Täglich 6000 Autos

Berlin-Hermsdorf: Der Kampf um Poller an der Stadtgrenze zum Osten

Die Schildower Straße ist eine beliebte Abkürzung – zwischen Hermsdorf und Glienicke/Nordbahn, zwischen ehemals West und Ost, einst ging die Mauer zwischen beiden Gemeinden quer über die Straße.

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Michael Ortmann zeigt die engste Stelle in der Schildower Straße. Normalerweise kommen hier tagtäglich 6000 Autos durch. Momentan aber ist die Straße durch eine Baustellen-Vollsperrung verkehrsberuhigt.
Michael Ortmann zeigt die engste Stelle in der Schildower Straße. Normalerweise kommen hier tagtäglich 6000 Autos durch. Momentan aber ist die Straße durch eine Baustellen-Vollsperrung verkehrsberuhigt.Stefan Henseke

Nicht nur in der Innenstadt gibt es Streit um Poller, um Verkehrsberuhigungen, die den Autoverkehr draußen halten sollen. Im Januar 2019 berichtete der Berliner KURIER erstmals über die Anwohner des Hermsdorfer Waldseeviertels, die seit Jahren gegen die Pkw-Lawine ankämpfen, die sich tagtäglich durch ihre schmale Schildower Straße, eine Nebenstraße, quält, um ein paar Minuten Fahrzeit einzusparen. Sie wollen Poller in ihrer Straße. Jetzt gibt es für diese Anwohner erste Hoffnung auf Erfolg: Das Verwaltungsgericht Berlin stellte fest, dass es kein grundsätzliches Recht auf Durchfahrt mit einem Kfz in der Schildower Straße gibt.

Momentan ist es in der umstrittenen Schildower Straße ruhig. Sie ist quasi baustellenbedingt verkehrsberuhigt. Doch für Michael Ortmann, Anwohner und Mitglied der Bürgerinitiative schildower-strasse.de ist das kein gutes Zeichen. Denn die Straße wird fit gemacht – für noch mehr Verkehr. Die Schlaglöcher verschwinden, was gut ist, neuer Asphalt wird verlegt. Aber es verschwinden auch die bisher vorhandenen Einengungen auf der Straße, die Autofahrer ausbremsen sollen. „Uns wurde vom Amt gesagt, die müssten weg, weil sie zu mehr Aggressionen der Autofahrer führen würden“, sagt Michael Ortmann kopfschüttelnd.

6000 Autos fahren pro Tag durch die Schildower Straße

Die Bürgerinitiative schildower-strasse.de hat die Autos gezählt, die tagtäglich die Abkürzung nehmen. 6000 pro Tag, 90 Prozent davon sind Durchgangsverkehr. Immer wieder kommt es zu Unfällen, meist kleineren, aber auch größeren. Spiegel werden abgefahren, erst in der Nacht zu Freitag rutschte ein Auto in einer engen Kurve gegen eine Straßenbegrenzung.

Autos durchlassen oder aussperren? Der Streit geht quer durch beide Gemeinden. In den vergangenen Jahren haben sich gleich drei Bürgerinitiativen in Stellung gebracht. Zwei wollen Poller zur Verkehrsberuhigung, eine kämpft dagegen. Der Streit wird jetzt vor dem Verwaltungsgericht in Berlin ausgetragen. Drei Bürger aus dem Waldseeviertel haben mit Unterstützung des Vereins Changing Cities Klage gegen das Land Berlin, vertreten durch das Bezirksamt Reinickendorf, eingereicht. Sie wollen Poller, die Abschnitte zwischen der letzten Gebäudezufahrt und der Stadtgrenze sollen künftig allein dem Fuß- und Fahrradverkehr dienen.

Die Entscheidung soll im Sommer fallen. Jetzt aber hat das Verwaltungsgericht schon einmal entschieden, dass vier Anlieger, die in der näheren Umgebung der betroffenen Straßenabschnitte wohnen und sich von der beantragten Sperrung beeinträchtigt fühlen, sich nicht vor Gericht äußern dürfen, das Bezirksamt Berlin-Reinickendorf hatte ihre Beiladung beantragt. Grund: Die Grundstücke der vier seien weiterhin zugänglich. Und: „Es besteht grundsätzlich kein Anspruch auf die Aufrechterhaltung des im Rahmen der Widmung einer öffentlichen Straße gestatteten Gebrauchs“, heißt es.

„Wir haben immer gesagt, dass es kein Gewohnheitsrecht auf den Missbrauch der Schildower Straße als überörtliche Verbindungsstraße zwischen Hermsdorf und Glienicke gibt – auch wenn einige wenige diese Bequemlichkeit lautstark einfordern. Insofern fühlen wir uns durch den gerichtlichen Beschluss bestätigt“, so Anwohner Michael Ortmann.

Michael Ortmann und weitere Mitglieder der Bürgerinitiative, die den Durchfahrtsverkehr in der Schildower Straße aussperren wollen.
Michael Ortmann und weitere Mitglieder der Bürgerinitiative, die den Durchfahrtsverkehr in der Schildower Straße aussperren wollen.Changing Cities

Klare Fronten gibt es hier aber nicht. Die Streit- hat nicht immer etwas mit der ehemaligen Grenzlinie zu tun. Susanne Tiefenthal wohnt in Glienicke/Nordbahn, gleich hinter dem ehemaligen Mauerverlauf im Osten. Auch sie ist für Poller, obwohl sich dann ihr Weg (mit dem Auto) nach Berlin verlängern würde. Sie spricht von der Angst der Eltern, die ihre Kinder auf dieser viel befahrenen Straße ungern mit dem Fahrrad zu Schule fahren lassen würden. Auch sie fühle sich hier mit dem Fahrrad unwohl. „Tempo 30 und den 1,50 Meter Sicherheitsabstand hält auf dieser engen Straße kein Autofahrer ein“, sagt sie.

Glienicke/Nordbahn: Die Angst vor der Staufalle

Zwei Kilometer lang ist die Schildower Straße, sie führt durch ein reines Wohngebiet, Geschäfte gibt es hier nicht. Berlin und Brandenburg haben schon geprüft, ob man sie zur Hauptstraße umwidmen könnte. Doch dafür ist sie zu schmal. Wenn sie durch Poller für Autofahrer dicht gemacht werden würde, müssten Autofahrer von und nach Nordbahn/Glienicke einen Umweg über die B96 in Kauf nehmen. „Der ist ein Kilometer lang“, sagt Michael Ortmann. „Das ist eine Minute mit dem Auto, im Berufsverkehr fünf Minuten.“

Hier an der Ortsgrenze zwischen Hermsdorf und Glienicke/Nordbahn verlief einst die Mauer zwischen Ost und West. Für manchen Poller-Gegner wäre eine neue Absperrung an dieser Stelle ein Rückfall in alte Zeiten.
Hier an der Ortsgrenze zwischen Hermsdorf und Glienicke/Nordbahn verlief einst die Mauer zwischen Ost und West. Für manchen Poller-Gegner wäre eine neue Absperrung an dieser Stelle ein Rückfall in alte Zeiten.Stefan Henseke

Doch in Glienicke/Nordbahn befürchtet man, ohne die Route durch die Schildower Straße in der Staufalle festzustecken. Doch dafür hat Michael Ortmann von der Bürgerinitiative schildower-strasse.de eine Idee. Er ist Mathematiker – und hat durchgerechnet, dass man nur die Grünphasen für Autofahrer an den vier Ampeln auf der B96 von 60 bis 90 Sekunden auf 120 Sekunden verlängern müsste, um die Staus aufzulösen. Doch das will das Bezirksamt in Berlin-Reinickendorf nicht. Fußgänger müssten dann zu lange warten. „Doch da gibt es kaum Fußgänger“, sagt Ortmann. Außerdem gebe es doch auch Rufschalter, die man installieren könnte.

Bürgermeister Hans-Günther Oberlack (FDP) und Bürger von Glienicke lehnen die „unrealistischen Grenzsperrwünsche“ ab, berichtet die Berliner Zeitung. Schließlich fahren Feuerwehr und Rettungsdienste über die Schildower Straße in die Nachbargemeinde. Auch die Bürgerinitiative Offene Nachbarschaft Hermsdorf – Glienicke spricht sich dagegen aus, die Umlandverbindung für Kraftfahrzeuge zu sperren: „Viele Berliner sind ins Umland gezogen. Es gibt viele enge verwandtschaftliche und freundschaftliche Beziehungen zwischen den Hermsdorfern und Glienickern“, heißt es dort. ■