Warren Grundig ist mitten beim Probebacken. Mit jeder seiner Hände knetet er einen Teigbatzen, nicht zu langsam, nicht zu schnell. Die Luft muss raus. Fix legt er einen Laib neben den anderen, perfekt gerundet, glatt und mehlweiß. Später wird er die Probebrote in einer Schildower Facebook-Gruppe verschenken. Bis zur offiziellen Eröffnung seiner Backstube verkauft er noch keine Brote.
Ab dem 11. Januar aber wird Schildow, im Norden von Berlin, wieder einen Dorfbäcker haben. Dort, wo anderswo Bäckermeister händeringend nach Nachwuchs suchen, Handwerksbäckereien vor der Konkurrenz der Discounter in die Knie gehen, dreht Warren Grundig den Spieß um. Ob er vor der Eröffnung seines ersten eigenen Ladens schlaflose Nächte hat? Ein eindeutiges Ja ist die knappe Antwort.

An der fachlichen Expertise kann das aber nicht liegen. Während Warren weiter knetet, erzählt er atemlos von seinen Stationen als Bäcker und sein Lebenslauf klingt, als sei er mindestens 59 Jahre alt und nicht erst 39. Nach der Schule, die ihn nicht besonders interessiert, will Warren Grundig Tischler werden. Doch eine Allergie verhindert das. Also beginnt er eine Lehre als Bäcker, Handwerk interessiert ihn.
Bäcker ist nicht gleich Bäcker
Nach der Ausbildung bei einem industriellen Bäcker lernt Grundig an verschiedenen Stationen neue Seiten des Handwerks kennen. Beim Linzer Bäckermeister Helmut Gragger backt er Sarah-Wiener-Brote mit natürlichen Zutaten. Und er probiert sich als Leiter in der Entwicklungsabteilung mit neuen Rezepten aus. „Brot, das urtümlichste Lebensmittel unserer Kultur, wieder zu seinem Ursprung zurückbringen“, das ist die Idee von Helmut Gragger, von dem Grundig viel lernt. Das Ergebnis sind Brote, die schmecken wie in der Kindheit. Ob Brioches in der „Bekarei“ oder mit Kreationen für Biocompany, Warren Grundig beherrscht das Handwerk und hat weiter Lust am Experimentieren. Doch die langen Fahrtzeiten bis ans andere Ende der Stadt passen für Warren nicht länger zu einem Leben als alleinerziehender Vater. Sein Lebenstraum ist es, eine eigene Bäckerei aufzumachen.
Dorfbäckerei steht ein Jahr lang still
Der Schildower Dorfbäcker Lorenz läuft gut, lange Schlangen von Menschen stehen sonnabends vor dem Laden in der Hauptstraße, bis Heiko Lorenz aus gesundheitlichen Gründen schließen muss. Ein Jahr lang stehen die Teigknetmaschinen in der Backstube still. Bis Lorenz und Warren Grundig aufeinander treffen.
Schnell sind sich die beiden Bäcker mit Herzblut einig. Warren soll den Laden übernehmen, er sagt ohne Zögern zu. Wann, wenn nicht jetzt, wo, wenn nicht hier in dieser 103 Jahre alten Backstube? Warren schiebt jetzt die Testbrote in einem langen Regal über den rot-weiß gefliesten Boden in Richtung Gärschrank. Hier gehen die Brote mit Mamas Sauerteig auf, bevor sie in den Ofen kommen.

Für den Anfang will er in seiner Bäckerei ein kleines, aber feines Sortiment anbieten: Sauerteigbrot, Mischbrot, Zwiebelbrot, Dinkelbrot mit Saaten und die neueste Erfindung: ein saftiges Porridgebrot. Auch Splitterbrötchen und Schrippen wird es geben. „Die Leute wollen Ost-Schrippen“, weiß Warren Grundig. Auch nach Dominosteinen und anderen liebgewonnenen Backwaren fragen die Schildower schon.
Hauptsache für den neuen Bäckermeister sind natürliche Zutaten. Bei Warren Grundig kommen keine Backtriebmittel in den Teig. Mit Mehl, Salz, Wasser und Zeit backt er Brote und Brötchen wie früher. Mit Paulick’s Mühle in Müschen im Spreewald hat Grundig einen regionalen Mehlproduzenten gefunden, der seine Biomehle noch mit einer Wassermühle mahlt. Diese Liebe zum Produkt soll man schmecken.
„Kein Vergleich mit dem SB-Brötchen von Rewe und Netto gegenüber“, sagt Grundig. „Die Supermärkte sind keine Konkurrenz.“ Auch wenn seine Brote und Brötchen teurer sein werden. Handwerk hat eben seinen Preis. Die Schildower jedenfalls beäugen neugierig, dass sich in der Backstube wieder etwas tut.
Wo gibt es noch gutes Brot wie früher
In nur vier Wochen hat Warren Grundig mit Freunden und Familie den Verkaufsraum umgebaut, die Backstube auf Vordermann gebracht. Auch den massiven Fortuna Teigteiler in der Backstube hat Grundig neu gestrichen und gesäubert. Seit den 1950er-Jahren steht das Teil hier und wirft 30 Brötchen auf einen Schlag aus dem gewaltigen Rumpf.

Seit Weihnachten duftet es schon wieder aus dem Ofen, Warren startete Testbacks. Anfüttern nennt man das wohl. Und die Probeesser sind begeistert.
Das Beste aus beiden Welten will Warren Grundig hier versuchen: moderne, familienfreundliche Arbeitszeiten und Herstellungsweisen und Rezepte in der Einfachheit von früher. Wenn Bäckerhandwerk gelingt, dann so. Wenn er ab fünf Uhr in der Backstube steht, freut sich der Meister, wie ihn Verkäuferin Mimi stets nennt, übrigens über Besuch am Fenster im Hof. „Ich brauche den Kontakt zu Menschen, sonst versauert man“, sagt Grundig. Und sauer soll hier nur der Sauerteig mit dem Ansatz von Mama sein.

Wenn es gut läuft, als Dorfbäcker von Schildow, hat Warren Grundig schon jede Menge Pläne für die Zukunft. Einen Brotautomaten, der auch nach den Öffnungszeiten frisches Brot bereithält, will er anschaffen. Irgendwann soll der alte Gasofen aus den 1990ern durch einen modernen und energieeffizienten ersetzt werden. In das Geschäft reinwachsen, das ist der Plan. Sein 14-jähriger Sohn will vielleicht einmal Konditor werden. Gut möglich, dass das Sortiment dann ebenfalls wächst.
In dieser Woche hängt Grundig das neue Ladenschild auf: „Der Baeckermeister – Die Naturbackstube in Schildow“ steht dann über der Tür. Und „Brot ist Liebe“ lautet das Motto auf den Brottüten. „Die Backstube ist mein Spielplatz“, sagt Warren Grundig. Er kann es kaum erwarten, endlich loszulegen. ■