90-jähriges Jubiläum

Moskauer Metro: Warum sie immer noch die schönste der Welt ist

Am 15. Mai 1935 fuhr die erste Metro durch den Moskauer Untergrund. Zwischen den Stationen Sokolniki und Park Kultury. Heute gibt es mehr 300 Stationen und eine Pracht wie damals.

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Das große M weist den Weg zu den Metrostationen in Moskau - hier der Eingang zum Bahnhof, der nach dem Dichter Wladimir Majakowski benannt ist.
Das große M weist den Weg zu den Metrostationen in Moskau - hier der Eingang zum Bahnhof, der nach dem Dichter Wladimir Majakowski benannt ist.Itar-Tass/imago

In der DDR war die Moskauer Metro auch Schulstoff. Anhand der spektakulären U-Bahnhöfe wurde uns die Überlegenheit der Sowjetunion erklärt. Wie gut muss ein Land sein und funktionieren, dass solche Paläste für den Transport der Arbeiter bauen kann. Metro-Bahnhöfe, voll mit Marmor, teilweise aufwendig wie Schlösser errichtet. Auch heute ist Moskaus Metro wegen ihrer Schönheit weltberühmt. Nun wird das von Millionen genutzte Verkehrssystem 90 Jahre alt.

Ich kann mich noch an meine Fahrt mit der Moskauer Metro erinnern. Das war 1985, ich war mit einer Jugendtourist-Reisegruppe in Moskau unterwegs. Die Station Komsomolskaya. Über Rolltreppen, die viel schneller als in der DDR liefen, wurde ich 37 Meter in die Tiefe transportiert. Unten angekommen staunten wir alle. Über 68 Marmorsäulen, darüber liegenden Marmorbögen und ein gelbes Deckengewölbe. Das sah mehr nach Schloss Sanssouci als nach U-Bahnhof Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin aus.

Moskauer Metro: Erste Linie war nur 13 Stationen lang

Am 15. Mai 1935 fuhr die erste Metro durch den Moskauer Untergrund. Zwischen den Stationen Sokolniki  und Park Kultury. Das waren gerade mal 11,2 Kilometer und 13 Stationen. Heute ist das Moskauer Metro-Netz mehr als 470 Kilometer lang, über 300 Bahnhöfe werden angefahren.

Die historische Marmortafel, die auf die Eröffnung der Moskauer Metro hinweist, hängt an einer Wand der U-Bahn-Station Sokolniki. Der Ingenieur Daniil Schopchojew fragt bei einer Führung, ob etwas auffällt an der Tafel. Ja, klar. Metallbuchstaben zeigen den Namen W. I. Lenin. Sie sind nachträglich angebracht. Ausgelöscht ist ein anderer Name, der von Lasar Kaganowitsch. Der Vertraute von Sowjetdiktator Josef Stalin war Erbauer und erster Namensgeber der am 15. Mai 1935 eröffneten U-Bahn.

Nun feiert Europas größte Stadt mit ihren offiziell rund 13,5 Millionen Einwohnern das 90-Jährige der U-Bahn, die Bürgermeister Sergej Sobjanin weiter ausbauen will. 302 Stationen hat die Metro heute, allein 120 davon kamen allein seit 2010 hinzu. An der Sokolniki-Station etwa erinnert zum Geburtstag ein historischer Zug an die Jungfernfahrt der ersten Linie mit den 13 Stationen damals. Ein Bild auf dem Boden zeigt Arbeiter, die mit Bohrern einen Tunnel graben. „Die Geschichte beginnt hier“, steht in einem Schriftzug.

Nichts erinnert mehr an den Bauherrn Kaganowitsch, der wie viele aus der Stalin-Zeit wegen des kommunistischen Terrors und der politischen Säuberung in Ungnade fiel. Seit 1955 trägt die Metro den Namen Lenins, der die Vision als Verkehrsmittel der Zukunft einst gutgeheißen haben soll. Nach Stalins Tod 1953 kämpfte Nachfolger Nikita Chruschtschow mit dem Überfluss und ließ einen nüchterneren Stil durchsetzen.

Auf der berühmten braunen Ringlinie mit der Nummer fünf kreist zum Jubiläum eine Zugparade mit historischen Waggons. An der Station Poleschajewskaja ist bei einer Technik-Schau auch der sogenannte Diagnostik-Zug „Sinergija-2“ zu sehen. Eingesetzt wird er, um den Zustand der Tunnelsysteme und Gleise zu überprüfen. Heute gehört die Metro mit ihren mehr als 60.000 Beschäftigten zu den ausgefeiltesten Verkehrssystemen der Welt mit einer einzigartigen Taktung, bei der zu Spitzenzeiten etwa jede Minute ein Zug kommt. Rund neun Millionen Passagiere zählt das Unternehmen täglich.

Die Station Komsomolskaja auf der braunen Ringlinie gehört zu den prächtigsten des großen Verkehrsnetzes. Die offiziell am 15. Mai 1935 mit der ersten Linie in Betrieb genommene U-Bahn ist wegen ihrer Schönheit heute eine auch bei Touristen beliebte Sehenswürdigkeit.
Die Station Komsomolskaja auf der braunen Ringlinie gehört zu den prächtigsten des großen Verkehrsnetzes. Die offiziell am 15. Mai 1935 mit der ersten Linie in Betrieb genommene U-Bahn ist wegen ihrer Schönheit heute eine auch bei Touristen beliebte Sehenswürdigkeit.Ulf Mauder/dpa

Die Menschen hasten durch die Paläste mit riesigen Mosaiken und Kunstwerken des sozialistischen Realismus. Metroführer Schopchojew hält an besonders markanten Punkten inne. An der Station Komsomolskaja kreuzen sich die rote Linie, die die erste war, und die braune Ringlinie. Der Knotenpunkt führt auch zu drei Hauptstadt-Bahnhöfen, von denen Züge in verschiedene Richtungen des Riesenreichs starten. Der Clou ist die Komsomolskaja-Haltestelle auf der braunen Ringlinie – mit ihren riesigen Mosaiken aus Epochen der russischen Geschichte. Auch wegen der strahlenden Kronleuchter kann es die Halle leicht mit dem Glanz der Kremlpaläste aufnehmen.

Alles sauber und hochmodern: In die Moskauer Metro kommt man heute kontaktlos.
Alles sauber und hochmodern: In die Moskauer Metro kommt man heute kontaktlos.Russian Look/imago

Im Gegensatz zu New York, Budapest, Berlin oder Paris, die längst eine Metro hatten, war Moskau spät dran. „Stalin wollte, dass die U-Bahn, wenn sie schon nicht die erste ist, mit ihrer Ästhetik entzückt. Diese Paläste für das Volk sollten nicht nur die Überlegenheit des Sozialismus zeigen, sondern die Menschen überzeugen, dass sie die schönste U-Bahn der Welt haben“, sagt Schopchojew.

Moskauer Metro: Im Kriegsfall als Bunker geeignet

Moskaus Metro ist für den Kriegsfall als gigantische Bunkeranlage vorgesehen – und soll sogar Schutz bieten für den Fall eines Atombombenangriffs. 75 Meter unter der Erde liegt die tiefste Station. Allein unter Tage sind rund 472 Kilometer Gleise verlegt.

An der Station Revolutionsplatz sind die Vorrichtungen zu sehen, mit denen die Halle hermetisch versiegelt werden kann. Um dafür Platz zu schaffen, wurde auch die Zahl der lebensgroßen Skulpturen von Vaterlandsverteidigern reduziert. Stalin selbst lobte einst, dass sie aussehen wie echte Menschen – einer ist da mit einem Wachhund, ein Wahrzeichen der Haltestelle. Die Schnauze des Vierbeiners schimmert messingfarben, weil Passanten sie im Vorbeigehen streicheln und so blitzblank reiben. Das soll Glück bringen.

Eine Tafel an der Station Sokolniki erinnert an die Eröffnung der Moskauer Metro am 15. Mai 1935. Nachträglich angebracht wurde der Name des riesigen Verkehrsnetzes, das nach Revolutionsführer Wladimir Ilijtsch Lenin benannt ist.
Eine Tafel an der Station Sokolniki erinnert an die Eröffnung der Moskauer Metro am 15. Mai 1935. Nachträglich angebracht wurde der Name des riesigen Verkehrsnetzes, das nach Revolutionsführer Wladimir Ilijtsch Lenin benannt ist.Ulf Mauder/dpa

Die Moskauer schätzen ihre Bahn im Sommer bei Hitze als Ort der Kühlung, im Winter zum Aufwärmen – und als im Großen und Ganzen sicheres und zuverlässiges Verkehrsmittel. Auch ein Unfall, bei dem 2014 Waggons entgleisten und 22 Menschen starben, sowie Terroranschläge taten der Beliebtheit des Verkehrsmittels keinen Abbruch.

Moskauer Metro: Immer noch wird Marmor verbaut

Von allen U-Bahnen in den größten Städten der Ex-Sowjetrepubliken ist Moskau diejenige, die am schnellsten wächst. Feierten die Verantwortlichen es noch 2021 als Sensation, dass auch Frauen als „Maschinist“ Züge steuern durften, reden Planer heute schon vom autonomen Fahren und führerlosen Zügen. Kabelloses Internet und das von Datenschützern argwöhnisch beobachtete Face Pay, bei dem registrierte Passagiere einfach nur mit ihrem Gesicht bezahlen können, gelten längst als Standard.

Und auch heute wird wieder viel Wert auf Design gelegt. Marmor ist damals wie heute ein beliebter Baustoff. Auf der neuen großen Ringlinie spielen Architekten aber oft mit futuristischen Motiven. Und auch die Fahrt in der Kabine eines Metro-Zugs durch die hellen unterirdischen Tunnel mutet an wie in eine Reise in die Zukunft. Bürgermeister Sobjanin will bis 2030 weitere 71,4 Streckenkilometer und 31 Stationen bauen lassen, um, wie er sagt, noch mehr Menschen aus der staugeplagten Stadt von der Straße in die Metro zu locken.