Wer schon einmal mit Braunkohle geheizt hat, erkennt ihn sofort – den typischen Geruch von Kohle, der sich heute, ein Mittwoch Ende November, in der kalten Morgenluft ausbreitet. Die Berliner heizen, die Kachelöfen glühen wieder – der Winter ist nun endgültig in der Hauptstadt angekommen: Das bedeutet, dass die Kohlenmänner jetzt Hauptsaison haben.
Im Prenzlauer Berg, auf einem versteckten Lagerplatz der Firma Brennstoffhandel Helmut Braun, beginnt der Arbeitstag für Arnd Teiche und sein Team. Es ist kurz vor acht. Ein kühler Morgen. Seit 1988 beliefert dieses Unternehmen Berliner Haushalte mit Braunkohle.
„Ich habe das Geschäft damals von meinem Schwiegervater übernommen“, erzählt Arnd. Damals florierte das Geschäft mit dem schwarz-braunen Gold in Berlin – zu Mauerfallzeiten waren noch über die Hälfte der Wohnungen in Ostberlin Altbauten, die mit Kohle geheizt wurden. Seine beiden Mitarbeiter beladen den Mitsubishi-Transporter. Tonnenweise Kohle fährt der Wagen durch die Stadt – den Verschleiß der Zeit trägt der kleine, treue Transporter sichtbar. Mit am Start: Der kleine Kohlenhund Lenin.

„Unser Lagerplatz war früher riesig, jetzt ist er stark geschrumpft“, sagt Arnd und deutet auf die ehemaligen Elemente der Berliner Mauer, die seinen Kohlenhof umgeben. „Als die Mauer abgerissen wurde, wusste man nicht, wohin damit, großzügig wurden die Brocken an die Industrie verschenkt. Wir haben damals um die hundert Elemente bekommen.“
Der Markt für Braunkohle, sagt Arnd, wird immer kleiner. Aber diese Männer haben dennoch immer viel zu tun. Und nach kalten Nächten wie der letzten steigt die Nachfrage noch mal besonders. Die Kohle stammt aus der Lausitz in Brandenburg, direkt an der Grenze zu Sachsen – ein regionales Produkt, wie Arnd scherzend erzählt.

Letzte Glut im Ofen: Die Geschichten der Berliner Kohleträger
Rund 6000 Haushalte, so schätzt die Firma Brennstoffhandel Helmut Braun, setzen noch auf die wohlige Wärme von Braunkohle in Berlin. Die meisten ihrer Kunden leben im Prenzlauer Berg. Neue Kohlenhändler gibt es nicht – der Beruf ist am Aussterben.
Deutschland ist ein echtes Braunkohle-Revier und hat mit Hambach im Rheinland den größten Tagebau Europas. Noch wird in der Lausitz im Süden Brandenburgs Braunkohle abgebaggert, um Energie zu erzeugen. Doch Klimaforscher fordern, den Kohleausstieg deutlich zu beschleunigen.

Bevor es losgeht, versammelt sich das Dreimann-Team in der kleinen Hütte auf dem Kohlehof im Prenzlauer Berg. Aus den Tassen qualmt ehrlicher, starker Filterkaffee, schwarz natürlich. Fotos von ehemaligen Kollegen hängen an den Wänden. Der Schmutz der Braunkohle ist überall, der braun-schwarze Staub ist stets gegenwärtig.
Dass die Männer den Staub täglich einatmen, macht ihnen aber nur wenig zu schaffen. „Das ist ja ein Naturprodukt, den Staub hustet man ab, und Milch bindet, da wird man den schwarzen Schleim gut wieder los“, erklärt der 65-jährige Henry Schulz. Seit über 40 Jahren trägt er den Berlinern die Kohle in die Keller. Früher habe er auch „Treppen“ gemacht, damit meinen sie, die Kohle mehrere Stockwerke nach oben gebracht, mit Aufschlag. Heute bietet aber nur der junge Kollege Camaro diesen Dienst an. Hätte Henry sich auch einen anderen Beruf vorstellen können? „Ne, warum denn?“, sagt er.
„Es wird immer schwieriger, junge Leute für diesen Beruf zu begeistern“, erzählt Arnd. Irgendwann wird es hier wohl niemanden mehr geben, der Kohle liefert.

Die Arbeit mit der Braunkohle – Sie tragen die Kohle in die Keller: ein fast vergessener Beruf
Dann gehts los, aus dem Radio knattert ein Frühstücksprogramm und Musik. „Wir fahren jetzt in die Prenzlauer, machen 'ne halbe Tonne, dann geht es weiter in die Bornholmer, da machen wir auch 'ne halbe Tonne.“ Henry zählt die Adressen auf. Er kennt sie alle. Er schaltet, blinkt. Tage, an denen es regnet, sind nicht so optimal, erzählt er. Wir fahren zur ersten Adresse in Prenzlauer Berg, nicht weit von der Firma. Der Verkehr ist dicht, Parkplätze rar, und die Männer müssen kreativ werden, um nah genug an die Häuser zu kommen. Jeder Meter zählt, denn die Kohlelast auf dem Rücken der Männer wird gewaltig sein.

Kohle, die Wärme bringt – und ein Beruf, der verschwindet
Sie kennen den Kunden schon seit etlichen Jahren. Vor Ort wird schnell klar: Das Kohleliefern ist nichts für schwache Nerven oder untrainierte Körper. Mit speziell-gefertigten Körben, die je nach Last bis zu 75 Kilo wiegen, bewegen sich die Männer durch Berlins Kellertreppen. Das ist ein wahrer Knochenjob. Vor allem die Treppen machen ihnen zu schaffen. Wenn die Kohle auf dem Rücken lastet, muss jeder Schritt sitzen. Eine unüberlegte Bewegung kann schnell zu verheerenden Verletzungen führen. Die Arbeitsteilung ist klar: Der jüngere Kollege übernimmt die steilen Stufen, während der erfahrene Mitarbeiter mit Knieproblemen die nächste Ladung Kohle vom Laster zum Kellereingang bringt.
Während sich das Stadtbild draußen ständig wandelt, bleiben die Keller oft unverändert – mit unebenen Böden, feuchter Luft und dichten Spinnweben. „Vor Spinnen darfst du hier keine Angst haben“, sagt Henry und lacht. Die Männer arbeiten routiniert und zügig – die Kohle muss rein, der Zeitplan drängt. Der kleine Kohlehund im Transporter bewacht die wertvolle Ladung. Die Stammkunden wissen die Knochenarbeit zu schätzen, Trinkgeld gehört einfach zum Anstand – denn selber tragen ist für die meisten keine Option. Zu hart ist die Arbeit, zu technisch das Tragen.

Schweiß, Spinnweben und schwere Körbe: Berlins Kohlelieferanten im Wandel
Keiner der Männer heizt daheim mehr mit Braunkohle. Henry kann sich an seine Kindheit erinnern, in der damaligen DDR – da wurde noch bei vielen mit Kohle geheizt. Ein paar Neubaugebiete hatten vielleicht keine Kohle, aber der Rest, erzählt er. „Bei mir zu Hause war aber nichts mit Kohle.“ Er ist ein echter Berliner, „ein Ostkind“, scherzt Henry.
Die Energieumstellung ist ein gegenwärtiger Begleiter für das Unternehmen. Besonders während der Gaskrise 2022 sei die Kohle-Nachfrage enorm gewesen. Sie erzählen, wie es ihnen leidtat, keine Lieferungen machen zu können. „Die haben nach Kohle gebettelt, das war schlimm, da haben viele gefroren.“
Er erzählt weiter: „Leute haben die Straßenbänke in den Parks abgesägt, um ihre Wohnungen heizen zu können. Das war schrecklich. Wir hatten nichts zum Liefern. Die Kohle war leer“, erzählt Henry. Die Kohle, die sie geliefert bekamen, mussten sie gerecht unter den Kunden verteilen. Bei den Leuten sei nur noch wenig Kohle angekommen. „Der Lagerplatz war wie leergefegt. Sowas habe ick noch nie erlebt. Dit war schlimm.“

Nach der ersten Lieferung gönnen sich die Männer eine kurze Pause beim Bäcker. „Mal kieken, wo wir anhalten“, sagt Henry in breitem Berlinerisch. Brötchen mit gebratenem Ei und nochmal Filterkaffee. Dann geht es weiter zur nächsten Adresse. „Kann ich was essen? Oder wie weit ist es bis zur nächsten Adresse?“ fragt Camaro.
Berlins letzte Kohlelieferanten – ein Beruf zwischen Vergangenheit und Gegenwart
Die schwere Arbeit, die Kohle in die Keller Berlins zu tragen, ist für viele Haushalte ein unverzichtbarer Service, so auch für die 94-jährige Berlinerin Evelin. Sie ist schon lange eine Stammkundin. Nachbarn helfen ihr dann, die Kohle vom Keller in die Wohnung zu bringen. Sie habe ihr Leben lang mit Braunkohle geheizt, erzählt sie.

Der Rapper und Kohlelieferant Camaro achtet auf seinen Körper. Um die harte Trage-Arbeit auszugleichen, boxt der 31-Jährige, wärmt sich vor der Arbeit auch immer auf und nimmt auch mal ein Eisbad für die Muskelgesundheit. Gut und bewusst essen gehört ebenso zum Alltag, um Energie für diese intensive und anstrengende Arbeit zu haben. „Es ist ein ehrlicher Beruf“, sagt Camaro. Obwohl jetzt, kurz vor 10 Uhr an diesem Vormittag, die Temperaturen nur knapp über dem Gefrierpunkt liegen, arbeitet er mit freien Oberkörper – wenn er die geflochtenen Körbe trägt, schützt er die Haut mit einer Weste.
