Todesursache verheimlicht

Legenden aus der DDR: Das dunkle Ende von Dean Reed

Als der gefeierte, in der DDR lebende US-Sänger und Schauspieler 1986 in Zeuthen, am Rande Ost-Berlins stirbt, wird Erich Honecker eingeschaltet.

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Dean Reed gibt 1983 während der Weltfestspiele Autogramme auf dem Alexanderplatz.
Dean Reed gibt 1983 während der Weltfestspiele Autogramme auf dem Alexanderplatz.Sven Simon/imago

Als Dean Reed 1972 in die DDR übersiedelt, jubilieren Erich Honecker & Co. Ein US-Amerikaner, ein Sunnyboy, erfolgreich als Schauspieler und Sänger, der freiwillig die Deutsche Demokratische Republik als sein neues Zuhause wählt. Er wird hofiert, bekommt von der Defa Filme auf den Leib geschrieben. Doch die Geschichte hat kein Happyend: Als Reed 14 Jahre später in Zeuthen, am Rande Berlins stirbt, versucht die DDR-Führung alles, um die wahre Todesursache zu vertuschen.

Im Juli 1979, ein paar Jahre vor seinem Tod, besucht Dean Reed meine Schule. Die 2. POS, die Schule der DSF in Berlin-Köpenick. Alle Schüler müssen auf dem Hof antreten und sich im Karree aufstellen. Im FDJ-Hemd oder mit Pionierhemd und Halstuch. Dazwischen mit Gitarre Dean Reed. Wie immer lächelnd, aber er wirkt verloren auf dem grauen Schotter-Schulhof.

Begeisterung sieht anders aus: Dean Reed singt im Juli 1979 auf dem Hof der Schule der DSF in Berlin-Köpenick.
Begeisterung sieht anders aus: Dean Reed singt im Juli 1979 auf dem Hof der Schule der DSF in Berlin-Köpenick.Stefan Henseke

Der große US-Star, der in der DDR gefeiert – und herumgereicht wird wie in ein Maskottchen. Er singt für uns, aber glücklich sieht er dabei nicht aus.

„Sing, Cowboy, sing“: Dean Reed ist zu Witzfigur geworden

1981 floppt sein letzter Film: „Sing, Cowboy, sing“. Von der Kritik zerrissen, vom Publikum gemieden. Dean Read ist in der Westernkomödie nicht nur Hauptdarsteller, sondern auch Regisseur und schreibt das Drehbuch. Die legendäre Eulenspiegel-Filmkritikerin Renate Holland-Moritz vernichtet ihn damals mit ein paar bitterbösen Sätzen: Dean Reed kann als Regisseur „leider zwischen intelligentem Witz und abgeschmackter Trivialität so wenig unterscheiden wie zwischen echtem Gefühl und billigem Sentiment. Die Gags, die hier einander folgen, gelangen selten über die Gürtellinie. Was lustig gemeint ist, wirkt lächerlich.“

Dean Reed ist zu Witzfigur geworden. Wir, in der Schule, lächeln damals über den Sänger – und hätten lieber Bruce Springsteen (der ja ein paar Jahre später noch in Berlin rockte), Billy Joel oder Neil Young gehört. Dem US-Amerikaner ist die Überhöhung durch die DDR-Oberen auf die Füße gefallen. Ja, er hatte mal neben Yul Brynner gespielt. Aber in einem Italo-Western. Ja, er war mal als Popmusiker die Nr. 1. Aber in Argentinien. In den USA reichte es für „The Search“ gerade mal für Platz 96 der Billboard-Charts.

Dean Reed (li.) mit dem tschechischen Sänger Vaclav Neckar in der gefloppten Westernkomödie „Sing, Cowboy, sing“ von 1982.
Dean Reed (li.) mit dem tschechischen Sänger Vaclav Neckar in der gefloppten Westernkomödie „Sing, Cowboy, sing“ von 1982.Allstar/imago

Dean Cyril Reed wird am 22. September 1938 in Denver (Colorado) geboren, beginnt ein Studium der Meteorologie, das er abbricht, als er 1959 ein Plattenvertrag bei Capitol Records unterschreibt. Er singt Rock ’n’ Roll-Songs und Balladen. Als seine Karriere ins Stocken gerät, schickt ihn seine Plattenfirma auf Tour durch Südamerika. Und dort, in Argentinien und Chile, wird er zum Star, der Stadien füllt, als Teenie-Idol gefeiert wird.

Die soziale Ungleichheit und Massenarmut in den Ländern Lateinamerikas politisieren ihn. Er tritt kostenlos vor Arbeitern auf, spielt in Gefängnissen – und lernt Che Guevara kennen. Er demonstriert gegen Atomtests und den Vietnamkrieg. Nachdem das Militär in Argentinien putscht, wird Dean Reed 1966 aus dem Land ausgewiesen – wegen pro-kommunistischer Aktivitäten.

Für Dean Read beginnt eine Odyssee. In den USA will ihn keiner mehr. Er zieht erst nach Spanien, unterschreibt dann einen Vertrag in der Sowjetunion, wohnt in Italien. Alles ändert sich, als er im November 1971 bei der Leipziger Dokfilm-Woche das Model Wiebke kennenlernt. Er siedelt 1972 in die DDR über, heiratet am 13. Juni 1973 im Rathaus von Döbeln. Innerhalb von sechs Jahren dreht er in der DDR fünf Filme – darunter den Defa-Indianerfilm „Blutsbrüder“ mit Gojko Mitic.

Der nette Cowboy aus Denver kann die Frauen im Sturm erobern. Er hat eine Geliebte, trennt sich von seiner Frau, um in den 80ern die Schauspielerin Renate Blume zu heiraten. „Der große Friedenskämpfer warf Frau und Kind, das ich später von ihm bekam, aus dem Haus“, resümiert Wiebke Reed Jahre später bitter in dem Dokumentarfilm „Der rote Elvis“.

Wiebke und Dean Reed 1973 in der DDR.
Wiebke und Dean Reed 1973 in der DDR.Günter Gueffroy/imago

Der nette Cowboy aus Denver verliert aber das Gespür für seine Fans. Im DDR-Radio wird er kaum noch gespielt. „Die Jugendlichen wollten ihn einfach nicht mehr hören“, sagt später eine Redakteurin des DDR-Rundfunks. Dazu kam der Film-Flop mit „Sing, Cowboy, sing“.

Dean Reed bekommt Heimweh, nach der Sonne Kaliforniens

Ohne den gewohnten Jubel beginnt ihn der graue Alltag der DDR zu nerven. DDR-Volkspolizisten herrscht er 1982 laut einem Protokoll  an, als sie ihn wegen einer Geschwindigkeitsübertretung anhalten: „Die Staatslimousinen, die mich gerade mit 160 km/h überholt haben, schreibt ihr nicht auf. Das ist ja wie ein faschistischer Staat hier. Ich habe das langsam wie die meisten der 17 Millionen in diesem Land bis hierher satt!“, berichtete einmal der Tagesspiegel.

1979 trat Dean Reed bei einer Veranstaltung in der DDR-Volkskammer auf.
1979 trat Dean Reed bei einer Veranstaltung in der DDR-Volkskammer auf.Zuma/keystone/imago

Dean Reed bekommt Heimweh, nach der Sonne Kaliforniens, den schneebedeckten Bergen Colorados. Um das Jahr 1985 erzählt der Immernoch-Amerikaner, dass sehr gern wieder in die Staaten zurückkehren würde. Reed wird tablettensüchtig, ohne Radedorm findet er nachts keine Ruhe mehr. Er versucht wohl mehrmals, sich das Leben zu nehmen, ein paar Tage vor seinem Tod ritzt er sich. 50 Schnittwunden werden später an seinem linken Unterarm gefunden. Ein letzter Hilfeschrei?

Als Dean Reed am 17. Juni 1986 tot am Ufer des Zeuthener Sees bei Berlin aufgefunden wird, bekleidet mit Jeans, Jeansjacke mit Fell und Cowboystiefeln, versucht die DDR, alles herunterzuspielen. Es ist schnell klar, dass es Selbstmord war. Doch Selbstmord passt nicht in das Bild, das die DDR von sich in der Welt verbreiten will. Das Neue Deutschland, das Zentralorgan der SED, schreibt, versteckt auf einer hinteren Seite, von einem „tragischen Unglücksfall“. Erich Honecker selbst soll entschieden haben, dass der Selbstmord als Unfall verkauft wird.

Doch die Obduktion zeigte damals klar: „Die Befunde erklären hinreichend einen Todeseintritt auf nicht-natürliche Art.“ Tod durch Ertrinken, diagnostiziert Otto Prokop, die Koryphäe der DDR-Gerichtsmedizin: „Mitursächlich hierfür könnte die nachgewiesene Medikamenten-Einnahme des Betroffenen sein.“ Eine Überdosis Radedorm. „Nach Einnahme solcher Dosen dürften in der Regel stark sedative (=dämpfende) bis hypnotische Wirkungen auftreten, die ein Ertrinken fördern und beschleunigen können. Es fanden sich keine Anhaltspunkte für eine Gewalteinwirkung von fremder Hand.“

Erich Honecker lässt Dean Reads Abschiedsbrief verschwinden

Doch die Stasi will nicht, dass irgendetwas davon an die Öffentlichkeit dringt. Der Obduktionsbericht wandert genauso wie das letzte Foto Dean Reeds und sein Abschiedsbrief in den Giftschrank. Auch das eine Entscheidung von Erich Honecker. Er liest den Abschiedsbrief und bestimmt, dass er für immer bei den Akten bleibt – „niemand soll davon erfahren, auch nicht Deans Frau, um ihr die Enttäuschung zu ersparen“.

Er sieht aus, als würde er sanft im Gras schlafen: 2007 tauchte das letzte Foto von Dean Reed auf. Der KURIER berichtete darüber am 14. Februar 2007. Als am 17. Juni 1986 um 10.30 Uhr Volkspolizisten die Leiche von Reed am Ufer des Zeuthener Sees fanden, machte ein Kriminalist mit seiner Kamera dieses Bild.
Er sieht aus, als würde er sanft im Gras schlafen: 2007 tauchte das letzte Foto von Dean Reed auf. Der KURIER berichtete darüber am 14. Februar 2007. Als am 17. Juni 1986 um 10.30 Uhr Volkspolizisten die Leiche von Reed am Ufer des Zeuthener Sees fanden, machte ein Kriminalist mit seiner Kamera dieses Bild.Berliner KURIER

In dem Brief, der erst in den 2000ern an die Öffentlichkeit kommt, erklärt der Sänger und Schauspieler seinen Freitod mit persönlichen Problemen, mit seiner Frau Renate Blume. „Ich habe sie gebeten mich in Ruhe zu lassen, aber sie hat immer weiter angeschrien, dass ich war nur ein schlechter amerikanischer Showman. Sie quält mich und foltert mich seit Jahren, weil sie ist krank. Eifersüchtig auf alle die Leute, die ich liebe oder die mich lieben. Aber besonders meine ehemalige Frau Wiebke und meine Tochter ... Sie und Wiebke sollen meine Feinde sein. Ich weigere mich jemand zu hassen, die ich einmal als Ehefrau gehabt habe“, schreibt Dean Reed.

Dean Read: Schnell kommen Gerüchte auf. War es Mord?

„Ich liebe Renate“, heißt es weiter. „Trotz ihrer Krankheit, aber ich kann keinen Weg finden aus meinem Problem. … Sei nicht böse. Es gibt keinen anderen Weg. Ich wollte bis der Tod uns scheidet, mit Renate leben – aber sie hat mich umgebracht – Tag für Tag – und heute mir zu sagen, dass ich zu feige bin, mich umzubringen – weil sie wird weiter so machen.“ Und dann wendet er sich in dem Brief auch noch an Erich Honecker: „Meine Grüße auch an Erich – Ich bin nicht mit alles einverstanden, aber Sozialismus ist noch nicht erwachsen. Es ist die einzigste Lösung für die Hauptprobleme für die Menschheit der Welt.“

Doch dieses Vertuschen, das Unter-den-Teppich-Kehren sorgen für eine Eigendynamik. Schnell kommen Gerüchte auf. War es Mord? War es die Stasi? Gerüchte, die sich bis heute halten.