Rückhalt bröckelt

Kanzlerkandidatur: Putscht die SPD gegen Scholz?

Jetzt will auch die mächtige NRW-Landesgruppe im Bundestag die Kandidatur „offen“ diskutieren. Es gebe „viel Zuspruch für Boris Pistorius“.

Author - Michael Heun
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Während Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) den G20-Gipfel in Rio besucht, rumort es daheim in seiner Partei.
Während Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) den G20-Gipfel in Rio besucht, rumort es daheim in seiner Partei.Kay Nietfeld/dpa

In der SPD brodelt es gewaltig. Im Zentrum der Debatten: Bundeskanzler Olaf Scholz (65). Die Frage seiner erneuten Kanzlerkandidatur wird zur Zerreißprobe für die Partei. Während Scholz beim G20-Gipfel in Brasilien weilt, kommen daheim aus seiner eigenen Partei deutliche Zweifel, ob er noch der richtige Mann für das Amt ist.

Ausgerechnet die mächtige NRW-Landesgruppe im Bundestag, mit 49 Abgeordneten die größte innerhalb der SPD, stellt die Frage nach der besten Kandidatur. Die beiden Vorsitzenden Dirk Wiese (41) und Wiebke Esdar (40) sprachen in einem brisanten Statement von „viel Zuspruch für Boris Pistorius“, den amtierenden Verteidigungsminister. Die Signalwirkung ist enorm: Wiese und Esdar vertreten die beiden wichtigsten Parteiflügel – die konservativen Seeheimer und die Linke. Es riecht nach einer großen SPD-Koalition gegen Scholz.

Während die Parteispitze, darunter SPD-Chef Lars Klingbeil (46), offiziell hinter Scholz steht, offenbaren die Äußerungen der NRW-Vertreter eine tiefere Spaltung. Axel Schäfer, ein weiterer NRW-Abgeordneter, kritisierte das Vorgehen von Wiese und Esdar scharf und forderte eine Sondersitzung der Landesgruppe. Doch die kritischen Stimmen aus den Wahlkreisen häufen sich, und selbst altgediente SPD-Mitglieder sprechen hinter vorgehaltener Hand von einer „bitteren“ Situation für Scholz.

Pistorius – der neue Hoffnungsträger?

Boris Pistorius, seit Januar Verteidigungsminister und inzwischen einer der beliebtesten Politiker Deutschlands, wird in der Debatte immer wieder als möglicher Herausforderer von Scholz ins Spiel gebracht. In Umfragen genießt Pistorius deutlich mehr Zuspruch als der amtierende Kanzler. Der Minister selbst schließt eine Kanzlerkandidatur nicht kategorisch aus, betont stets seine Loyalität zu Scholz. Aber er sagt auch: „In der Politik ist nichts auszuschließen.“

Pistorius könnte die SPD mit seiner Volksnähe und klaren Sprache aus dem Umfragetief ziehen, glauben viele. Dass er sich in der aktuellen Debatte nicht offensiv positioniert, wird von ihnen als geschickter Schachzug interpretiert – er bleibt eine Option, ohne Scholz offen anzugreifen.

Boris Pistorius könnte die SPD mit seiner Volksnähe und klaren Sprache aus dem Umfragetief ziehen, glauben viele.
Boris Pistorius könnte die SPD mit seiner Volksnähe und klaren Sprache aus dem Umfragetief ziehen, glauben viele.Kay Nietfeld/dpa

Eile geboten – der Ruf nach Klarheit

Parteigrößen wie der frühere SPD-Chef Norbert Walter-Borjans mahnen zur Eile. Die SPD könne sich keine wochenlangen Diskussionen leisten, ohne ein klares Signal an die Öffentlichkeit zu senden. Scholz’ Führungsstil wird dabei kritisch hinterfragt: „Nahbarkeit und Selbstkritik“ seien seine größten Schwächen, so Walter-Borjans. Saarlands Ministerpräsidentin Anke Rehlinger hingegen stärkt Scholz den Rücken und sieht seine Kandidatur als „natürlich und richtig“ an.

Am Dienstag meldete sich dann Ex-SPD-Chef, Wirtschafts- und Außenminister Sigmar Gabriel (65) deutlich zu Wort: „An der Basis der SPD steigt jeden Tag der Widerstand gegen ein ,Weiter-so‘ mit Kanzler Scholz. Und der SPD Führung fallen nur Beschwichtigungen und Ergebenheitsadressen ein. Jetzt ist mutige politische Führung gefragt. Wer das laufen lässt, bringt die SPD unter 15 %!“

Laut Bild-Zeitung will sich die engere Parteiführung am Dienstagabend zusammenschalten. An der Runde nehmen dem Bericht zufolge die beiden Parteichefs Saskia Esken und Lars Klingbeil, Generalsekretär Matthias Miersch und die fünf stellvertretenden SPD-Vorsitzenden teil. Einziger Tagesordnungspunkt: Wer wird der nächste SPD-Kanzlerkandidat?

Die SPD steht vor einer historischen Entscheidung: Kann Scholz der Partei noch einmal neue Impulse geben, oder ist der Zeitpunkt gekommen, die Führung in neue Hände zu legen? Der Druck auf SPD-Chef Lars Klingbeil wächst, den innerparteilichen Zwist zu klären. Ob Scholz gestärkt oder geschwächt aus dieser Krise hervorgeht, könnte die Zukunft der Partei entscheidend prägen. Fest steht: Der Rückhalt für Scholz bröckelt. Jetzt könnte es auch ganz schnell gehen.