Archiv hat Probleme

Kein Platz mehr für Stasi-Akten: Landet Mielkes Spitzel-Erbe im Müll?

75 Jahre nach Gründung des DDR-Geheimdienstes: Ein Teil der Akten in den Archiven sind vom Aus bedroht  – vor allem, weil nicht genug Platz da ist. Besonders betroffen sind die geschredderten Stasi-Akten.

Author - Norbert Koch-Klaucke
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Blick in ein Berliner Archiv mit in Regalen abgelegten Stasi-Akten: Insgesamt 111 Kilometer Akten lagern an 13 Standorten des Bundesarchivs.
Blick in ein Berliner Archiv mit in Regalen abgelegten Stasi-Akten: Insgesamt 111 Kilometer Akten lagern an 13 Standorten des Bundesarchivs.Guido Koppes/imago

Vor 75 Jahren wurde sie gegründet – die Staatssicherheit der DDR. Sieben Jahre später wurde Erich Mielke Stasi-Chef. Er baute einen mächtigen Spitzelapparat mit Tausenden „Informellen Mitarbeitern“ (IM) auf, der vor allem die DDR-Bürger ins Visier nahm und aushorchte. 111 Kilometer Akten, Fotos und Bilder kamen bis 1989 zusammen.  Aufbewahrt werden sie heute vom Bundesarchiv. Dort könnte jetzt ein Teil dieses Akten-Erbes auf dem Müllhaufen der Geschichte landen.

Das gigantische Stasi-Unterlagen-Archiv: Es befindet sich an 13 Standorten im Osten Deutschlands. Die Gebäude waren zu DDR-Zeiten die Stasi-Zentralen in den verschiedenen Bezirken. Eines dieser Archive befindet sich im einstigen Stasi-Hauptquartier in Berlin-Lichtenberg.

Seit 2021 gehören diese Standorte zum Bundesarchiv. Und dessen Präsident schlägt jetzt Alarm. Wegen Platzmangels drohe ein Verlust von Stasi-Unterlagen, warnt Michael Hollmann. „Wir haben unsere Kapazitätsgrenzen erreicht“, sagte er der Nachrichtenagentur KNA. Das Archiv benötige dringend zusätzliche Magazinräume.

Michael Hollmann, Präsident des Bundesarchivs
Michael Hollmann, Präsident des BundesarchivsIPON/imago

Besonders die geschredderten Stasi-Akten werden zum Problem. Als es im Herbst 1989 zur politischen Wende in der DDR kommt, wissen die Machthaber, die teilweise noch in Chefsesseln sitzen, dass ihre Stunden gezählt sind. Nach der Massendemo am 4. November 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz ordnet Tage später Stasi-Chef Mielke an, die Akten zu vernichten.

Stasi-Chef Erich Mielke ordnete im Herbst 1989 die Vernichtung der Akten an.
Stasi-Chef Erich Mielke ordnete im Herbst 1989 die Vernichtung der Akten an.United Archives/imago

Aktionen der Bürgerinitiativen und der Oppositionsparteien, wie der Sturm auf die Stasi-Zentrale in Berlin im Januar 1990, verhindern Schlimmeres. Dennoch lagern in den heutigen Archiven über 15.000 große Säcke mit geschredderten Stasi-Akten.

Deren dortige Unterbringung scheint nicht ideal. Vor allem Luftfeuchtigkeit zersetzt offenbar die Millionen von Papierschnipseln, die sich in den Säcken befinden. Der Zahn der Zeit sorgt immer mehr dafür, dass die Aktenreste auf dem Müllhaufen der Geschichte landen.

Säcke mit geschredderten oder zerrissenen Stasi-Akten: Am Archivstandort in Frankfurt/Oder lagern sie sogar im Keller.
Säcke mit geschredderten oder zerrissenen Stasi-Akten: Am Archivstandort in Frankfurt/Oder lagern sie sogar im Keller.Funke Foto Services/imago

Denn das Stasi-Unterlagen-Archiv genügt größtenteils nicht den Standards für die Lagerung des historischen und brisanten Erbes der DDR-Spitzel. Bundesarchiv-Präsident Hollmann sagt: „Hier drohen unwiederbringliche Verluste allein als Folge mangelhafter Unterbringung.“

Bundesarchiv-Präsident warnt: Bei Stasi-Akten „drohen unwiederbringliche Verluste“

Ein gigantisches Puzzle liegt in den Säcken. Seit der deutschen Wiedervereinigung bemüht man sich, die Akten-Schnipsel zusammenzusetzen. Das Prozedere ist mühsam und langwierig. Viele Schnipsel wurden gescannt. Doch auch Computertechnik konnte den Rekonstruktionsprozess nicht beschleunigen. Dabei wurde dafür viel Geld ausgegeben.

Etwa 17 Millionen Euro kostet es inzwischen, die zerrissene Stasi-Akten digital wieder zusammenzufügen. Der Bundesrechnungshof erklärte das Projekt bereits als gescheitert.

In einem Bericht vom April 2023 heißt es: Nur 3,2 Prozent der Papierfetzen seien zum damaligen Zeitpunkt wieder zusammengesetzt worden, der Großteil in Handarbeit. Nur 0,1 Prozent der zerrissenen Akten konnten digital rekonstruiert werden. Das viele Millionen Euro teure Projekt habe damit keinen Erfolg gehabt, urteilte damals der Bundesrechnungshof.

Archiv-Mitarbeiter versuchen aus vorsortierten Schnipseln, eine zerrissene Stasi-Akte zu rekonstruieren. Noch immer passiert das hauptsächlich in Handarbeit.
Archiv-Mitarbeiter versuchen aus vorsortierten Schnipseln, eine zerrissene Stasi-Akte zu rekonstruieren. Noch immer passiert das hauptsächlich in Handarbeit.epd/imago

Noch immer scheint die Scantechnik nicht ausgereift, um massenhaft geschredderte Stasi-Akten zu erfassen. Die Schnipsel müssten immer noch von Hand zusammengesetzt werden. Es werde weiter nach einem Verfahren gesucht, um die Arbeit zu beschleunigen, so der Präsident des Bundesarchivs.

Da das Entschlüsseln weiter lange Zeit andauern kann, weiß man generell nicht, wo man die Stasi-Säcke noch lagern soll. Denn das Bundesarchiv mit Hauptsitz in Koblenz bewahrt nicht nur das Stasi-Erbe auf, sondern auch Akten, Fotos und Filme von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur jüngsten Vergangenheit.

Präsident Hollmann sagt: Der Aktenbestand beträgt derzeit etwa 540 Kilometer. Jedes Jahr kommen 1,5 Kilometer dazu. Der Platz wird knapp für die Stasi-Akten – und die Zeit auch. ■