Vom Roten Rathaus ins politische Abseits

Giffeys tiefer Fall: Vom Machtzentrum an den Rand der SPD

Franziska Giffey, einst Bundesministerin und Regierende Bürgermeisterin, droht der politische Absturz. Ihr eigener SPD-Kreisverband hat sie fallen lassen.

Author - Karim Mahmoud
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Franziska Giffey (SPD) im Abgeordnetenhaus: Markenzeichen sind ihre knallroten Kleider.
Franziska Giffey (SPD) im Abgeordnetenhaus: Markenzeichen sind ihre knallroten Kleider.Carsteb Koall/dpa

Vor nicht einmal zwei Jahren stand Franziska Giffey (47) noch ganz oben – als Regierende Bürgermeisterin von Berlin. Heute kämpft sie um ihr politisches Überleben, mal wieder. Ihr eigener SPD-Kreisverband in Berlin-Neukölln hat sie nicht einmal mehr für die Bezirksliste zur Abgeordnetenhauswahl 2026 nominiert. Für Giffey, die als Wirtschaftssenatorin im Berliner Senat ihre Netze auswirft, ist das mehr als nur ein herber Rückschlag. Es ist vor allem eins: Ein Zeichen dafür, wie tief ihr Einfluss in dieser großen alten Partei inzwischen gesunken ist.

Giffey, die 2021 als Hoffnungsträgerin vom Bund nach Berlin zurückgekehrt war, hat in kurzer Zeit beinahe alles verloren: erst das Amt der Regierungschefin, dann die Chance auf die Spitzenkandidatur und nun auch noch den Rückhalt im eigenen Kreisverband. Es bleibt ihr nur noch der Direktwahlkreis in Rudow, den sie schon 2023 deutlich an die CDU verlor. Sollte sich daran nichts ändern, droht ihr 2026 das Aus im Berliner Abgeordnetenhaus.

Der Vorgang erinnert ein bisschen an das Schicksal ihres Vorgängers Michael Müller. Auch ihm verweigerte die SPD 2024 einen Listenplatz. Es läutete das Ende seiner politischen Laufbahn ein. Müller hatte mit allen Mitteln versucht, seinen Absturz zu verhindern. Frühmorgens konnte man ihn damals vorm KaDeWe am Wittenbergplatz sehen, wo er tapfer und lächelnd Wahlkampf in eigener Sache machte. Vergeblich. Jetzt droht Franziska Giffey dasselbe Schicksal.

Für viele in der Partei ist das natürlich ein krasses Signal, einige sprechen gar von einer katastrophalen Außenwirkung. Der Journalist Nils Heisterhagen (SPD-Mitglied) kommentierte das auf X so: „Die letzten Pragmatiker der SPD in Berlin werden abgeräumt.“

Besonders bitter ist, Franziska Giffey verdankte ausgerechnet dem schwierigen Bezirk Neukölln ihren Aufstieg. Er hat sie gestählt. Von dort startete sie ihre Karriere. Sie wurde Bezirksbürgermeisterin (2015 bis 2018), dann Bundesfamilienministerin (bis 2021), schließlich Regierende Bürgermeisterin (bis 2023), und das hat ihr richtig Spaß gemacht: gestalten, versöhnen, die Stadt in die Zukunft führen. Auf der Berlinale sagte sie damals in ihrer Eröffnungsrede: „I’m delighted!“ Na bitte, dachten alle.

Franziska Giffey wollte an der Macht bleiben, komme, was wolle

Aber ihr kometenhafter Aufstieg, er wurde immer wieder von Skandalen und parteiinternen Machtspielen überschattet – von einer Doktorarbeit-Affäre bis hin zu den chaotischen Wahlen, die sie am Ende das Rathaus kosteten. Nach dem CDU-Wahlsieg 2023 blieb ihr also nur der Schritt nach unten, ins Kabinett ihres Nachfolgers Kai Wegner. Weil sie an der Macht bleiben wollte.

Franziska Giffey, wieder in Rot, an der Wahlurene.
Franziska Giffey, wieder in Rot, an der Wahlurene.imago

Ein Rückzug wäre vielleicht würdiger gewesen. Aber Franziska Giffey wollte weiter gestalten, versöhnen, die Stadt in die Zukunft führen. Es ist ein beispielloser Vorgang in der deutschen Politik. Giffey, sichtbar unglücklich, musste lernen, als Senatorin im Schatten des neuen Regierenden zu arbeiten. Doch selbst in dieser Rolle nahm sie Raum ein, mehr als ihrer Partei lieb war. Sie drängt sich gekonnt nach vorne, am liebsten in knallroten Kleidern. Nein, auf den Mund gefallen ist sie nun wirklich nicht. Bis heute. Auch nicht nach ihrem Absturz als Regierende Bürgermeistern von Berlin.

Giffey ist zu technokratisch für den SPD-Maschinenraum

Giffeys Problem ist, schreibt auch der Tagesspiegel in einer kurzen Analyse: Sie ist zu professionell für die Parteiarbeit und zu technokratisch für den SPD-Maschinenraum. Während Giffey jahrelang ihre Ämter ausfüllte, fehlte sie oft in wichtigen Sitzungen, in Netzwerken, und vor allem: auf den Fluren der Partei. Das rächt sich jetzt vielleicht.

Frank Zanders 22. Weihnachtsfeier für Obdachlose im Hotel Estrel in Berlin.  Franziska Giffey serviert zusammen mit Michael Müller und ihrer heutigen Rivalin Derya Çağlar das Essen.
Frank Zanders 22. Weihnachtsfeier für Obdachlose im Hotel Estrel in Berlin. Franziska Giffey serviert zusammen mit Michael Müller und ihrer heutigen Rivalin Derya Çağlar das Essen.Berlinfoto/imago

Schon bei der Wahl zur Landesvorsitzenden 2022 fiel das Ergebnis mit 58,9 Prozent mager aus, zwei Jahre später verzichtete sie gleich ganz auf eine Kandidatur. Dass nun ausgerechnet Derya Çağlar – einst war sie eine Verbündete, heute ist sie die Rivalin – den Spitzenplatz in Neukölln bekommt, macht die Sache für Franziska Giffey doppelt bitter. Beide gehören dem konservativen Flügel der SPD an, aber nur eine hat sich rechtzeitig positioniert.

Während Çağlar in der Fraktion also längst zu einer festen Größe wurde, wirkte Giffey in ihrem eigenen Kreis zuletzt fremd. In Neukölln wird die Nicht-Nominierung zwar als normaler parteiinterner Prozess verkauft. Aber hinter den Kulissen tobt für alle sichtbar ein Machtkampf, den Giffey womöglich unterschätzt hat.

Ihr neues Bürgerbüro, erst Anfang des Jahres mit viel Aufwand eröffnet, könnte also schon bald wieder schließen. Für eine Frau, die einmal Bundesministerin und die mächtigste Politikerin der Hauptstadt war, wäre das ein Absturz mit tragischer Symbolik. Aber wer weiß: Vielleicht würde Franziska Giffey auch aus so einer Niederlage gestärkt hervorgehen.