Das Geschäft mit der Not

157 Mio. Euro für Flüchtlingsheim: So füttert der Senat Miethaie mit Steuergeldern

In einem Bürohaus in Berlin-Westend sollen 1500 Flüchtlinge einziehen. Der Fall zeigt, wie Immobilienfirmen mit hohen Mieten den Senat über den Tisch ziehen – auf Kosten der Berliner.

Author - Norbert Koch-Klaucke
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Das riesige Bürogebäude in der Soorstraße im Berliner Ortsteil Westend. Der Senat will es zu einem Mega-Flüchtlingsheim machen.
Das riesige Bürogebäude in der Soorstraße im Berliner Ortsteil Westend. Der Senat will es zu einem Mega-Flüchtlingsheim machen.Norbert Koch-Klaucke

Das Geschäft boomt. Bei Immobilienfirmen, die ihren Hauptsitz in Steueroasen haben und sich eine goldene Nase verdienen, in dem sie Millionen für Flüchtlingsunterkünfte kassieren, die sie vermieten – auch in Berlin. Ausgerechnet der Senat, der eigentlich solche Miethaie bekämpfen will, wirft ihnen jetzt Millionen Euro an Steuergeldern in den Rachen. Erst für ein einstiges Hotel in Lichtenberg, nun soll ein leerstehendes Bürogebäude in Berlin-Charlottenburg folgen. Trotz Sparzwängen will der Senat 157 Millionen Euro Miete für das Objekt zahlen, in dem ab 2026 über 1500 Flüchtlinge einziehen sollen.

Die Soorstraße im Ortsteil Westend: Ein gutbürgerlicher und recht verschlafener Kiez, in dem es viele Wohnhäuser, eine Begegnungsstätte, ein buddhistisches Zentrum und das Technische Hilfswerk gibt – und ein riesiger Bürokomplex, in dem einst die Landesversicherungsanstalt residierte und das jetzt zur Vermietung steht. Das Gebäude mit feiner Granitfassade, Tiefgaragen und Innenhof sorgt seit Tagen für große Unruhe in der sonst so ruhigen Straße.

Flüchtlingsheim in einem Bürohaus: „Es wird viele Probleme geben“

Die Anwohner, die man hier trifft, sind richtig sauer. Über den Senat, der das Bürogebäude zum Mega-Flüchtlingsheim machen will, weil andere Asylunterkünfte wie am ehemaligen Flughafen Tegel aus allen Nähten platzen. Knapp 5000 Flüchtlinge leben auf dem einstigen Airport-Areal auf engstem Raum, die Kriminalität nimmt zu. 423 Mal musste die Polizei dort schon in diesem Jahr unter anderem wegen Körperverletzungen anrücken.

Blick in den Eingangsbereich, wo eins die Mitarbeiter der Landesversicherungsanstalt hindurchgingen. Die Drehkreuze stehen noch.
Blick in den Eingangsbereich, wo eins die Mitarbeiter der Landesversicherungsanstalt hindurchgingen. Die Drehkreuze stehen noch.Norbert Koch-Klaucke

Vor solchen Vorfällen fürchten sich nun die Anwohner in der Soorstraße. „Es wird auch hier große Probleme geben, wenn so viele Menschen unter einem Dach leben müssen“, sagt eine ältere Dame, die ihren Hund Gassi führt. „Es wird Chaos geben. Wohin sollen etwa die Kinder der Flüchtlinge? Hier gibt es kaum Kitas oder Schulen. Wir haben ja nicht einmal Supermärkte in der Nähe.“

Mit ihrer Meinung ist die Frau nicht allein. Solche Worte waren auch auf der jüngsten Anwohnerversammlung zu hören. „Wäre es nicht besser, die Flüchtlinge an mehreren Orten zu verteilen?“, wurde da gefragt. „Stattdessen verpulvert der Senat 157 Millionen Euro, um das Bürohaus für zehn Jahre als Flüchtlingsheim zu mieten, obwohl die Stadt sparen muss.“

Vor dem Bürogebäude liegt noch eine Einladungskarte für die Anwohnerversammlung zum geplanten Flüchtlingsheim.
Vor dem Bürogebäude liegt noch eine Einladungskarte für die Anwohnerversammlung zum geplanten Flüchtlingsheim.Norbert Koch-Klaucke

Eigentlich dürfte diese Summe keiner wissen, die in dem geheimen Antrag des Senats zur Anmietung des Objektes Soorstraße 80-82 steht und über den der Hauptausschuss in den kommen Tagen abstimmen soll. Doch das Geheimpapier hat in der Stadt schon längst seine Runden gemacht. Es liegt auch dem KURIER vor. Voraussichtlich am 11. Dezember soll die Entscheidung fallen, ob das Bürohaus zum Flüchtlingsheim wird.

Über 30.000 Flüchtlinge sind in Berlin

Die Geheimniskrämerei wird in dem Papier, das von der Senatsverwaltung für Soziales und dem Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) stammt, folgendermaßen begründet: Man bitte um „vertrauliche Beratung“, damit „die Mietkonditionen nicht bekannt und so die Verhandlungsspielräume bei zukünftigen Anmietungen am Markt nicht eingeschränkt werden“.

Denn Berlin braucht dringend mehr Unterkünfte für Flüchtlinge, nicht nur, um die Lage in Tegel zu entspannen. In der Stadt leben über 30.000 Flüchtlinge in Unterkünften der LAF. Viele haben einen genehmigten Asylantrag, sitzen aber in staatlichen Einrichtungen fest, weil sie auf dem teuren Wohnungsmarkt der Hauptstadt keine bezahlbare Bleibe finden. Besonders schwer haben es Familien mit mehreren Kindern.

Die Flüchtlingsunterkunft auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens in Tegel (Archivfoto)
Die Flüchtlingsunterkunft auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens in Tegel (Archivfoto)Markus Wächter/Berliner KURIER

Und es kommen auch neue Flüchtlinge nach Berlin: Im ersten Halbjahr 2024 wurden 5000 neue Asylbewerber aus der Türkei, Afghanistan und Syrien registriert. Dazu kamen über 5000 ukrainische Kriegsflüchtlinge. Doch wohin mit den Menschen?

Da kommen jetzt die Immobilienunternehmen ins Spiel, die ihr Geschäft mit der Not wittern, und dienen dem Land Berlin ihre leerstehenden, schwer vermietbaren Objekte (im Fachjargon Schrottimmobilien) an. Wohl in dem Wissen, dass die Hauptstadt dankbar nach jedem Strohhalm greift, koste es, was es wolle, um Flüchtlinge unterbringen zu können.

Flüchtlingsheime in Berlin: Miethaie wittern das Geschäft mit der Not

So war es offenbar bereits bei den drei ausgedienten Hotel-Hochhäusern an der Landsberger Allee in Lichtenberg. Da ein geplanter Kauf noch teurer gewesen wäre, entschied sich der Senat dafür, diese Gebäude zehn Jahre lang für 143 Millionen Euro zu mieten. Die ersten von insgesamt 1200 Flüchtlingen sind dort schon eingezogen. Die Millionen von Steuergeldern kassiert eine in Luxemburg ansässige namhafte Immobilienfirma.

Blick zum Innenhof: Insgesamt 32.000 Quadratmeter ist der Bürokomplex groß.
Blick zum Innenhof: Insgesamt 32.000 Quadratmeter ist der Bürokomplex groß.Norbert Koch-Klaucke

Im Fall des Bürohauses Soorstraße würde ein Geflecht von Eigentümergesellschaften die Millionen kassieren, die ebenfalls in ausländischen Steueroasen sitzen sollen. Diese haben das Objekt der landeseigenen Immobilienmanagementgesellschaft BIM zum Mieten angeboten, die übrigens laut dem Antrag im Falle eines Mietvertragsabschlusses einmalig mit 850.513 Euro vergütet werden soll.

Die fehlende Offenheit in dem Verfahren und dass man windigen Immobilienunternehmen Steuergelder hinterherwirft, macht nicht nur die Anwohner in der Soorstraße wütend. Auch der Chef des Berliner Steuerzahlerbundes, Alexander Kraus, ist darüber wenig begeistert.

157 Mio. Euro für Flüchtlingsheim: „Nicht von Heuschrecken mit Schrottimmobilien über den Tisch ziehen lassen“

„Das Land Berlin darf sich nicht von Heuschrecken mit Schrottimmobilien über den Tisch ziehen lassen!“, sagt er.  „Die Mieten für die abgewirtschafteten Objekte in Lichtenberg und in der Soorstraße stehen augenscheinlich in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung des Vermieters.“

Alexander Kraus, Chef des Bundes der Steuerzahler Berlin
Alexander Kraus, Chef des Bundes der Steuerzahler BerlinBdSt

Was Kraus damit meint, sieht man im Fall des Bürohauses. Für das über 32.000 Quadratmeter große Projekt soll das Land Berlin laut Antrag im Schnitt monatlich einen Kaltmietpreis von 26,02 Euro pro Quadratmeter zahlen. Dazu kommen hohe Neben- und Betriebskosten, die man mit anfänglich 10 Euro pro Quadratmeter angibt. Und das ist noch nicht alles.

Hohe Nebenkosten für Flüchtlingsheim: Auch Umbau fließt in die Miete ein

So muss das Gebäude für die Unterbringung der Flüchtlinge, die nur ein Bruchteil des Gebäudes nutzen werden, umgebaut werden. Diese erledigt der Vermieter. Die gesamten Umbaukosten sollen 29 Millionen Euro beantragen. Diese zahlt aber nicht allein der Vermieter. In dem Senatsdokument steht, dass die „Herrichtungskosten zum Teil nach Kalkulation des Eigentümers über die Mietzahlung entrichtet werden“. Der Steuerzahler darf blechen.

Unterm Strich ergibt sich eine Gesamtmiete von genau 156.751.000 Euro für zehn Jahre für das künftige Flüchtlingsheim an der Soorstraße. Daher hat der Berliner Steuerbundzahler-Chef Zweifel an der Version, dass man über das Senatspapier nur deshalb Vertraulichkeit vereinbarte, um durch ein Bekanntwerden der Mietkonditionen nicht die Verhandlungen für zukünftigen Mietprojekte zu gefährden.

Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) will die Flüchtlingsunterkunft in Berlin-Westend, die Unterstützung des Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU) hat sie.
Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) will die Flüchtlingsunterkunft in Berlin-Westend, die Unterstützung des Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU) hat sie.Sebastian Gollnow/dpa

Kraus sagt:  „Hier sollte die Öffentlichkeit wohl nicht erfahren, dass sich das Land Berlin für zehn Jahre zu Mietzahlungen von fast 157 Millionen Euro verpflichtet, mithin einem Quadratmeterpreis von monatlich gut 40 Euro warm. Gut verhandelt wurde hier offenkundig nicht!“

Offenbar war man sich auch beim LAF und der Senatssozialverwaltung bewusst, dass in Zeiten drastischer Sparzwänge 157 Millionen Euro viel Geld für ein Flüchtlingsheim ist. Daher wurde in dem Antrag das Mietprojekt offenbar schön gerechnet, um die Wirtschaftlichkeit des Vorhabens zu demonstrieren.

Flüchtlingsheim: Wurde Projekt schön gerechnet?

Ein Vergleichsobjekt mit fast den gleichen Ausmaßen wird in dem Geheimpapier aufgeführt, dessen Mietpreis 15 Millionen Euro höher liege als für das Bürohaus Soorstraße. Der Schönheitsfehler: Dieses Vergleichsobjekt gibt es in Wahrheit gar nicht.

Denn in dem Antrag, über den nun entschieden werden soll, steht: „Mangels am Markt verfügbarer Alternativen wird hierbei von einem Büroprojekt ausgegangen, welches Umnutzung/Herrichtung zur Gemeinschaftsunterkunft erfahren würde.“

Eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung anhand einer ausgedachten fiktiven Immobilie als Vergleichsvariante hält der Bund der Steuerzahler haushaltsrechtlich für äußerst fragwürdig. Verbandschef Kraus sagt deutliche Worte dazu: „Hier setzen sich die Beteiligten leicht dem Verdacht aus, dass hier gemauschelt worden sein könnte.“