrem Haus in der Hampsteadstraße auflauerte. Der Ex-Mann wurde am Tatort festgenommen. Die Berliner Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass es sich um einen Ehrenmord handeln könnte. Der Tatverdächtige habe seine Ex-Frau gezielt getötet, um seine „Ehre“ wiederherzustellen.
30. August: In der Dolgenseestraße in Friedrichsfelde ersticht ein Mann (45) seine Ex-Freundin, Mutter von zwei Kindern. Gegen 22.30 Uhr klingelt der Killer an der Wohnungstür seiner Ex und sticht sofort zu, als sie öffnet. Laut Anwohnern wurde sie noch im Hausflur reanimiert, dann transportierten Sanitäter sie in ein nahe gelegenes Krankenhaus. Doch dort erlag sie ihren schweren Verletzungen. Der mutmaßliche Täter konnte kurze Zeit später am S-Bahnhof Rummelsburg aufgegriffen werden – eine Blutspur führte die Ermittler zu ihm, weil er sich bei der Horror-Tat im Hochhaus scheinbar selbst verletzt hatte. Der Verdächtige ist ein gebürtiger Türke.

Femizide sind leider kein Einzelfall. Jeden dritten Tag tötet in Deutschland ein Mann eine Frau, weil sie ein selbstbestimmtes, freies Leben führen will. Im Bereich der Partnerschaftsgewalt stieg die Anzahl der Opfer im vergangenen Jahr deutschlandweit um 6,4 Prozent auf 167.865 Opfer. Ganz überwiegend trifft Gewalt im häuslichen Kontext Frauen: 79,2 Prozent der Opfer von Partnerschaftsgewalt sind weiblich. Von den Tatverdächtigen bei Partnerschaftsgewalt sind 77,6 Prozent Männer.
Die Hälfte der Opfer lebte laut aktuellen Zahlen des Bundeskriminalamts mit der tatverdächtigen Person zusammen. Die Mehrheit sowohl der Opfer als auch der Tatverdächtigten waren zwischen 30 und 40 Jahre alt. 155 Frauen, aber auch 24 Männer sind im Jahr 2023 durch ihre Partner oder Ex-Partner getötet worden.
Mit dem Phänomen Femizid beschäftigt sich auch die Jura-Professorin Dr. Katharina Beckemper an der Universität Leipzig. In einem Interview mit dem MDR erklärte sie, dass Frauen zum einen aus Frauenhass und Verachtung getötet werden, zum anderen, weil sie nicht patriarchalen Rollenvorstellungen entsprechen und sich männlicher Kontrolle und Dominanz entziehen. Hintergrund sind meist Vorstellungen von der grundsätzlichen Unterlegenheit der Frau.
Auch der Zuzug von Flüchtlingen aus patriarchalen Gesellschaften nach Deutschland hat etwas mit dem Anstieg der Gewalt gegen Frauen zu tun. Je patriarchaler ein Mann sozialisiert wurde, desto größer sei die Gefahr, dass er seine partnerschaftlichen Konflikte später mit Gewalt lösen wird, erklärt Max Lindner, Leiter der Täterberatungstelle „ProMann“ in Magdeburg, im MDR. „Die meisten Männer sind mit sehr klassischen Männer- und Rollenbildern sozialisiert worden. Das heißt, sie kennen das klassische Bild: Männer gehen arbeiten, Frauen bleiben zu Hause, kümmern sich um Haus und Hof. Und wenn dieses Konzept nicht mehr funktioniert, das heißt, die Männer in irgendwelchen Situationen die Dinge nicht mehr im Griff haben, haben sie große Probleme, darauf angemessen zu reagieren“. ■