Zwei-Klassen-Gesundheit

Ist die ärztliche Versorgung in Berlins Reichen-Vierteln besser?

Der Verdacht drängt sich auf, dass wohlhabendere Gegenden medizinisch im Vorteil sind. Grund dafür ist auch ein umstrittenes Gesundheitssystem.

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So soll es sein: Klinikpersonal kümmert sich intensiv um eine Patientin.
So soll es sein: Klinikpersonal kümmert sich intensiv um eine Patientin.Shotshop/imago

Eine 60-Jährige windet sich vor Schmerzen, doch auf eine Magenspiegelung muss sie ein halbes Jahr warten. Eine junge Frau entdeckt einen Knoten in ihrer Brust, doch der nächste Termin im Brustzentrum? Erst in sechs Wochen! Ein Tischler hat einen Splitter im Auge, aber die Notaufnahme lässt ihn im Ungewissen: Ob er heute noch behandelt wird? Das ist fraglich.

Drei Schicksale, über die die Berliner Zeitung berichtet, die zeigen, das in unserem Gesundheitssystem etwas schiefläuft. Lange Wartezeiten, überlastete Ärzte, ein System am Rande des Kollapses. Experten schlagen längst Alarm: Von einer Überversorgung kann keine Rede sein – man bekommt den Eindruck, das Gegenteil ist der Fall.

Besonders in Großstädten wie Berlin wird der Mangel immer sichtbarer. Im Bezirk Marzahn-Hellersdorf suchen Patienten verzweifelt nach einem Hausarzt, der sie aufnimmt – oft vergeblich. Die Zahlen irritieren: Der Versorgungsgrad der Hausärzte sackte von 90 Prozent (2020) auf nur noch 82 Prozent (2024) ab, schreibt die Berliner Zeitung. Bei Kinder- und Jugendärzten ein ähnliches Bild: Ein rasanter Rückgang von 102 auf 91 Prozent.

Die Experten-Analyse entlarvt das Problem: Die ambulante Versorgung ist unterbesetzt. Fachbereiche wie Allgemeinmedizin, Pädiatrie, Gynäkologie und Augenheilkunde sind Mangelware. Aber der eigentliche Skandal ist: Während sich wohlhabendere Bezirke über eine gute ärztliche Versorgung freuen, herrscht in anderen Gebieten die blanke Not. Während in Bezirken wie Marzahn-Hellersdorf ganz klar Mangel herrscht, ist die Lage in Steglitz-Zehlendorf weitaus entspannter.

Der Grund dafür leuchtet schnell ein: Auch das duale Krankenversicherungssystem sorgt für eine Zweiklassengesellschaft. Privatversicherte spülen mehr Geld in die Kassen der Praxen, also siedeln sich Ärzte bevorzugt in wohlhabenderen Gegenden an. Wer nur gesetzlich versichert ist, hat das Nachsehen. Und die Kassenärztlichen Vereinigungen und GKV-Verbände sehen hier zu, anstatt gegenzusteuern.

Müssen Kassenpatienten eigentlich jeden mitfinanzieren?

Die Frage ist nur, wie? Denn natürlich ist mit dem dualen Krankenversicherungssystem allein nicht zu er klären, warum Patienten auch in wohlhabenden Berliner Bezirken sich manchmal eher wie Zweite-Klasse-Patienten fühlen. In einem Kassensystem, in dem das Geld hinten und vorne nicht mehr reicht, geht es auch um die grundsätzliche Frage: Müssen Kassenpatienten eigentlich jeden Bürgergeldempfänger und Kriegsflüchtling mitfinanzieren, oder kann das nicht auch die Allgemeinheit über Steuern übernehmen?

So locker besucht sind meist nur die Notaufnahmen von Krankenhäusern in wohlhabenden Vierteln.
So locker besucht sind meist nur die Notaufnahmen von Krankenhäusern in wohlhabenden Vierteln.Bihlmayerfotografie/imago

Die Notfallmedizin leidet massiv unter den Missständen. Der Berliner Rettungsdienst ist gestresst: 1580 Notrufe pro Tag allein im Januar, das ist Rekord. Die Notaufnahmen sind überfüllt, Patienten müssen stundenlang warten, viele kommen erst dran, wenn es fast zu spät ist. Die ambulante und stationäre Versorgung zeigt sich zuweilen völlig unkoordiniert.

Kliniken versuchen, das Chaos in den Notaufnahmen zu ordnen, doch die geplante Gesundheitsreform könnte alles noch schlimmer machen, mutmaßt die Berliner Zeitung. Besonders die Idee, Patienten digital zu verteilen, stößt auf Kritik. Medizin per Mausklick? Bleibt da nicht die Menschlichkeit auf der Strecke?

Die Bundesregierung - sie könnte eingreifen, stattdessen aber sind weitere Einschnitte geplant. Noch mehr Klinikschließungen, noch weniger Versorgung. Dabei ist Deutschland im internationalen Vergleich schon jetzt sparsam – nur Norwegen gibt weniger für Krankenhäuser aus.

Sicher, einige stationäre Behandlungen könnten ambulant erfolgen – aber nur, wenn die Infrastruktur stimmt. Experten schätzen, dass dies in rund 15 Prozent der Fälle möglich wäre, doch die Realität sieht anders aus: Termine sind knapp, Ärzte überlastet, Patienten frustriert. Nicht nur in Berlin, das ganze Land leidet unter einem müden Gesundheitssystem.

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