500 Parzellen in Gefahr

Kleingärtner in Angst: Grünes Glück in Treptow soll Wohnungen weichen!

Im Späthsfelder Dreieck sollen bis zu 4000 Wohnungen entstehen – 500 Parzellen sind bedroht. Doch die Laubenpieper geben ihr Paradies nicht auf.

Author - Katrin Bischoff
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Laubenpieper in Angst um ihr Paradies: Werner Stricker, Dagmar Lützkendorf, Harald Wagner, Dirk Wedemeyer, Marcus van der Heyden und Andreas Hockarth (v.l.).
Laubenpieper in Angst um ihr Paradies: Werner Stricker, Dagmar Lützkendorf, Harald Wagner, Dirk Wedemeyer, Marcus van der Heyden und Andreas Hockarth (v.l.).Markus Wächter/Berliner Zeitung

Ein rotes Transparent flattert im Wind am Zaun der Kleingartenanlage „Britzer Allee“ in Treptow. In großen Buchstaben steht dort: „SPÄTHI-NIGHT-SHOW“ – das Wort „Späthi“ leuchtet grün. Darunter der Satz, der alles sagt: „Kleingärten statt Beton. Das Späthsfelder Dreieck muss grün bleiben.“ Hier geht es um mehr als Beete und Blumen. Es geht um ein Stück Heimat.

Dagmars kleines Paradies: Rentnerin hat Angst um ihren Garten

Dagmar Lützkendorf (69) hat ihren Garten am Lilienweg seit 17 Jahren. Zwischen Quittenbaum, Mispel und einem kleinen Teich mit Fröschen und Eidechsen hat sie sich ihr Paradies geschaffen. „Ein Balkon ist immer noch Stadt. Hier aber bin ich im Grünen, kann mich erholen, abschalten, die Seele baumeln lassen, mit meinen Nachbarn quatschen“, sagt sie. Der Rasen ist ordentlich gestutzt, die Quitten leuchten gelb, der Spätsommer verabschiedet sich. Doch Dagmar Lützkendorf hat Angst. Große Angst. Denn ihr Garten – ihr Rückzugsort – soll verschwinden.

Dagmar Lützkendorf in ihrem kleinen Paradies, das für sie ein Stück Zuhause geworden ist.
Dagmar Lützkendorf in ihrem kleinen Paradies, das für sie ein Stück Zuhause geworden ist.Markus Wächter/Berliner Zeitung

Bis zu 4000 Wohnungen sind im Späthsfelder Dreieck in Treptow geplant

Der Berliner Senat plant, das Späthsfelder Dreieck zu bebauen. Zwischen Königsheide, Autobahn 113 und Britzer Verbindungskanal könnten 2000 bis 4000 Wohnungen entstehen. Baubeginn? Mitte der 2030er-Jahre. Es wäre für Berlin dringend benötigter Wohnraum – für viele Kleingärtner aber der Verlust ihres einzigen Stücks Grün. Dagmar Lützkendorf kämpft mit den Tränen. Ihr gepachteter Garten sei das einzige Grün in der Familie, sagt sie.
Als sie die Parzelle übernahm, war das Areal im Plan dunkelgrün markiert – als geschützt gekennzeichnet. „Darauf habe ich mich verlassen“, sagt sie. Noch einmal woanders neu anfangen? „Das kann und will ich mir nicht vorstellen.“

Pfiffige Sprüche stehen auf den Transparenten, die in den Gartenanlagen hängen.
Pfiffige Sprüche stehen auf den Transparenten, die in den Gartenanlagen hängen.Markus Wächter/Berliner Zeitung

Die Warteliste für einen Garten ist im Bezirk extrem lang

Rund 500 Parzellen könnten betroffen sein. Und das ausgerechnet in einem Bezirk, wo Kleingärten heiß begehrt sind: In Treptow-Köpenick stehen rund 2000 Bewerber auf den Wartelisten. Marcus van der Heyden (48) ist der Vorsitzende der Anlage „Britzer Allee“, kämpft an vorderster Front. Im Garten steht er mit seiner alten Hündin Lotta. „Sie sieht und hört schlecht, aber hier im Garten lebt sie auf“, sagt er. Wie viele andere. Kinder, Familien, ältere Menschen, Alleinstehende. „Gerade für einsame Menschen ist der Garten oftmals die einzige Möglichkeit, mit anderen in Kontakt zu bleiben.“

Die Kolonie „Britzer Allee“ ist eine Gartenkolonie mit Geschichte

Die Kolonie „Britzer Allee“ gibt es seit 113 Jahren. Gegründet als Rot-Kreuz-Arbeitergartenkolonie, lag sie zu Mauerzeiten im Grenzgebiet – Zutritt nur mit Passierschein. Heute ist sie eine lebendige Gemeinschaft. Doch bald könnte sie Geschichte sein. Van der Heyden erinnert sich: Schon 2021 sicherte sich Berlin das Vorkaufsrecht für das Gelände. „Eigentlich hätte man da schon hellhörig werden müssen“, sagt er. Damals hieß es, nur wenige Parzellen seien betroffen. Doch im Januar kam der Schock: Ein Wohnquartier soll gebaut werden. Sogar von einer neuen Straße, der Süd-Ost-Verbindung, ist wieder die Rede – mitten durch die Gartenanlagen.

Marcus van der Heyden ist der Vorsitzende der Kleingartenanlage Britzer Allee.
Marcus van der Heyden ist der Vorsitzende der Kleingartenanlage Britzer Allee.Markus Wächter/Berliner KURIER

„Die Masse an Kleingärten, die davon betroffen wären, hat uns dazu bewegt, aktiv zu werden“, erklärt van der Heyden. Gemeinsam mit Nachbaranlagen, dem Landesverband, anderen Bezirksverbänden und dem BUND protestieren die Treptower Laubenpieper. Der Umweltverband warnt: Die Versiegelung der Flächen hätte verheerende Auswirkungen auf Natur, Gewässer und Klima. Am 15. Oktober will die Senatsverwaltung neue Entwürfe von drei Planungsbüros vorstellen. Dann soll auch zeitnah entschieden werden, wer den Zuschlag bekommt. Viele Kleingärtner, auch aus anderen Bezirken, wollen an diesem Tag demonstrieren. „Es ist die letzte Möglichkeit, ein Mitspracherecht einzufordern“, sagt van der Heyden. Er befürchtet, dass die Planer Tempo machen, um noch vor dem neuen Kleingartensicherungsgesetz Fakten zu schaffen.

Insgesamt 13 Anlagen sind von den neuen Plänen bedroht

Laut van der Heyden wären 13 Kleingartenanlagen betroffen. Einige verlieren einzelne Parzellen, andere – wie „Holunderbusch“, „Lerchenhöhe“, „Kuckucksheim“ und „Baumfreunde“ – sollen komplett verschwinden. „Das darf nicht passieren. Wir im Dreieck Späthsfelde sind eine Gemeinschaft“, sagt van der Heyden. Die Gärten seien mehr als Freizeitgrundstücke. Sie seien grüne Lungen, Orte des Zusammenhalts. „Warum zerstört man Grünflächen, statt bereits versiegelte Flächen zu bebauen?“, fragt er.

Die Idylle in der Kleingartenanlage Britzer Allee im Späthsfelder Dreieck ist bedroht. Hier sollen Wohnungen entstehen, dafür müssen etliche Parzellen weichen.
Die Idylle in der Kleingartenanlage Britzer Allee im Späthsfelder Dreieck ist bedroht. Hier sollen Wohnungen entstehen, dafür müssen etliche Parzellen weichen.Markus Wächter/Berliner KURIER

Die Kleingärtner von Treptow wollen kämpfen bis zum Schluss

Draußen peitscht der Herbstregen. Dagmar Lützkendorf blickt auf ihre Obstbäume – Äpfel, Birnen, Pflaumen.
„Die Ernte war in diesem Jahr unheimlich ertragreich“, erzählt sie. Sie hat viel Obst an Familie und Freunde verteilt. Wer weiß, wie oft sie das noch kann. „Die Sorge, hier bald nicht mehr gärtnern zu dürfen, ist extrem groß“, sagt sie. Dann schaut sie auf ihren kleinen Teich. Ein paar Frösche springen ins Wasser. Ihr Paradies soll Beton weichen. Doch Dagmar Lützkendorf und ihre Mitstreiter wollen kämpfen. Bis zum Schluss.