KURIER-Debatte

DDR im Positiv-Trend: Bereuen wir schon den Mauerfall?

Ost-Produkte im Trend, DDR-Bauten vorm Abriss, alte Wunden wieder offen: Warum Ostdeutsche an ihre DDR zurückdenken.

Author - Norbert Koch-Klaucke
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In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1989 strömen die Menschen über einen Grenzübergang nach West-Berlin.
In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1989 strömen die Menschen über einen Grenzübergang nach West-Berlin.dpa

Es war die Nacht der Nächte, als vor 36 Jahren die Mauer in Berlin fiel. Der 9. November 1989: Die Menschen strömten in Richtung Westen, über alle Grenzen hinweg. Und zurück im Osten wollten die meisten nur eins: ein Leben in Freiheit, nie wieder Stasi, Todesstreifen und Stacheldraht – Schluss mit dem SED-Staat. Das war damals der Anfang vom Ende der DDR.

Den Schrecken von einst hat die DDR in der heutigen Wahrnehmung offenbar verloren. In einem positiven Licht erstrahlt oft der Arbeiter-und-Bauern-Staat. Einstige „Westsender“ wie das ZDF jubeln in Sendereihen Ostprodukte als erfolgreiche Errungenschaften der DDR hoch. Die DDR erlebt gefühlsmäßig gerade wieder einen Positiv-Trend. Bereuen wir etwa schon, dass vor 36 Jahren die Berliner Mauer fiel?

Eine provokante Frage. Der KURIER hat sie Menschen gestellt, die in der DDR aufgewachsen und mit dem Leben in dem damaligen SED-Staat vertraut sind – und für die die DDR noch immer ein Thema ist. So wie für die Berlinerin Susanne Lorenz (51). Sie gehört einer Bürgerinitiative an, die seit Jahren für des SEZ kämpft. Das einstige DDR-Spaßbad will der Senat abreißen – für den Neubau von bis zu 500 Wohnungen.

Glücklich über Mauerfall: „Aber meine Eltern fühlten sich als Menschen 2. Klasse“

Susanne Lorenz kämpft für die Rettung des SEZ und auch gegen das Vergessen, wie das Leben einmal in der DDR war. „Aber ich bereue nicht, dass die Mauer fiel. Damals war es für mich als junger Mensch wichtig, dass sich mit der Öffnung der Mauer auch ein Leben mit Freiheiten öffnete.“

Es ging ihr nicht nur um die Reisefreiheit. „Zu den Freiheiten gehörte nun auch, dass wir nicht mehr bespitzelt werden. Dass man nicht mehr aufpassen musste, wem man etwas sagte, und die Stasi dabei zuhörte.“

Susanne Lorenz kämpft gegen den Abriss des DDR-Basdes SEZ.
Susanne Lorenz kämpft gegen den Abriss des DDR-Basdes SEZ.Markus Wächter/Berliner KURIER

Dass man sich 36 Jahre nach dem Mauerfall wieder im Osten des Landes vermehrt positiv der DDR zuwendet, verwundert Susanne Lorenz nicht. „Es liegt an dem Umgang mit unserer Lebensleistung, mit unserer Lebensgeschichte, die noch immer nicht anerkannt werden.“

Lorenz sagt: „Das ging nach der Einheit los. Meine Mutter war damals ausgebildete Kita-Erzieherin und musste noch einmal in einer Fortbildung nachweisen, dass sie auch gut genug für das westliche Bildungssystem ist“, sagt Lorenz. „Das empfand sie als demütigend. Meine Eltern fühlten sich als Menschen zweiter Klasse abgestempelt.“

Auf den Prüfstand kamen nicht nur Menschen – auch die baulichen Zeugnisse der DDR. Palast der Republik, das Ahornblatt – alles heute weg. Jetzt soll das SEZ abgerissen werden, für dessen Rettung sich Susanne Lorenz und viele Berliner (auch aus dem einstiegen Westteil der Stadt) einsetzen. „Mit dem Abriss gehen Zeugnisse der DDR-Architektur für immer verloren.“

„Nach Mauerfall kam Wiedervereinigung viel zu schnell“

Das Retten der leckeren Seite des Ostens ist der Job von Ramona Oteiza (66). Sie ist die Chefin der Kult-Messe Ostpro. Auch sie bereut den Mauerfall vor 36 Jahren nicht. „Allerdings ging es mir mit der Wiedervereinigung zu schnell“, sagt sie.

Nach dem Mauerfall wurde die Rufe nach der West-Mark immer lauter. „Wenn die D-Mark nicht zu uns kommt, gehen wir zur D-Mark“, hörte man plötzlich auf den Montagsdemos. Ein halbes Jahr später kam dann die D-Mark. Für viele DDR-Betriebe war die Währungsunion der endgültige Todesstoß.

Ostpro-Chefin Ramona Oteiza
Ostpro-Chefin Ramona OteizaNorbert Koch-Klaucke

Ehrlich, wer wollte noch DDR-Produkte, wenn die Westsachen so glänzten? „Irgendwann merkten wir, dass die im Westen auch nur mit Wasser kochen“, sagt Oteiza. „Die Leute wollten wieder die Waren haben, die nach Heimat und ihrem Leben schmeckten.“

So stampfte die Diplom-Volkswirtin im Juli 1991 eine Messe für Ostprodukte in der Berliner Werner-Seelenbinder-Halle aus dem Boden. „Eigentlich sollten nur Fachleute kommen und sehen, welche Produkte und welche Händler noch am Markt sind. Doch dann stürmten ganz normale Besucher die Halle. Die Ostpro war geboren.“

„Man hört noch immer, wie blöd die Ossis sind“

Der Hype um die DDR sei kein Wunder, meint die Ostpro-Chefin. „Nach über 35 Jahren Einheit bekommt man noch immer gesagt, dass Ossis zu blöd seien, nichts können. Wir haben es satt, diesen Blödsinn weiter hören zu müssen.“

Dieter „Maschine“ Birr: „Erinnerungen an die DDR haben mit dem Leben der Menschen und nichts mit Politik zu tun.“
Dieter „Maschine“ Birr: „Erinnerungen an die DDR haben mit dem Leben der Menschen und nichts mit Politik zu tun.“Dana Barthel

„Was gut ist, setzt sich durch“, sangen einst die Puhdys für ein Berliner Bier aus dem Osten. Ihr Frontmann Dieter „Maschine“ Birr (81) sagt: „Der erste Kuss, die erste Liebe, das erste Rockkonzert: Wenn sich heute Menschen im Osten gerne an ihre Jugend in der DDR erinnern, hat das nichts mit Politik, sondern mit ihrem Leben zu tun.“ Zum Leben in der DDR gehört auch der Mauerfall. „Der war absolut richtig“, sagt Birr.

Den Mauerfall gab es letztendlich, weil das DDR-Regime politisch und wirtschaftlich gescheitert war. So in etwa sieht es Gordon Freiherr von Godin (55). Er ist der Geschäftsführer des DDR-Museums und im Osten Berlins geboren.

DDR-Museum-Geschäftsführer Gordon Freiherr von Godin
DDR-Museum-Geschäftsführer Gordon Freiherr von GodinNorbert Koch-Klaucke

Die Menschen, die in das Berliner DDR-Museum kommen, erleben jedenfalls nicht ein glorifizierendes Bild über den SED-Staat. „Bei uns sind die Themen vom Aufstand des 17. Juni 1953, dem Mauerbau 1961, der Stasi-Überwachung, Einschließung und Freikauf von Dissidenten und Aktivisten sehr präsent. Da steht auch nichts Gutes mit der DDR in Verbindung“, sagt von Godin.

„Ostdeutsche fühlen sich unverstanden“

Auch der private Alltag in der DDR wird in dem Museum gezeigt. „Der war weit weg von politischen Einflüssen – bunt, von Arbeit, Kindererziehung, Ausgehen, Feiern gekennzeichnet. Auch das ist ja DDR“, sagt von Godin. „Dass diese Aspekte als nicht ausreichend in der Wahrnehmung einiger Menschen beurteilt werden, ist absolut real in der Wahrnehmung vieler Ostdeutscher.“ Sie fühlten sich dadurch unverstanden.

Für den DDR-Museums-Chef ist das tatsächliche Problem in der DDR-Erinnerungsdebatte, dass 38 Prozent der Berliner sich nicht mit Geschichte befassen. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Forsa-Umfrage im Auftrag des Berliner Beauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.