KURIER findet Herkunftsort

Illegale Geschäfte? Auf der Spur von Berlins Maiglöckchen-Dealern

Jedes Jahr am Muttertag tauchen fliegende Händler auf, die bündelweise Maiglöckchen auf den Straßen verkaufen. Doch woher kommen die Blumen und ist der Verkauf erlaubt? KURIER machte sich auf die Suche.

Author - Stefanie Hildebrandt
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Diese Maiglöckchen-Verkäufer Charlottenburg tragen die Ware in Eimern mit sich. Höchstwahrscheinlich stammen sie aus Wäldern rund um Berlin.
Diese Maiglöckchen-Verkäufer Charlottenburg tragen die Ware in Eimern mit sich. Höchstwahrscheinlich stammen sie aus Wäldern rund um Berlin.Markus Wächter

Jedes Jahr im Mai tauchen sie wie bestellt auf: die Maiglöckchen-Verkäufer, die auf Berliner Straßen kleine duftende Sträuße anbieten.

Frauen und Männer, meist aus Osteuropa, verkaufen die Maiglöckchen derzeit etwa am Olivaer Platz vor der Bäckerei „Zeit für Brot“. Auch am Übergang von der S-Bahn zur U-Bahn an der Frankfurter Allee wurden die Maiglöckchen in größeren Mengen angeboten, ebenso an der Bleibtreustraße. Passanten wundern sich über die Roll-Trolleys oder Eimer, in denen die Ware transportiert wird. Nicht selten kaufen sie dennoch die Pflanzen mit der fragwürdigen Herkunft, der Strauß kostet 2 bis 3 Euro.

Wenn man die Verkäufer fragt, woher sie die Blumen haben, antworten sie ausweichend. Einer sagt: „Aus Rumänien.“ Wirklich? Ein anderer Verkäufer hat vor Jahren gegenüber einem Kollegen vom Tagesspiegel einen anderen Ursprungsort verraten: aus dem Wald in Brandenburg habe er die Blumen.

Woher kommen die Maiglöckchen auf Berlins Straßen?

Doch werden Maiglöckchen wirklich massenweise wild im Wald um Berlin geschnitten, also geklaut, um sie dann an sentimentale Berliner oder Touristen zu verkaufen, die sie wiederum der Mama zum Muttertag schenken?  Wir machen uns auf die Suche nach den Quellen der Maiglöckchen-Dealer.

Ein Anruf beim Nabu in Brandenburg bringt zunächst keine Hinweise auf massenhaften Maiglöckchen-Klau in Brandenburger Wäldern. Im Postfach der Umweltschützer ist nur ein einziger Hinweis in Sachen Maiglöckchen eingegangen: Eine Fläche, auf der viele Maiglöckchen wachsen, soll bebaut werden. Das ist schade, aber kein Fall für den Nabu.

Sind Maiglöckchen streng geschützt?

„Maiglöckchen vermehren sich stark und bilden große Bestände“, sagt Sprecherin Heidrun Schöning. Anders als oft behauptet, sind sie aber nicht streng geschützt, fallen aber in jedem Fall unter das Naturschutzgesetz. Laut diesem ist es nicht erlaubt, größere Mengen und schon gar nicht gewerbsmäßig zu pflücken. Das neben der Tatsache, dass Störungen im Wald wegen der Brut- und Setzzeit gerade sowieso zu vermeiden sind, so Schöning.

Größtes Vorkommen in Europa bei Hangelsberg

Ein Anruf beim Polizei-Revier in Erkner bringt ebenfalls keine Erkenntnisse. Dabei befindet sich in Hangelsberg doch eines der größten Maiglöckchenvorkommen Europas. Mit der Regionalbahn wären die Bestände auch von Berlin aus leicht zu erreichen.  Und immerhin wurden hier 2005 bereits 13 Maiglöckchen-Diebe ertappt. In diesem Jahr aber blieben die Beschwerden von Waldbesuchern bei der Polizei bisher aus. Die Saison beginnt aber auch erst jetzt.

Im Forstbetrieb Hangelsberg aber endlich der Volltreffer. Beim Stichwort Maiglöckchen weiß Leiter Lars Kleinschmidt sofort Bescheid.

Am Kudamm, Ecke Bleibtreustraße werden Sträuße von Maiglöckchen aus großen Tüten angeboten.
Am Kudamm, Ecke Bleibtreustraße werden Sträuße von Maiglöckchen aus großen Tüten angeboten.Markus Wächter

„Das Problem ist bekannt“, sagt er. Und meint damit Sammler, die immer wieder in die Wälder von Hangelsberg kommen und auch größere Mengen an Maiglöckchen mitnehmen. „Das Gelände ist groß, nicht immer kann man die Sammler ansprechen oder auch Ordnungswidrigkeiten geltend machen“, sagt Kleinschmidt.

„Es ist das, was es ist“, so Kleinschmidt weiter: Nur bestimmte Größenordnungen an Pflanzen, Pilzen und Beeren dürfen in Deutschland aus der Natur entnommen werden. Die gewerbsmäßige Entnahme sei kritisch zu sehen. „Ein Handstrauß ist in Ordnung, mehr aber nicht.“ Man bediene sich hier über die Gebühr am Wald, spricht er Klartext.

Um Fürstenwalde, Grünheide und Erkner gibt es viele Maiglöckchen, wenn Kleinschmidts Mitarbeiter auf Sammler treffen, sprechen sie sie an und machen auch schon mal eine Ordnungswidrigkeit geltend, sollten sie öfter auftauchen. Insgesamt ist die Fläche aber viel zu groß, um dem Klau etwas entgegenzusetzen. Am Ende handelten die Betroffenen auch nicht aus Spaß mit den Maiglöckchen, sondern um sich in prekären Situationen etwas hinzuzuverdienen, gibt der Leiter des Forstbetriebs zu bedenken.

Maiglöckchen in einem Berliner Wald.
Maiglöckchen in einem Berliner Wald.Krauthöfer/imago

Bis zur großen Trockenperiode 2018 hatte man in Hangelsberg daher sogar Sammelgestattungen erteilt. Gegen einen Obulus war das Sammeln damit legal. Nachdem der Wald aber durch Trockenheit genug Stress hat, wollte man den erneuten Eingriff ins Ökosystem nicht weiter forcieren, so Kleinschmidt.

Der Waldfachmann sieht bei den im großen Stil gepflückten Maiglöckchen vielmehr auch die Kunden in Berlin in der Verantwortung. „Wenn sie nicht gekauft würden, weil man weiß, die Blumen kommen aus den Wäldern rund um Berlin und stammen aus Eingriffen in unsere Natur, die nicht gesteuert werden, dann fehlte irgendwann schlicht die Nachfrage nach der Ware. Anders könne man dem Problem aus seiner Sicht nicht Herr werden.

Doch auch von einer zweiten Modepflanze, die illegal aus den Wäldern geholt wird, berichtet Kleinschmidt. Blaubeerkraut als Beigabe zu Blumensträußen ist derzeit ebenso beliebt. Nicht unwahrscheinlich, dass das Kraut an kleine Blumenläden verkauft wird und im nächsten Tulpenstrauß landet.  Auch Moos wird immer wieder aus den Wäldern gesammelt und weiter verkauft.  Augen auf beim Blumenkauf heißt es also, wenn man nicht will, dass heimische Wälder dreist geplündert werden. Ein kritisches Nachfragen beim Händler kann in keinem Fall schaden.