Als wäre es gestern gewesen

Erinnerungen an den 9. November: Wo waren SIE, als in Berlin die Mauer fiel?

Der KURIER hat Sie nach Ihren Erinnerungen an den Abend des Mauerfalls gefragt. So überraschend sind die Antworten.

Author - Claudia Pietsch
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Günter Schabowski verkündete die neue Reisefreiheit am Abend des 9. November 1989 bei einer Pressekonferenz.
Günter Schabowski verkündete die neue Reisefreiheit am Abend des 9. November 1989 bei einer Pressekonferenz.dpa

Von der Bornholmer Brücke in Berlin erzählen wenige Leserinnen und Leser, von ihren damaligen Gefühlen sehr viele: Es gibt Tage im Leben, die vergisst man nie. Wie eingebrannt ins Gedächtnis, was man an diesem besonderen Tag tat, dachte und fühlte. Dazu gehört für die meisten Deutschen sicher der 9. November 1989, ein Donnerstag, in dessen Abendstunden die bis dahin für die meisten DDR-Bürger undurchdringbare Mauer an der Grenze durchlässig wurde. Plötzlich konnte man einfach so – ungehindert von Grenzsoldaten und Schlagbäumen –hindurchspazieren. „Wahnsinn“ war eines der Schlagwörter in der Nacht des Mauerfalls.

Günter Schabowski verkündet die neue Reiseregelung der DDR

Zuvor gab es diese damals unfassbare Pressekonferenz, auf der Politbüro-Mitglied Günter Schabowski auf eine entsprechende Frage mehr stammelte, als wirklich offiziell mitteilte, die neue Reiseregelung der DDR gelte „ab sofort, unverzüglich“. Seine Worte führten zu einem Massenansturm auf die DDR-Grenzübergänge. Um 23.29 Uhr wurde in Berlin an der Bornholmer Straße zwischen Prenzlauer Berg und Wedding der erste Schlagbaum geöffnet, was zum Fall der Mauer führte.

Menschen feiern auf der Berliner Mauer vor dem Brandenburger Tor in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1989 den Mauerfall.
Menschen feiern auf der Berliner Mauer vor dem Brandenburger Tor in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1989 den Mauerfall.Peter Kneffel/dpa

Cornelia Blasche schreibt auf der Facebook-Seite „DDR Fernsehen und Erinnerungen“ auf die Frage vom Berliner KURIER: „Wo waren SIE, als die Mauer fiel?“: „Zu Hause. Konnten es einfach nicht fassen, was da im Fernsehen kam“. Ähnlich auch Ute Hegewald: „Wie die meisten Menschen, als Schabowski seine Rede hielt, saß ich vor dem Fernseher.“ Jörg Beese erlebte Ähnliches: „Hab dem Günni live am Schwarzweiß-Fernseher lauschen dürfen ...“

Laut und nachdrücklich äußert sich Holly Hatchet zu unserer Frage: „TAG DER BEFREIUNG VOM DDR REGIME-JOCH UND ENDLICH IN ALLEM FREIHEIT! Ich saß vorm TV, hatte gerade ARD oder ZDF an, als die Nachricht kam, dachte das wäre eine „Was wäre wenn“-Doku oder so, nicht dass es Realität sei. Dauerte eine Weile, bis ich erkannte, dass es wahr ist, nachdem ich alle Sender checkte. Nächsten Tag erstmal einen dadrauf getrunken, erst Sonntag mit Kumpel rüber nach Hamburg gefahren. Erst als am Grenzübergang Schwanheide im Zug die Handschellen nicht klickten, wusste ich, dass alles ok ist, eine neue bessere Zeit beginnt. Genug Scheiße mit Staat und Organen hatte ich erlebt!“

KURIER-Leser zum Mauerfall: „Konnte kaum glauben, was da in Berlin passierte“

Birgit Elze erinnert sich so: „Mittagschicht!  Am 11. November dann mit dem Zug von Köthen nach Westberlin. Genau 11.13 Uhr dort angekommen. Mit einer Flasche Rotkäppchensekt, eine Arbeitskollegin und ich. Unvergessen. Weil der 11. November war und Fasching, waren da viele Veranstaltungen, die verschmolzen sind mit dem Mauerfall. Wir waren drei Tage wach! Erst Montag zurück und abends auf Nachtschicht. Ich weiß heute nicht, wie wir das geschafft haben. Jung und stark.“

Berliner Mauer 1989: Nach der Maueröffnung feiern Ost- und Westberliner ein Wiedersehen am Brandenburger Tor.
Berliner Mauer 1989: Nach der Maueröffnung feiern Ost- und Westberliner ein Wiedersehen am Brandenburger Tor.imago stock&people

Andreas Ahlgrimm schreibt schlicht: „Hatte Nachtschicht“. Wie er mussten viele Menschen arbeiten. Etwa Sylvia Hu: „Ich war zu Hause. Am nächsten Tag fuhr ich wie immer zur Arbeit in den Rundfunk und wunderte mich, dass ich nur wenige Mitarbeiter sah. Jemand sagte mir, dass am Vorabend die Mauer gefallen ist.“ Vieldeutig schreibt Günther Böhmer: „Ich war als Fernfahrer in Griechenland, konnte es also nicht verhindern.“

Nicht alle Menschen im Osten waren begeistert vom Mauerfall

Vielleicht hatte er trotz allen Jubels Vorbehalte, wie Heidi Deri: „Ich war zu Hause in Rostock, bei meinen Kindern und konnte kaum glauben, was da in Berlin passierte. Die Mauer geht irgendwann wieder zu, dachte ich. Später realisierten wir alle, was das für uns bedeutet. Der Kapitalismus hat sein wahres Gesicht gezeigt. Der Mensch zählt gar nicht. Es fand der größte Wirtschaftsbetrug aller Zeiten statt. 1945 - Ausbeutung des Ostens durch die UdSSR. 1989 -  Ausbeutung des Ostens durch die BRD“

Ähnlich äußert sich auch Ariane Hladik: „Nach einer großen Operation hatte ich gerade meine Scheidung von meinem damaligen Mann hinter mich gebracht, hatte mir zwei Tage davor auch noch den Arm kompliziert gebrochen und er musste operativ versorgt werden und wollte mit meiner kleinen Tochter nur meine Ruhe, deshalb hatte ich weder den Fernseher noch das Radio an. Erst am nächsten Tag erfuhr ich, dass die Grenzen offen sind. Ich bin ehrlich, ich habe sofort gesagt:  ‚Na, dann kann die Talfahrt unseres Landes ja jetzt beginnen!‘ 1989 war für mich mein persönliches Inferno!“

Das Archivbild vom 10. November zeigt, wie ein Beamter des Bundesgrenzschutzes einem DDR-Autofahrer am Grenzübergang Helmstedt eine Auskunft gibt.
Das Archivbild vom 10. November zeigt, wie ein Beamter des Bundesgrenzschutzes einem DDR-Autofahrer am Grenzübergang Helmstedt eine Auskunft gibt.dpa

Skeptisch auch damals schon Claus Geese: „Das war der Tag als unser Land verraten und verkauft wurde. Die Treuhand vieles platt machte.“ Genau wie Klaus Pethereit: „Wir waren damals auf der Arbeit und nicht gerade begeistert, was da geschah. Einige von uns kannten ja den Westen und wir wussten schon damals im Vorfeld, was da auf uns zukommt und wie recht wir ja hatten!“

Die Freiheit hingegen ist Dieter Och in deutlicher Erinnerung: „An diesem Donnerstag war ich geschäftlich in Prag bei der Skodaexport. Wir haben gemeinsam das Wasserkraftwerk Mangla Dam in Pakistan gebaut. Vor dem Rathaus haben wir uns getroffen + haben die ‚Schlüssel-Demonstration' durchgeführt! Auch die Menschen in Tschechien wollten die Freiheit!“

Plötzlich wollte der Kellner in der Bier-Stube in den Westen

Von einem ganz anderen Ereignis berichtet uns Holm Gärtner per Mail. „Am Abend des 9. November 1989 war ich verabredet für den Besuch des Gastspiels des befreundeten Moskauer ‚maly'-Theaters in der Volksbühne ... auch, um Kleinigkeiten an Gast-Geschenken auszutauschen. Nach der Übergabe in der Stückpause verabschiedete ich mich von den sowjetischen Gästen und versuchte mit einer Freundin am Alex, in der Memhardstraße (Memhardtstraße), in einer Bier-Stube zwei Plätze zu ergattern ... was - wider Erwarten - gelang!  Froh, untergekommen zu sein, prosteten wir uns zu ... Gleich darauf erschien jedoch der Kellner am Tisch und meinte, er müsse abkassieren, denn er wolle in den Westen! Inzwischen lief auch das Radio-Programm am Tresen und so erfuhren wir von der Grenzöffnung. Enttäuscht über die kurze Freude am Bier, konnte ich mir die Bemerkung nicht verkneifen: ‚Das fängt ja gut an!'‘“

Ein DDR-Grenzsoldat mit feiernden Ost-Berlinern am Grenzübergang in der Invalidenstraße in Berlin-Mitte.
Ein DDR-Grenzsoldat mit feiernden Ost-Berlinern am Grenzübergang in der Invalidenstraße in Berlin-Mitte.imago stock&people

Marco Daugs schreibt uns: „Ich musste damals meinen Grundwehrdienst leisten ... wir hatten die berühmte Pressekonferenz im Fernsehen angeschaut und heiß darüber diskutiert, was das bedeutet. Meinen ersten Urlaub hatte ich erst Anfang Dezember. Allerdings habe ich die erste Silvesterparty am Brandenburger Tor miterlebt und war sehr begeistert.“

Rosa Porcella berichtet in einer Mail an den Berliner KURIER: „Ich war mit Familie an diesem Tag genau dort, wo Sie das Foto veröffentlichen, nämlich zur Maueröffnungsfeier (Mauerfall) am Brandenburger Tor in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1989. Wir haben ein paar Mauersteine erwischen können, das zeigt das Foto, das sind authentische Steine von diesem Tag. Hätte es die Maueröffnung nicht gegeben, dann hätte ich nie meine beste Freundin kennengelernt. Sie ist ein Goldstück. Wir können uns über Zeiten der ehemaligen DDR und Westdeutschland austauschen, ohne mit dem Finger zu zeigen. Für mich war also die Grenzöffnung mehr als nur eine Öffnung. Sie war der Weg zur besten Freundschaft.“

Jeder DDR-Bürger hat den 9. November in hellwacher Erinnerung

„Den 9. November 1989 hat jeder ehemalige DDR-Bürger bestimmt in hellwacher Erinnerung, da die Ereignisse tiefe Einschnitte brachten“, schreibt uns Rudi Martins in einer Mail und schildert uns seine persönliche Erinnerung. „Wir saßen, wie fast jeden Abend, um 19 Uhr vor dem Fernseher und schauten ... ZDF. Wir sahen die legendäre Pressekonferenz von Günter Schabowski, den wir auch zuvor auf der Bühne der Demo am 4. November 1989 mit 500.000 Teilnehmern erlebten.“ 

Auch bei Martins überwiegt das Staunen: „Wir wollten es kaum glauben, dass man ab sofort reisen konnte. Davon wollten wir uns natürlich auch selbst überzeugen. Aber wir hatten Besuch aus Norddeich. Sie hatten Angst, dass man sie nicht passieren lassen würde bei der Ein- und Ausreise. Damit verfolgten wir die Ereignisse weiter am Fernseher und planten: Wenn die Gäste schlafen, schleichen wir uns aus dem Haus Richtung Grenze. Leider wurde daraus nichts, denn wir sind darüber eingeschlafen. Am nächsten Tag sind wir mit unseren Gästen dann nach Potsdam in die Schlösser und Gärten gefahren. Auf der Fahrt kamen uns alle in Richtung Berlin entgegen, nur wir fuhren nach Potsdam.“