Schildower Straße in Berlin

Kampf gegen Kiez-Blocks: „Poller würden den ganzen Kiez zerreißen“

Es geht um eine Verkehrsberuhigung im Hermsdorfer Waldseeviertel, an der Grenze zu Glienicke in Brandenburg. Doch viele Anwohner wollen keine Poller. Im Sommer entscheidet das Verwaltungsgericht.

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Zwischen Berlin-Hermsdorf und Glienicke/Nordbahn: Für Helmut Bodensiek (li.) und Bernd Pickel von der Bürgerinitiative „Offene Nachbarschaft“ kamen Poller an dieser Stelle einer neuen Grenzsperrung gleich.
Zwischen Berlin-Hermsdorf und Glienicke/Nordbahn: Für Helmut Bodensiek (li.) und Bernd Pickel von der Bürgerinitiative „Offene Nachbarschaft“ kamen Poller an dieser Stelle einer neuen Grenzsperrung gleich.Stefan Henseke

Um 1,2 Kilometer Asphalt ist im Norden der Hauptstadt, genau an der Grenze von Berlin und Brandenburg, ein erbitterter Streit entbrannt, der die Nachbarschaft im Hermsdorfer Waldseeviertel und in Glienicke/Nordbahn entzweit. Es geht um die Schildower Straße, die nach dem Mauerfall zu einer wichtigen Verbindungsstraße von Ost nach West wurde. Die einen wollen jetzt mehr Ruhe und den Durchgangsverkehr mit Pollern aussperren, Autos am Passieren hindern (der KURIER berichtete), die anderen kämpfen dagegen. „Poller würden den ganzen Kiez zerreißen“, sagen Vertreter der Bürgerinitiative „Offene Nachbarschaft“ zum KURIER.

Der Streit um die Schildower Straße geht schon seit über sechs Jahren und spaltet die Nachbarschaft. Drei Bürgerinitiativen sind am Start, zwei für Poller, eine dagegen. Die Schildower Straße ist eine beliebte Abkürzung zwischen der B96 in Hermsdorf und Glienicke/Nordbahn, zwischen ehemals West und Ost, einst ging die Mauer zwischen beiden Gemeinden quer über die Straße.

Gutachten: Poller führen zu Staus

6000 Autos nutzen pro Tag die 1,2 Kilometer. Normalerweise. Momentan ist es ruhig, weil gebaut wird, die Schildower Straße fit für den Verkehr gemacht wird. 2018 brachte sich eine Bürgerinitiative für mehr Verkehrsberuhigung im Waldseeviertel in Stellung. Anfangs war das Bezirksamt Reinickendorf offen für die Idee, den Verkehr mit Pollern zu beruhigen. Doch ein Verkehrsgutachten von Stadtraum (Gesellschaft für Raumplanung, Städtebau und Verkehrstechnik mbH) im Auftrag des Bezirksamts brachte die Wende.

Das Fazit des Gutachtens: Kiezblocks könnten zwar den Durchgangsverkehr vollständig unterbinden, doch die Folge wäre eine Überlastung des übergeordneten Straßennetzes, der Durchgangsverkehr könnte nicht verkehrsverträglich auf das umliegende Straßennetz umgelegt werden. Also: Die Folge von Pollern würde zu Staus auf allen Umfahrungen führen. Das Bezirksamt verwarf den Poller-Plan wieder, sagte einen Test ab.

Daraufhin verklagte im vergangenen Jahr die Bürgerinitiative für mehr Verkehrsberuhigung im Waldseeviertel um Michael Ortmann, Anwohner in der Schildower Straße, gemeinsam mit dem Klima-Lobby-Verein Changing Cities das Bezirksamt Reinickendorf. Ein Urteil wird im Spätsommer erwartet.

Die Bürgerinitiative „Offene Nachbarschaft“ dagegen ist froh über die Entscheidung des Bezirksamts. Die Initiative hat 500 aktive Unterstützer, rund 2000 Anwohner unterschrieben vor fünf Jahren einen Aufruf gegen die Pollerpläne. Direkt betroffen wären von einer Sperre rund 1000 Wohneinheiten im Hermsdorfer Waldseeviertel und 6000 Familien im Ostteil Glienickes.

Ein symbolischer Handschlag zwischen Berlin-Hermsdorf und Glienicke: Helmut Bodensiek (li.) und Bernd Pickel.
Ein symbolischer Handschlag zwischen Berlin-Hermsdorf und Glienicke: Helmut Bodensiek (li.) und Bernd Pickel.Stefan Henseke

Helmut Bodensiek (Waldseeviertel) und Bernd Pickel (Glienicke) kämpfen gemeinsam gegen die Kiezblocks: „Poller würden einen gewachsenen Kiez zerreißen. Genaugenommen ist das ein Siedlungsgebiet.“ Bernd Pickel sagt, dass hier, wie sonst nur in wenigen Randgebieten der Stadt, Berlin mit dem Umland zusammengewachsen sei. „Es gibt eine Symbiose zwischen dem Waldseeviertel und Glienicke.“ Das Waldseeviertel wäre ein reines Wohngebiet, zum Einkaufen aber würden alle nach Glienicke fahren.

„Es gibt hier ein super Eisenwarengeschäft, das die Fahrt in den Baumarkt überflüssig macht“, sagt Bernd Pickel. Es gäbe zwei Supermärkte, Friseure, kleine Läden, Ärzte, ein Fitnesscenter. Im Waldseeviertel dagegen nichts. Auch für Helmut Bodensiek aus dem Waldseeviertel ist Glienicke das Nahversorgungszentrum, wie er sagt. Außerdem gebe es familiäre und freundschaftliche Verbindungen zwischen beiden Teilen. „Viele Familienangehörige sind ins Umland gezogen“, sagt er.

Verkehrsplanung wird für 34-jährige Kampfradler gemacht

Poller würden zu längeren Anfahrtswegen und zu mehr Staus führen, sagen beide, ähnlich wie das Bezirksamt Reinickendorf. Vor allen Dingen wären die möglichen Alternativen vom Verkehr schon jetzt überlastet. Die B96 nutzten täglich 20.000 Fahrzeuge, die Glienicker Hauptstraße 9000 Fahrzeuge. „Wie bitte sollen diese Straßen weitere 6000 Fahrzeugbewegungen verkraften?“, fragt Helmut Bodensiek, Sprecher der Bürgerinitiative. „Schon jetzt gibt es täglich Staus an der Einmündungen zur B96“.

Wenn die B96 zugestaut wird, komme es zum Ausweichverkehr östlich und westlich der Route, sagt Helmut Bodensiek. „Da haben wir viele Unterstützer, die haben Angst davor und sagen, dann rauscht der ganze Verkehr bei uns durch.“ Beide sehen bei Michael Ortmann und der Pro-Poller-Fraktion eine „Hauptsache bei mir nicht“-Haltung, ein Desinteresse am Osten. Wenn die Poller kämen, würden an der ehemaligen Grenze wieder der Vorhang fallen. „Man darf nicht vergessen, hier ist das Auto nach wie vor das wichtigste Verkehrsmittel“, sagt Bernd Pickel. „Auch die direkte Anbindung nach Berlin ist für viele Glienicker überragend wichtig.“

Von der Pro-Poller-Fraktion: Michael Ortmann zeigt die engste Stelle in der Schildower Straße. Normalerweise kommen hier tagtäglich 6000 Autos durch. Momentan aber ist die Straße durch eine Baustellen-Vollsperrung verkehrsberuhigt.
Von der Pro-Poller-Fraktion: Michael Ortmann zeigt die engste Stelle in der Schildower Straße. Normalerweise kommen hier tagtäglich 6000 Autos durch. Momentan aber ist die Straße durch eine Baustellen-Vollsperrung verkehrsberuhigt.Stefan Henseke

Zufrieden sind Bodensiek und Pickel auch über die Sanierung der Schildower Straße. Es stimme ja nicht, dass der Ausbau zum Rasen animieren würde. „Der Kreuzungsbereich wird aufgepflastert, an drei Stellen wird die Straße eingeengt und ist dann nur einspurig“, sagt Bernd Bodensiek. Ärgerlich sei nur, dass der Hochbord-Radweg verschwinde, Radfahrer nun auf die Straße ausweichen müssen. „Da wird Verkehrsplanung gemacht für 34-jährige Kampfradler und nicht für ältere Leute und Kinder“, sagt er. „Die fühlen sich nicht wohl, wenn sie mit Autos um Platz auf der Straße kämpfen müssen.“ ■