Es war eine der größten Tragödien im Flugverkehr der DDR – und auch heute ist das Trauma bei den Betroffenen nicht völlig überwunden: Im Jahr 1986 stürzte ein Passagierflugzeug im Landeanflug auf Berlin bei Bohnsdorf in einen Wald, 72 Menschen kamen dabei ums Leben. Unter den Toten: 20 Schülerinnen und Schüler einer Schulklasse, die auf Klassenfahrt in Minsk waren. Ihre Eltern konnten sie nicht mehr in die Arme schließen. Eine neue Doku zeigt jetzt die schrecklichen Hintergründe des Unglücks – und beleuchtet die Folgen.
Die Tragödie ereignete sich am 12. Dezember 1986 in der Nähe des Flughafens Schönefeld. Das Flugzeug, eine Tupolew Tu-134A, kam von Minsk, war voll besetzt. Nachdem die Maschine wegen Nebel zunächst nicht landen konnte, legten die Piloten einen Zwischenhalt in Prag ein. Später flog die Maschine erneut den Flughafen Schönefeld an. Dabei kam es zu einem fatalen Fehler: Trotz Aufforderung der Flugsicherung, aufgrund von Wartungsarbeiten an der Lichtanlage die linke Landebahn zu nutzen, flog die Tupolew die rechte Landebahn an.
Überlebende des Aeroflot-Absturz: „Als ich wieder zu mir kam, brannte alles um mich herum.“
Als die Besatzung den Fehler bemerkte, versuchte der Pilot, den Flieger im Landeanflug auf die linke Landebahn zu steuern. Die rechte Landebahn beginnt aber wesentlich früher als die linke, sodass das Flugzeug schon zu sehr an Höhe verloren hatte. Die Crew bemerkte offenbar nicht, dass das Flugzeug schon zu niedrig flog, um die Landung noch zu schaffen, startete deshalb auch nicht durch. Die Folge: Das Flugzeug streifte im Landeanflug mehrere Baumwipfel, krachte in einen Wald bei Bohnsdorf. Das Flugzeug brach dabei auseinander und brannte aus.

Flugzeugabsturz 1986 bei Bohnsdorf: Rumpf des Fliegers wurde aufgeschlitzt
„Den Absturz habe ich überhaupt nicht miterlebt“, sagt Johannes Schurack, der zu den Überlebenden der Katastrophe gehört. „Ich wusste nicht, wo ich bin.“ Er könne sich nur daran erinnern, dass ihn jemand auf Sächsisch angesprochen habe. „Und dann war das Licht schon wieder aus.“ Auch Überlebende der Schulklasse gaben ihre Erinnerungen zu Protokoll. „Nach dem Aufschlag war Feuer, einen Meter vor mir. Meine Handflächen haben gebrannt“, sagte ein Junge. Eine junge Frau beschrieb es so: „Als ich wieder zu mir kam, brannte alles um mich herum.“
Das Glück der Überlebenden: Weil der Rumpf des Fliegers aufgeschlitzt wurde, gelangten sie in die Freiheit, während die meisten Passagiere und Mitglieder der Crew verbrannten. Schnell waren Ersthelfer an Bord, etwa ein Ehepaar, das ein verletztes Mädchen ins eigene Auto lud, um sie ins Krankenhaus zu bringen. Auf dem Weg wurden sie allerdings von der Volkspolizei aufgehalten und sofort verhört. Sogar die Farbe des Autos habe einer der Polizisten aufgeschrieben – und das Paar gefragt, wo sie in Berlin waren. Der Auftakt einer langen Odyssee, die für die Überlebenden und die Angehörigen der Katastrophe danach begann.
Denn als wäre der Absturz nicht schlimm genug, hatte das Unglück Folgen: Das Ministerium für Staatssicherheit beauftragte 70 Dienststellen damit, die Reaktionen der Bevölkerung auf den Flugzeugabsturz zu überwachen. In Schwerin – von hier kamen die Kinder der Schulklasse – wurden Stadträte eingesetzt, die den Eltern die Nachrichten vom Tod ihrer Kinder überbringen sollten. Sie berichteten später, wie die Eltern reagierten und ob sie Bemerkungen zur möglichen Ursache des Absturzes machten. Was sie aufschrieben, sei auch im Zugriff der Staatssicherheit gewesen, sagt Autor Matthias Baerens, der über den Fall ein Buch geschrieben hat. Die Stasi habe sich noch in der Nacht einen Überblick über die Familien verschafft, eine Art „Gefährderanalysen“ angefertigt.
Familien der Opfer im Visier der Stasi: Kritik an der Sowjetunion unerwünscht
Das Problem: Der Flugzeugabsturz war ein Politikum – die Maschine gehörte zur sowjetischen Fluggesellschaft Aeroflot. Der Fehler lag, das ergaben die späteren Untersuchungen, bei der Besatzung. Offenbar konnten die Piloten nicht gut genug Englisch, verstanden die Anweisungen der Flugsicherung nicht. Man wollte aber verhindern, dass das Unglück der Beziehung zwischen der DDR und der Sowjetunion im Weg stehen könnte. Die Stasi beobachtete die Eltern deshalb wie Straftäter, wollte herausfinden, ob sie kritische Äußerungen tätigen. „Das ist natürlich ein unglaublicher Eingriff in einen individuellen Trauerprozess“, sagt der Autor.

Und dabei blieb es nicht. Auch die Trauerfeier wurde genau beobachtet, heißt es in der Dokumentation des NDR. In einem Stasi-Bericht stand demnach, das Läuten der Kirchenglocken am Tag der Trauerfeier sei zu unterlassen, denn es könne die Betroffenheit der Bürger verstärken. Aufgepasst wurde auch, dass nicht zu viele Familienmitglieder und Freunde bei der Trauerfeier aufliefen – stattdessen wurden Funktionäre und Jugendliche in FDJ-Hemden bestellt, die keinerlei Bindung zu den Verstorbenen hatten. Auch damit sollte die Trauer im Zaum gehalten werden – und vermieden werden, dass sie in Wut auf die Verursacher der Tragödie umschlug.