In der Silvesternacht 2023/2024 eskalierte die Situation in der Rettungsstelle des Sana-Klinikums in Berlin-Lichtenberg. Drei Männer randalierten, ein Pfleger wurde zu Boden geschlagen, ein Arzt ins Gesicht getroffen. Der mutmaßliche Haupttäter ist untergetaucht, die beiden anderen stehen nun vor Gericht. Dieser Vorfall sorgte für Schlagzeilen, ist aber längst kein Einzelfall. Gewalt in den Notaufnahmen der Hauptstadt gehört inzwischen zum Alltag, ein Zustand, der alarmierende Ausmaße angenommen hat.
Nur wenige Tage vor dem Jahreswechsel ereignete sich ein weiterer schwerer Angriff – diesmal in der Notaufnahme des Klinikums Hedwigshöhe im Bezirk Treptow-Köpenick, schreibt die „Berliner Zeitung“. Ein Patient, der zunächst routinemäßig aufgenommen worden war, rastete plötzlich aus.
Er griff mehrere Beschäftigte an, verletzte zwei Pflegekräfte und zwei Ärzte. Kollegen konnten die Situation nur durch eine riskante körperliche Fixierung entschärfen. Der Träger des Klinikums bestätigte den Vorfall später, hielt sich aber mit weiteren Details zurück. Der Angriff war nicht der erste dieser Art in der Klinik.
Eine Anfrage im Berliner Abgeordnetenhaus brachte erschreckende Zahlen ans Licht: Allein im Jahr 2023 wurden 808 Übergriffe auf Rettungskräfte, Pflegepersonal und Feuerwehrleute gemeldet. In 433 Fällen waren Pflegekräfte betroffen. Die häufigsten Straftaten waren vorsätzliche Körperverletzungen und Bedrohungen. Für das Jahr 2024 sieht es ähnlich düster aus: Bis Ende September wurden 513 solcher Delikte registriert, davon erneut über 170 Fälle von Körperverletzungen.
Attacken treffen auf ein überlastetes Gesundheitssystem
Die steigende Gewalt trifft auf ein ohnehin überlastetes Gesundheitssystem. Viele Berliner Kliniken versuchen, mit Deeskalationskursen gegenzusteuern, schreibt die „Berliner Zeitung“. Das Deutsche Rote Kreuz hat beispielsweise bereits 2024 spezielle Schulungsprogramme eingeführt.
Mitarbeiter mit regelmäßigem Patientenkontakt werden in monatlichen Trainings darauf vorbereitet, mit körperlicher Aggression umzugehen. Doch selbst solche Maßnahmen stoßen an Grenzen, wenn die personelle und organisatorische Ausstattung der Krankenhäuser nicht verbessert wird.
Neben der offensichtlichen Gewalt durch Patienten oder Angehörige, die häufig durch lange Wartezeiten oder Frustration ausgelöst wird, gibt es weitere Ursachen. Betrunkene, verwirrte ältere Menschen, Jugendliche unter Drogeneinfluss oder im Rauschzustand sorgen für eine angespannte Atmosphäre, in der verbale Angriffe schnell in physische Übergriffe umschlagen. Die Mitarbeiter der Rettungsstellen stehen zwischen diesen Dynamiken und einer Arbeitsrealität, die durch chronischen Personalmangel geprägt ist.

Auf Bundesebene zeichnen Studien ein ähnlich düsteres Bild: Eine Untersuchung der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege ergab, dass jährlich über 5300 gewalttätige Übergriffe oder Fälle von sexualisierter Gewalt gegen Pflegekräfte gemeldet werden. Neun von zehn Betroffenen werden körperlich verletzt, viele davon schwer genug, um für mindestens drei Tage arbeitsunfähig zu sein.
Die Politik versucht, dem Problem mit punktuellen Maßnahmen zu begegnen. Das Landeskriminalamt Berlin bietet beispielsweise Beratung und Schulungen an, die sich mit Bedrohungsmanagement beschäftigen.
In einigen Notaufnahmen wurden Überfallmeldeanlagen installiert, weitere sollen folgen. Doch solche Maßnahmen wirken angesichts der Dimension des Problems wie ein Tropfen auf den heißen Stein.
Gewaltwelle führt zu langen Ausfällen und Kündigungen
Immer mehr Klinikleitungen klagen darüber, dass die Gewaltwelle zu langen Ausfällen und Kündigungen führt, so die Zeitung. Der Druck auf das verbleibende Personal wächst, während die Behörden oft nur schleppend auf die alarmierende Entwicklung reagieren.
Gleichzeitig steigt die Zahl der Polizeieinsätze in Berliner Kliniken. In den letzten fünf Jahren nahmen diese Einsätze um 40 Prozent zu, ein weiterer Hinweis auf die wachsende Gewaltbereitschaft.
Der Fall des Klinikums Hedwigshöhe zeigt exemplarisch, wie gefährlich die Situation für die Beschäftigten geworden ist. Der schockierende Vorfall am 30. Dezember ist dabei nur ein Puzzleteil eines Systems, das droht, unter der Last von Gewalt, Überlastung und fehlendem Schutz zu zerbrechen.
Der Berufsalltag von Pflegekräften, Ärzten und Rettungspersonal wird zunehmend zu einem Drahtseilakt zwischen Hilfeleistung und persönlichem Risiko. Die Notaufnahme ist für viele ein gefährlicher Ort geworden – für Patienten wie für die, die dort Tag für Tag helfen wollen. ■