Ex-Stasi-Chef

Erich Mielkes „Ich liebe euch doch alle“-Rede: Er stand unter Drogen

Am Mittwoch vor 35 Jahren hielt der Ex-Minister für Staatssicherheit seine skurrile Rede in der Volkskammer der DDR.

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Auf dem Weg in den Palast der Republik: Erich Mielke in weißer Paradeuniform
Auf dem Weg in den Palast der Republik: Erich Mielke in weißer Paradeuniformhfr

An welche Politiker-Rede rund um den Mauerfall vor 35 Jahren können Sie sich noch erinnern? Manch einer dürfte noch das hingestammelte Statement Günter Schabowskis parat haben, mit dem er die Mauer aufquatschte. Aber staatstragende Reden von Honecker oder Krenz, von Kohl oder Schäuble? Alles ausradiert. Nein, nicht alles. Im Internet ist bis heute die „Ich liebe doch alle“-Rede von Ex-Stasi-Chef Erich Mielke ein Hit. Auch auf Youtube gibt es mehrere Varianten, die erfolgreichste haben schon über 600.000 User angeklickt.

Der 13. November 1989. Am Mittwoch vor 35 Jahren. Der Ex-Stasi-Chef wagt sich sechs Tage nach seinem Rücktritt als Minister erstmals aus der Deckung – und hält seine erste (und letzte) Rede in der Volkskammer, dem Parlament der DDR. Dunkelblauer Anzug, hellblaues Hemd, eine blaue Krawatte mit weißen Sternen, die obligatorische Brille. Der Mann, der verantwortlich war für das Ausspionieren der DDR-Bevölkerung, will sich rechtfertigen.

Erich Mielke: „Ich liebe, ich liebe doch alle, alle Menschen“

„Wir haben Genossen, liebe sch..., Abgeordnete, einen außerordentlich hohen Kontakt mit allen werktätigen Menschen, in überall ...“ Erste höhnische Lacher von den Abgeordneten. „Ja, wir haben ein Kontakt. Ja, wir haben ein Kontakt“, stammelt Mielke, aus dem Konzept gebracht, hektisch schwenkt er den Kopf in alle Richtungen. „Ihr werdet gleich hören, warum. Ich fürchte mich nicht, ohne Rededisposition hier Antwort zu stehen.“

Als ein Abgeordneter laut ruft, dass er von Mielke nicht mit Genosse angesprochen werden wolle, kommt das berühmte Zitat: „Ich liebe, ich liebe doch alle, alle Menschen. Ich liebe doch – ich setze mich doch dafür ein!“ Der einst so mächtige Mann wird ausgelacht. Vier Tage nach dem grotesken Auftritt wird das Abgeordnetenmandat des damals 81-Jährigen aufgehoben.

Ich liebe doch alle? Das Ministerium für Staatssicherheit hatte zuletzt 91.015 hauptamtliche Mitarbeiter und zwischen 109.000 und 190.000 inoffizielle Mitarbeiter. Hunderttausende DDR-Bürger wurden ausspioniert, Zehntausende landeten nach Denunziationen im Gefängnis, verloren Jobs, Spitzeleien gab es in der Schule, in den Betrieben, in den Kirchen, manchmal bis in Familien hinein.

Doch jetzt war der Mann, vor dem einst alle Angst hatten, zur Lachnummer, zum Gespött geworden. Ich liebe doch alle. Dass seine Rede in der Volkskammer ein Fehler gewesen war, erkannte Erich Mielke kurz darauf selbst. Er rief Markus Wolf an, bis 1986 Chef der Auslandsspionage der DDR. Er heulte sich am Telefon bei ihm aus, sprach davon, dass Ärzte ihn vorher unter Drogen gesetzt hätten.

Markus Wolf berichtete später in einem Buch über das Telefongespräch: „Hinterher rief er mich an und beschimpfte die Ärzte, die hätten ihm Beruhigungstabletten gegeben und ihn somit völlig durcheinander gebracht. Er sei absolut durch den Wind gewesen – das sagte er selber von sich“, berichtete Wolf. „Als großen Fehler hat er empfunden, die Volkskammerabgeordneten als Genossen angeredet zu haben.“ Mielke hätte Wolf dann eine lange Erklärung abgegeben, wie peinlich ihm das Ganze war.

Erich Mielke bei seiner Rede am 13. November 1989 in der Volkskammer.
Erich Mielke bei seiner Rede am 13. November 1989 in der Volkskammer.DDR-Fernsehen

Das Buch „Markus Wolf – Letzte Gespräche“ (von 2007) nutzte Markus Wolf damals, um mit seinem Ex-Minister abzurechnen. Er erzählte, dass man bei Erich Mielke ständig mit Entgleisungen rechnen musste. „Ich erlebte das bei Veranstaltungen. Wie er sich ungehemmt spreizte, wie er als Dirigent herumsprang, weinerlich in Militärromantik verfiel. Da ließ er versammelte Mannschaften im Ministerium schallende Hoch- und Hurra-Rufe auf Stalin schmettern. Er behandelte hochintelligente Leute wie Fußlappen.“

Mit 92 Jahren starb Mielke in einem Altenpflegeheim

Das konnte er nach 1989 nicht mehr. Nachdem Mielke am 3. Dezember aus der SED ausgeschlossen wurde, landete er am 7. Dezember unter dem Vorwurf der „Schädigung der Volkswirtschaft“ und des „Hochverrats durch verfassungsfeindliche Aktionen“ in Untersuchungshaft. Verurteilt wurde der Stasi-Chef letztlich aber nur zu sechs Jahren wegen seiner Beteiligung an einem Polizistenmord im Jahre 1931.

Der Prozess wegen des Schießbefehls an der innerdeutschen Grenze gegen Erich Mielke wurde wegen Verhandlungsunfähigkeit eingestellt, 1995 wurde er wegen seines hohen Alters und seines schlechten Gesundheitszustandes aus dem Gefängnis entlassen. Am 21. Mai 2000 starb Erich Mielke in einem Altenpflegeheim in Berlin, im Ortsteil Neu-Hohenschönhausen. ■