In Berlin-Kreuzberg

Neue Mega-Unterkunft: „Wat, hier sollen ooch Flüchtlinge rin?!“

In den ehemaligen Gebäudekomplex der Rentenversicherung an der Hasenheide sollen im kommenden Jahr rund 1500 Flüchtlinge einziehen. Erste Bauarbeiten haben begonnen.

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Der Blick von der Rückseite, von der Düttmann-Siedlung aus, auf das ehemalige Gebäude der deutschen Rentenversicherung, das jetzt zum Mega-Flüchtlingsheim wird.
Der Blick von der Rückseite, von der Düttmann-Siedlung aus, auf das ehemalige Gebäude der deutschen Rentenversicherung, das jetzt zum Mega-Flüchtlingsheim wird.Stefan Henseke

10 Etagen, sechs Aufzüge, eine Bürofläche von 32.000 Quadratmetern und ein Grundstück, das 14.500 Quadratmeter misst: Bis vor zwei Jahren residierte in dem Koloss an der Hasenheide 23-27 in Berlin-Kreuzberg die Deutsche Rentenversicherung, jetzt soll an gleicher Stelle das nächste Mega-Flüchtlingsheim eröffnen. Mit rund 1500 Betten. Die ersten Bauarbeiten laufen, doch die hier beschäftigten  Handwerker wussten bisher nicht, was aus dem Gebäude, in dem sie arbeiten, werden soll. „Wat, hier sollen ooch Flüchtlinge rin?!“, sagt einer der Bauarbeiter, ein gebürtiger Lichtenberger („Das hört man doch, oder?“).

Fünf Mann arbeiten an diesem Vormittag im Gebäude. Sie entfernen die alten Buderus-Ölheizungen. Der Gebäudekomplex aus dem Jahr 1995 ist inzwischen ans Fernwärmenetz angeschlossen, sagt der Bauarbeiter. Deshalb kann auch der große Öltank raus. Der Mann würde es besser finden, wenn Obdachlose in das immer noch intakte Gebäude einziehen dürften. „Gerade jetzt im Winter“, sagt er. „Die brauchen doch auch ein warmes Plätzchen.“ Das Gebäude sei gut sichert, einen Wachschutz gebe es auch.

Der Umbau der Büros in Wohnungen für Flüchtlinge wird „sauteuer“

Der Wachschutz schließt am Vormittag Lücken im Bauzaun, die der starke Wind am frühen Morgen gerissen hat. Überall Kameras, die jeden Winkel im Blick haben, in den Treppenhäusern und am Lieferanteneingang brennt Tag und Nacht Licht, selbst an den Drehkreuzen im Foyer leuchten Lichter. „Das finde ich richtig“, sagt der Bauarbeiter. „Das schreckt die Vandalen ab.“ Wenn das Licht aus ginge, wäre doch hier alles innerhalb von einer Woche demoliert. Die Alarmanlage sei aber zurzeit ausgeschaltet: „Weil wir hier arbeiten.“

Eines ist für den erfahrenen Handwerker klar: Der Umbau der Büros in Wohnungen für Flüchtlinge wird „sauteuer“ werden. „Du brauchst ein Jahr, um das ganze Gebäude zu entkernen und neue Wände einzuziehen“, schätzt er. „Allein der Elektriker wird eine Million Euro verdienen.“

Teuer wird es auf jeden Fall für das Land Berlin. Über zehn Jahre läuft der Mietvertrag mit der landeseigenen Berliner Immobilien Management GmbH – vom 1. Januar 2026 bis zum 31. Dezember 2035. Für eine ähnliche große Unterkunft in der Soorstraße in Berlin-Westend sollte Berlin für den gleichen Zeitraum 157 Millionen Euro zahlen. Es seien aber weniger als 200 Millionen Euro, zitiert die Berliner Zeitung die zuständige Senatsverwaltung.

Eine konkrete Summe wird nicht genannt, die Beschlussvorlage zur Anmietung dieser Immobilien sei vertraulich, heißt es. Wohl auch als Reaktion auf den Unmut vieler Berliner, als im Oktober die Kosten für das neue Mega-Flüchtlingsheim in der Landsberger Allee (140 Mio. Euro) bekannt wurden.

Das neue Flüchtlingsheim an der Hasenheide 23 bis 27, gleich gegenüber vom Volkspark.
Das neue Flüchtlingsheim an der Hasenheide 23 bis 27, gleich gegenüber vom Volkspark.Stefan Henseke

Gewinner dürfte die Kaphag werden, eine Unternehmensgruppe mit Sitz in Moabit, der auch das Kant-Dreieck und die Checkpoint-Arcaden in der Friedrichstraße gehören. Nur in den riesigen Gebäudekomplex an der Hasenheide, umgetauft in BIC, wollte jahrelang niemand einziehen, da half auch nichts, dass man mit den „Unendlichen Möglichkeiten“ von „Modernen Open-Space-Bürolandschaften“ warb. Jetzt übernimmt das Land Berlin die Mega-Miete.

Durchs Fenster fotografiert: Die Lampen an den Drehkreuzen leuchten noch.
Durchs Fenster fotografiert: Die Lampen an den Drehkreuzen leuchten noch.Stefan Henseke

Wenn alles rechtzeitig fertig wird, sollen hier 2026 rund 1500 Menschen einziehen – darunter 260 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Die Integration dürfte in dem dichtbesiedelten Kiez nicht einfach werden. Die Gegend zwischen Hermannplatz und Südstern gilt als sozialer Brennpunkt. Wohnhäuser umschließen den Gebäudekomplex, der zum Flüchtlingsheim werden soll, eng. Viele Treppenhäuser der umliegenden Wohnhäuser werden mit Kameras überwacht, wie Warnschilder anzeigen.

Viele Anwohner wissen aber wie die im Haus beschäftigten Handwerker noch gar nicht darüber Bescheid, was aus dem Gebäude werden soll. Weder der Senat noch das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten haben bisher die umliegenden Anwohner, die direkten Nachbarn, über ihre Pläne offiziell informiert. Nur Gerüchte sind im Umlauf. Im nahen Supermarkt habe man schon vor Monaten gehört, dass nebenan Flüchtlinge einziehen sollen, schreibt die Berliner Zeitung. Die Marktleiterin erzählt von der Sorge, dass Diebstähle dann noch mehr zunehmen könnten.

Nachbarn: Die Angst vor kriegstraumatisierten jungen Männern

Die Berliner Zeitung berichtet von Unruhe in der Düttmann-Siedlung, die direkt hinter dem Bürokomplex beginnt. Knapp 3000 Menschen lebten hier, von denen die Hälfte staatliche Transferleistungen bekomme. Angst habe man besonders vor den kriegstraumatisierten jungen Männern, erzählen mehrere Anwohner. „Wir haben hier doch schon genug Kriminalität“, berichtet eine ältere Frau, die vor mehr als 20 Jahren aus dem früheren Jugoslawien hierher zog. Erst kürzlich musste wieder mal in die Polizei anrücken – eine Messerstecherei.

Zehn Stockwerke, 32.000 Quadratmeter Bürofläche: Das ehemalige Haus der Deutschen Rentenversicherung.
Zehn Stockwerke, 32.000 Quadratmeter Bürofläche: Das ehemalige Haus der Deutschen Rentenversicherung.Stefan Henseke

Auch die lokale Politik aus Kreuzberg und dem angrenzenden Neukölln sieht Probleme auf den Kiez zu kommen – vor allen Dingen wegen der geplanten Clearingstelle für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Grund: Bis zum Kriminalitätsschwerpunkt Hermannplatz sind es nur 500 Meter. Und dort würden schon heute antisemitische Akteure und Mitglieder der Organisierten Kriminalität Radikalisierung betreiben und junge Menschen rekrutieren, schrieb Neuköllns Bürgermeister Martin Hikel (SPD) an den Senat. Das Bezirksamt befürchte, dass den jungen Geflüchteten in diesem Umfeld „ein Abrutschen in die Illegalität droht“. ■