Der Krankenstand bei den Berliner Verkehrsbetrieben ist hoch. Das ist kein Geheimnis. Unbekannt aber ist, dass auch in Zeiten um einen Streik herum, der eine oder andere BVG-Mitarbeiter plötzlich krank wird. So könnte es in dieser Woche auch bei dem drohenden Arbeitskampf am Mittwoch und Donnerstag sein. Warum dann Busfahrer ausgerechnet „blaumachen“? „Weil wir keine Streikbrecher sein wollen“, sagt ein Busfahrer dem KURIER.
Um die 16.600 Berliner arbeiten bei der BVG. Darunter sind über 1300 Straßenbahnfahrer, knapp 2300 U-Bahnfahrer und etwa 3800 Busfahrer. Die Mehrheit von ihnen geht an Streiktagen natürlich zu ihren Betriebshöfen, schreiben sich in die Listen ein und streiken vor dem Tor.
So stellen es auch Verdi und die BVG dar. In diesem Punkt sind sich beide Seiten überraschend einig. Doch es gibt auch BVG-Fahrer, die gehen vor den Streiktagen zum Arzt und lassen sich krankschreiben. „Wir wollen ja nicht zum Streikbrecher werden“, sagt unser Insider, der auch zum Arzt gehen will. Warum? Des Geldes wegen, so die Antwort.
Man staunt. Beim Streik geht es ja bekanntlich immer ums Geld. Im aktuellen Tarifkonflikt will Verdi für alle BVG-Beschäftigten 750 Euro mehr Monatsgehalt und satte Schichtzulagen für die Mitarbeiter im Fahrdienst erkämpfen. Und weil die Kohle nicht so von der anderen Seite kommt, wie verlangt, streikt die Belegschaft.
Das würde unser Insider ja auch gerne. Auch einige seiner Kollegen kämen gerne dazu. Aber sie sind nicht in der Gewerkschaft. Und so würde diese Fahrer, wenn sie dann richtig streiken würden, kein Geld aus der gewerkschaftlichen Streikkasse bekommen.
Insider erklärt: BVG-Streik naht, Busfahrer melden sich krank! DAS ist der Grund
Streikgeld zahlt Verdi nur an seine Mitglieder. Quasi als Ausgleich für den nicht gezahlten Lohn des Arbeitgebers. Denn dieser zahlt keinen Cent an Mitarbeitern, die streiken.
„Bleibt nur eins: Man meldet sich krank“, so unser Insider ohne Verdi-Mitgliedschaft. Und mit dieser Methode sei er auch fein raus. Man spart sich den Gewerkschaftsbeitrag (etwa ein Prozent des monatlichen Bruttolohnes), stellt dem Arbeitgeber auch nicht seine Arbeitskraft zur Verfügung und fällt damit auch seinen streikenden Kollegen nicht in den Rücken. Und mit etwas Glück kommt er er auch noch an etwas Geld, wenn die Krankenkasse mitmacht.

Dass solche Geschichten im Umfeld von Streiktagen laufen, darüber spricht man verständlicherweise nicht gerne in der Öffentlichkeit – weder bei Verdi noch bei der BVG. Jeremy Arndt, der Verdi-Verhandlungsführer in dem Streit, erklärte dem KURIER: „Wir haben einen sehr hohen Anteil von Verdi-Mitgliedern in der BVG-Belegschaft.“ Wie hoch die Anzahl genau ist, will die Gewerkschaft nicht preisgeben.

Arndt habe jedenfalls erlebt, dass „auch Busfahrer, die nicht Verdi-Mitglied sind, an den Streiktagen gemeinsam mit den anderen Kollegen an den geschlossenen Toren der Busdepots standen“. „Es gab keine Probleme.“
Dass Nicht-Gewerkschaftsmitglieder mit streiken und dabei in Kauf nehmen, keinen Finanzausgleich für den entgangenen Lohn zu bekommen – das ist schwer zu glauben. Vor allem bei mehreren Streiktagen, ganz konkret beim unbefristeten Arbeitskampf, der im April droht, tut das schon richtig weh, wenn es in der Lohntüte nicht mehr klimpert.
Ob dann eine Krankmeldung der richtige Weg ist, um nicht als Streikbrecher dazustehen? „Wer seine Kollegen beim Streik unterstützen und Streikgeld bekommen will, der braucht nur in die Gewerkschaft einzutreten“, sagt Verdi-Mann Arndt. Dies sei sogar noch bei Beginn eines Streikes möglich.
BVG-Streik und der Krankheitsstand: WAS Verdi und die Verkehrsbetriebe sagen
Arndt erklärt, dass der Krankenstand bei der BVG ja eh hoch sei. Laut einer AOK-Umfrage im vergangenen Jahr gehörten Bus- und Straßenbahnfahrer zu den Berlinern mit den meisten Krankmeldungen. Im ersten Halbjahr 2024 fielen diese im Schnitt an 25,5 Tagen bei den BVG-Fahrern aus. Ob der Krankenstand im Umfeld von angekündigten Streiks zunehme, könne Arndt nichts sagen. Das müsse das Unternehmen wissen.
Auch bei den Berliner Verkehrsbetrieben scheint dieses Thema heikel zu sein. „Eine erhöhte Zahl von Krankmeldungen verzeichnen wir nicht“, heißt es auf KURIER-Anfrage. Und man erklärt weiter, dass „Arbeitseinsätze im Streikfall nach geltendem Streikrecht erfolgen“. Also: „Alle Beschäftigten, die ihre Arbeit vollumfänglich erbringen können, können dies auch tun und werden entlohnt“, teilt die BVG mit. Allerdings könnten Bus-, U- und Straßenbahnfahrer in aller Regel nicht in den Einsatz kommen, „weil Betriebshöfe und Fahrzeuge nicht zugänglich sind, die vereinbarte Arbeit also nicht erbracht werden kann“.
Und da liegt laut Rechtssprechung genau der Hase im Pfeffer: Der Busfahrer, der am Streiktag zur Arbeit kommt, wird einfach nach Hause geschickt, weil sein Arbeitgeber ihm keinen Bus geben kann, da die Betriebshöfe in Verdi-Hand. Auch kann der Fahrer auch nicht anderweitig eingesetzt werden.
Keine Arbeit, also auch kein Lohn für den Busfahrer, der arbeiten will. So steht es im Entgeltfortzahlungsgesetz. Und daher bekommt ein Busfahrer auch am Streiktag von der BVG kein Geld im Falle einer Krankschreibung.
Haben sich da nun einige Fahrer gehörig verzockt, die nun zum Arzt gehen, wenn ein Streik naht? Der eine oder andere eventuell. Aber laut Sozialgesetzbuch könnten diese BVG-Fahrer über ihre gesetzliche Krankenkasse Geld bekommen. So hat man unter anderem Anspruch auf Krankengeld, wenn es etwa eine unbezahlte Freistellung von der Arbeitsleistung gab. ■