Sie ist 61 Jahre alt, seit sie 18 Jahre alt ist, arbeitet sie mit Kindern in Berliner Kitas. Caro*, liebt ihren Beruf, die Kinder lieben sie. Ihre anpackende und immer fröhliche Art.
In einem der Berliner Kita-Eigenbetriebe ist sie es oft, die die Fahnen hochhält, wenn andere sich abmelden. Caro sagt: „Ich liebe meinen Beruf, aber ganz ehrlich: Die Luft ist raus.“ Zum Streik heute geht sie nicht, aber einige Kollegen werden sich beteiligen. Die Kita im Norden von Berlin wird einen eingeschränkten Betrieb anbieten können.
Streik? Da zieht sich mir der Magen zusammen
Anna ist Anfang 40 und hat zwei Kinder, eines davon besucht noch die Kita. Anna geht angesichts der seit langem desolaten Betreuungssituation in Berliner Kitas auf dem Zahnfleisch. Sollten die Beschäftigten der landeseigenen Kitas sich für einen unbefristeten Streik entscheiden, wird sie in eine private Kita wechseln. „Sechs Wochen Streik kann ich nicht stemmen“, sagt Anna, die derzeit ein Lehramtsstudium absolviert. Allein bei dem Gedanken daran ziehe sich ihr Magen zusammen.
Beide Frauen wollen das Beste für die Kinder. Doch die Rahmenbedingungen, die sie in Berlin vorfinden sind, die sind alles andere als die besten.
Dass sich die GEW und Verdi-Mitglieder in der Urabstimmung für einen unbefristeten Streik entscheiden, glaubt Caro dennoch nicht. „Schon nach den Kita-Streiks im Sommer haben viele Familien gekündigt und sind zu privaten Anbietern gewechselt“, weiß sie. „In unserer Kita sind es sieben Familien, die weggegangen sind“, sagt Anna.
Die Beschäftigten in den Kitas machen sich also schon Sorgen, sie befürchten Umsetzungen oder gar Kündigungen, wenn noch mehr Eltern die Reißleine ziehen, so Caro. Und eine gewisse Desillusion macht sich breit:
„Wir haben das Gefühl, wir beißen auf Granit.“ Trotz vorangegangener Streiks sind die Arbeitsbedingungen in den Kitas nicht besser geworden. Obwohl die meisten Erzieherinnen und Erzieher hinter den Forderungen der GEW und Verdi stehen, glauben sie nicht mehr daran, dass ein Streik ihre Umsetzung erzwingen kann.
Zu vielschichtig ist ja auch die Problemlage in den Kitas der Stadt. Am Geld jedenfalls liegt es nicht, die Gehälter der Erzieher wurden bereits deutlich erhöht. Bei den jetzigen Streiks geht denn auch vorrangig um die pädagogische Qualität in der Arbeit, die kaum mehr möglich ist und um Entlastung. Der Senat vertritt den Standpunkt, das Land Berlin könne nicht über einen Tarifvertrag mit Festlegungen zu Gruppengrößen und zum Ausgleich von Belastungen verhandeln.
Finanzsenator Stefan Evers (CDU) hat darauf hingewiesen, dass Berlin Mitglied der Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) sei und deshalb solche tarifrechtlichen Fragen nicht allein entscheiden dürfe. Es müssen andere Lösungen her, denn Eltern und Erziehern ist klar: „Wir brauchen mehr Zeit mit den Kindern.“ Einen Erzieher-Kind-Schlüssel, der nicht nur auf dem Papier funktioniert.
Schere zwischen Anspruch und Realität
Kranke, Langzeitkranke, Urlaub, Weiterbildung, all dies ist nicht berücksichtigt, wenn man von einem Schlüssel von derzeit einer Erzieherin auf acht Kinder ausgeht. Nach Einschätzung der Gewerkschaft sollten es in der Altersspanne von eins bis drei Jahren maximal drei Kinder pro Erzieher sein. Die Schere zwischen dem pädagogischen Anspruch des Berliner Bildungsprogramms und den tatsächlichen Möglichkeiten in den Kitas ist riesig.
„Weil Erzieher fehlen, fallen oft Ausflüge mit den Kindern aus“, sagt Caro. Erst wenn ein Mitarbeiter sechs Wochen lang fehlt, darf die Leitung um Ersatz aus dem Mitarbeiterpool bitten. Gerade die jungen Kollegen sind oft krank, sie sind den Belastungen weniger gewachsen oder achten besser auf ihre persönliche Gesundheit. Wo sich die alten Hasen wie Caro mit einer Schmerztablette zum Dienst schleppen, kurieren andere einen Schnupfen gleich ein paar Tage lang aus.
„Und auch die Eltern sind anspruchsvoller geworden“, sagt Caro. „Viele sehen nur ihr eigenes Kind und wünschen sich eine 1 zu 1 Betreuung.“
Froh, wenn in der Kita nichts passiert
Anna ist schon froh, wenn sie ihren Sohn am Nachmittag unversehrt wieder aus der Kita abholen kann, es sei kein gutes Gefühlt, mit dem sie den Kleinen an manchen Tagen, an denen die Kita mal wieder unterbesetzt ist, dort abgebe. Eine Wahl hat sie nicht.
Wer keine Großeltern in der Nähe hat, oder einen Mann, der beruflich oft unterwegs sein muss, wie Anna, stemmt die Härten der Kitakrise zusätzlich zu allen anderen Krisen ganz allein.
„An manchen Tagen sind wir von 16 Erziehern nur sechs oder sieben. Dann heißt es nur, irgendwie gut durch den Tag zu kommen“, sagt Caro. Frühkindliche Bildung und Beziehungsarbeit mit den Kindern fallen dann hinten runter.
Nicht eine der jungen Kolleginnen in Caros Kita arbeitet in Vollzeit, das Geld reicht auch bei 35 Stunden in der Woche. Die Belastungen im Alltag aber, hätten viele der jungen Einsteiger unterschätzt, glaubt Caro. Und sie nehmen ja tatsächlich zu, die Belastungen.
Da sind die Kinder, die heute andere Bedürfnisse haben. War es früher mal einer mit besonderem Bedarf in drei Gruppen, sind es heute ein bis zwei auffällige Kinder in jeder Gruppe, die besondere Betreuung benötigen.
Datenschutz und Verordnungen statt Arbeit mit Kindern
Kitas sind die erste und wichtigste Anlaufstelle für die Integration von Kindern mit Migrationshintergrund. Um sich mit den Eltern in deren Herkunftssprachen unterhalten zu können, haben Caro und ihre Kollegen kürzlich Übersetzungsgeräte bekommen. Doch in der Praxis müssten sie erst Unterschriften einholen, damit die Tür-und Angelgespräche aufgezeichnet werden dürften. Datenschutz geht vor, hat man oft das Gefühl.

Dokumentationspflichten, immer neue Verordnungen und Vorschriften, dazu Eltern, die statt das Gespräch zu suchen, Anzeigen schreiben, Caro ist froh, dass für sie der Ruhestand in Sicht ist.
Für Anna ziehen sich die zwei Jahre, die ihr Sohn noch in die Kita geht und während denen sie ihr Studium absolviert, zäh wie Teer. Das ständige Zerreißen zwischen Job und Familie massakriert die Nerven. Die Empathie für die streikenden Erzieher ist aufgebraucht.
Dreijährige allein beim Vespern in der Kita
„Wenn man selber so unter Druck steht, dass man all die Risse nicht mehr wegatmen kann, dann wächst die Sorge, wie man den Kindern noch gerecht wird“, sagt Anna. „Neulich habe ich beim Abholen eine Gruppe von 3- bis 4-Jährigen allein beim Vespern angetroffen“, erinnert sie sich. Selbst bei Normalbetrieb sei man schon froh, wenn keinem der Kinder etwas passiere.
Alle sind stets am Limit. Erzieher, Eltern – und die Kinder? Die sollen so auf ein System vorbereitet werden, das ebenfalls wankt. „In der Schule wird es wohl nicht viel besser“, weiß Anna.
Der Warnstreik am heutigen Donnerstag betrifft etwa 280 Kitas, in denen sich rund 7000 Erzieherinnen und Erzieher sowie weitere Beschäftigte um etwa 35.000 Kinder kümmern. Am Freitagmorgen sollen die Ergebnisse der Urabstimmung bekannt gegeben werden. Gleich anschließend ist ein Treffen zwischen Gewerkschaftsvertretern, Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch und Finanzsenator Stefan Evers geplant. ■
*Name geändert