Über 530.000 Straftaten

Frau Polizeipräsidentin, gibt es in Berlin gefährliche No-go-Areas?

„So überlassen wir den Kriminellen das Feld!“ Barbara Slowik spricht im Interview über gefährliche Orte, fehlendes Geld und die mangelhafte Ausstattung der Polizei.

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Vor wenigen Tagen in Berlin-Köpenick: Polizei und SEK sind in der Bahnhofsstraße im Einsatz, als ein Mann durch Schüsse schwer verletzt wird.
Vor wenigen Tagen in Berlin-Köpenick: Polizei und SEK sind in der Bahnhofsstraße im Einsatz, als ein Mann durch Schüsse schwer verletzt wird.Marco Porzig/TNN/dpa

Viele Berliner fühlen sich nicht mehr sicher, meiden (vor allem nachts) bestimmte Orte. Polizeigewerkschafter Bodo Pfalzgraf sprach schon von Bereichen, wo der Rechtsstaat in Berlin handlungsunfähig sei, zu denen soziale Brennpunkte in Wedding und Neukölln gehören würden. Im Deutschlandvergleich verzeichnet das Bundesland Berlin die höchste Anzahl an Straftaten pro 100.000 Einwohner. 14.292 waren es im Jahr 2023 – insgesamt erfasste die Berliner Polizei 536.697 Straftaten. Trotzdem erklärt jetzt die Polizeipräsidentin Barbara Slowik, dass Berlin eine sichere Stadt sei.

„Berlin ist so sicher wie viele andere Städte in Deutschland und sicherer als manch andere Hauptstädte Europas“, sagt Slowik jetzt in einem Interview mit der Berliner Zeitung. Doch selbst eine Internetseite wie baugenossenschaft.info führt inzwischen eine Liste mit den gefährlichsten Orten Berlins (von Alexanderplatz über Görlitzer Park und Wrangelkiez bis hin zum Kottbusser Tor), mit denen Interessenten vor bestimmten Gegenden in der Hauptstadt gewarnt werden.

Gefährliche Bereiche für Juden, Schwule und Lesben

No-go-Areas aber würde es in Berlin nicht geben, erklärt Slowik. Um das gleich danach aber wieder zu relativieren: „Es gibt allerdings Bereiche – und so ehrlich müssen wir an dieser Stelle sein – da würde ich Menschen, die Kippa tragen oder offen schwul oder lesbisch sind, raten, aufmerksamer zu sein.“ Slowik sagt, dass sie keine Personengruppen diffamieren wolle. Leider gebe es aber bestimmte Quartiere, in denen mehrheitlich arabischstämmige Menschen wohnen, die auch Sympathien für Terrorgruppen hegen. „Offene Judenfeindlichkeit artikuliert sich dort gegen Menschen jüdischer Glaubensrichtung und Herkunft.“

Die Polizeipräsidentin sieht weitere Sicherheitsprobleme auf die Hauptstadt zukommen. Berlin ist in einer Haushaltskrise, auch bei der Polizei muss gespart werden. Am Montagabend wollen die Koalitionsspitzen von CDU und SPD das endgültige Sparprogramm beschließen (der KURIER berichtete). „Die Polizei wird bereits seit Jahren nur so ausgestattet, dass die Mittel meist im Herbst ausgegeben sind und wir uns dann bis zum Jahresende durchjonglieren und Reste ausfindig machen müssen, auch um Kraftstoff zu finanzieren oder um Unterstützungskräfte für Großlagen zu bezahlen“, beklagt Slowik.

Beispiel: Das Landeskriminalamt hätte in diesem Jahr dringend 14 Millionen Euro an Investitionsmitteln gebraucht. Doch zur Verfügung gestellt wurden nur sechs Millionen. „Und das, obwohl die Innensenatorin schon alle Bereiche ihres Ressorts zur Kasse gebeten hat, um ihre Polizei zu stützen“, sagt die Polizeipräsidentin.

Nächstes Jahr sähe es noch fataler aus: „2025 werden wir noch mal weniger haben, obwohl wir umfassend begründet haben, dass wir 100 Millionen mehr brauchen. Denn Straftäter nutzen den Fortschritt der Technologien, während wir in Massendaten von mobilen Endgeräten ersticken.“ Es fehlen Rechner, mit denen man beschlagnahmte Handys und PCs auswerten kann, es fehlt Software, die eine gezielte Suche nach Videos, Bildern und Textnachrichten ermöglicht.

Polizeipräsidentin Barbara Slowik sagt: „So überlassen wir den Kriminellen das Feld.“
Polizeipräsidentin Barbara Slowik sagt: „So überlassen wir den Kriminellen das Feld.“Markus Wächter

Die örtlichen Polizei-Direktionen würden zwei Drittel der Kriminalität bearbeiten – das weitgehend ohne zeitgemäße technische Unterstützung. „So überlassen wir den Kriminellen das Feld. Das belastet und frustriert die Kolleginnen und Kollegen enorm“, erklärt Barbara Slowik der Berliner Zeitung. Sie sagt, dass Berlin dringend eine objektbezogene Videoüberwachung, vor allem an Botschaften, auch unter Nutzung von KI, brauchen würde. Zurzeit müssten 380 Kollegen der Schutz- und Kriminalpolizei beim Objektschutz aushelfen. „Das entspricht in etwa der Personalstärke eines Polizeiabschnitts und zwei Einsatzhundertschaften. Das wird spürbar werden in der Stadt.“

Alles marode: 40 Prozent des Fuhrparks stehen in der Werkstatt

Schon seit Jahren in den Schlagzeilen: die marode Infrastruktur. Die Polizeipräsidentin spricht von Beamten, die nebenbei noch ihre Büros und Diensträume selbst notdürftig ausbessern oder renovieren. „Der Sanierungsstau in Polizeiliegenschaften lag bei meiner Amtsübernahme bei 1,1 Milliarden Euro. Er ist jetzt auf 2,2 Milliarden angewachsen. Das liegt auch und besonders an den gestiegenen Baukosten, aber auch daran, dass der Gebäudeverfall exponentiell fortschreitet.“ Bis zu 40 Prozent des Polizei-Fuhrparks ständen täglich in der Werkstatt – mit Auswirkungen auf die Reaktionszeiten der Funkwagen.

Hoffnung setzt die Polizeipräsidentin auf die geplante nächtliche Schließung des Görlitzer Parks. „Ein gewisser Anteil von Straftaten nimmt dort nachts seinen Anfang: Der illegale Drogenhandel wird vorbereitet, es werden Drogenbunker angelegt. Alles wird in Mitleidenschaft gezogen“, sagt Barbara Slowik im Interview mit der Berliner Zeitung. Das alles würde mit einer nächtlichen Schließung nicht mehr funktionieren, der Park wäre auch tagsüber nicht mehr so attraktiv für die Kriminellen.

Und mit einer möglichen Verdrängung der Drogenkriminalität in den Wrangelkiez würde die Polizei umgehen können. „In beleuchteten Straßen steigt das Entdeckungsrisiko deutlicher als in einem dunklen Park“, erklärt die Polizeipräsidentin. „In den Straßen ist es viel einfacher, polizeiliche Maßnahmen umzusetzen.“ ■