Neuwahlen sofort?

Konstruktives Misstrauensvotum: So könnte Merz Kanzler Scholz stürzen

Oppositionsführer Friedrich Merz könnte den Regierungschef herausfordern, um selbst Kanzler zu werden. Dafür könnte es sogar eine Mehrheit geben. Doch auf der Weg lauert eine Falle.

Author - Joane Studnik
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Der eine ist Bundeskanzler, der andere möchte es gerne werden: Olaf Scholz (SPD,l), verfolgt eine Rede von Friedrich Merz, CDU Bundesvorsitzender und CDUCSU Fraktionsvorsitzender im Bundestag.
Der eine ist Bundeskanzler, der andere möchte es gerne werden: Olaf Scholz (SPD,l), verfolgt eine Rede von Friedrich Merz, CDU Bundesvorsitzender und CDUCSU Fraktionsvorsitzender im Bundestag.dpa/Michael Kappeler

Oppositionsführer und CDU-Chef Friedrich Merz sieht seine Stunde gekommen: Die Regierung von Kanzler Olaf Scholz (SPD) steht nach dem Bruch der Ampel-Koalition ohne Mehrheit da. Es gibt ein Instrument, mit dem Merz seinen Rivalen unmittelbar stürzen könnte: das sogenannte konstruktive Misstrauensvotum. Mit diesem Verfahren kam der langjährige CDU-Kanzler Helmut Kohl 1982 an die Macht, doch Kanzlerkandidat Friedrich Merz traut sich nicht, das Risiko einzugehen. Dafür gibt es Gründe: Es könnte der Union zum Verhängnis werden!

Breite Mehrheit will baldige Neuwahlen, doch niemand kann Kanzler Scholz zur Vertrauensfrage zwingen

Eine Regierung ohne eigene Mehrheit: das ist auch in Deutschland nichts Neues. In Thüringen hat gerade Bodo Ramelow (Linke) eine ganze Legislatur mit einer Minderheitsregierung durchgestanden, in anderen Ländern wie Dänemark hat das Regieren mit wechselnden Mehrheiten Tradition. Doch auf Bundesebene gibt es in Deutschland wenig Risikofreude: Man will feste Mehrheitsverhältnisse, die Parteien pochen auf Fraktionsdisziplin. Doch was lange galt, zerbröselt derzeit: das BSW hat sich von der Linken abgespalten, Volker Wissing ist aus der FDP ausgetreten, um mit SPD und Grünen weiter zu regieren, bis 2025 neu gewählt wird, nicht vor März, geht es nach Kanzler Scholz.

Das will Oppositionsführer Merz verhindern: Er drängt auf baldige Neuwahlen und hat damit laut einer aktuellen Umfrage die Unterstützung von zwei Dritteln der Bevölkerung. Kommende Woche schon solle Scholz die Vertrauensfrage stellen, fordert Merz. Verlöre er diese und würde Bundespräsident Steinmeier das Parlament auflösen, müsste binnen 60 Tagen ein neues Parlament gewählt werden – also spätestens Mitte Januar 2025.

Der Haken: Niemand kann Kanzler Scholz zwingen, die Vertrauensfrage zu einem bestimmten Zeitpunkt zu stellen. Er selbst hat angekündigt, dies am 15. Januar zu tun – bis dahin wolle die Regierung noch wichtige Vorhaben der Regierung durchs Parlament bringen. Ob er dafür eine Mehrheit finden wird oder nicht, bleibt unklar. Noch ungewisser ist allerdings, ob sich im Parlament eine Mehrheit gegen die Rumpf-Regierung von Kanzler Scholz formieren könnte.

CDU-Chef Merz ist Umfragen-Sieger, aber von einer Mehrheit im Parlament weit entfernt

In Umfragen kommt die Union derzeit auf Werte von bis zu 36 Prozent. Merz gibt sich siegesgewiss, aus Neuwahlen als klarer Sieger hervorzugehen. Kanzler Scholz wurde verspottet, als er sich zuletzt selbst gute Siegeschancen ausrechnete. Aber bis gewählt wird, zählen alleine die Mehrheitsverhältnisse im Parlament.

Die Mehrheitsverhältnisse im aktuellen Parlament: Um Beschlüsse mit absoluter Mehrheit zu fassen oder den Kanzler zu stürzen, braucht es mindestens 367 Stimmen.
Die Mehrheitsverhältnisse im aktuellen Parlament: Um Beschlüsse mit absoluter Mehrheit zu fassen oder den Kanzler zu stürzen, braucht es mindestens 367 Stimmen.dpa infografik

Die Minderheitenregierung aus Grünen und SPD kommt im Parlament zusammen auf 324 Stimmen. Um Beschlüsse mit absoluter Mehrheit durchs Parlament zu bekommen, bräuchte sie also mindestens 43 Stimmen mehr. Diese könnten von der FDP, Union, der Linken, dem BSW, der AfD oder fraktionslosen Abgeordneten kommen. Geht es um außenpolitische Entscheidungen, Rente oder Steuern, kann es durchaus im Interesse von Oppositionsangehörigen liegen, Gesetze nicht zu blockieren. Merz macht allerdings eine Unterstützung der Unions-Fraktion davon abhängig, dass Scholz kommende Woche die Vertrauensfrage stellt.

Konstruktives Misstrauensvotum: zweimal hat es die die Union bereits versucht, einmal mit Erfolg

Aber wie sieht es aus, wenn die Union Gesetze blockiert, die der eigenen Wählerschaft zugute kommt? Zur Abstimmung soll beispielsweise ein Gesetz zum Ausgleich der kalten Progression in der Einkommenssteuer kommen. Es stammt aus dem Finanzministerium, wurde im Bundeskabinett beschlossen und könnte auch von der FDP mitgetragen werden, was beispielsweise Ex-Bundesjustizminister Buschmann bereits ankündigte. In dem Falle würde die Union als Blockadepartei unangenehm auffallen – und wäre dafür im kommenden Wahlkampf angreifbar.

Das könnte sich wiederum Friedrich Merz ersparen, würde er auf das Instrument des konstruktiven Misstrauensvotums zurückgreifen, wie es die CDU schon zweimal tat: 1972 erfolglos unter Rainer Barzel, 1982 erfolgreich unter Helmut Kohl. Damals reichten die Stimmen von CDU, CSU und FDP zusammen allerdings aus, um Kanzler Helmut Schmidt zu stürzen. Nun sieht die Lage für die Union aber deutlich schwieriger aus: Mit 196 Sitzen ist die Union weit von einer Kanzlermehrheit entfernt.

Zusammenarbeit der Union mit der AfD wäre ein Tabubruch – würde SPD und Grünen in die Karten spielen

Wie der meist gut informierte Journalist Robin Alexander im Podcast „Machtwechsel“ verriet, soll es in der Union tatsächlich Überlegungen gegeben haben, Zurückweisungen an den Grenzen mit Stimmen der Union zusammen mit AfD, BSW, FDP durchzusetzen. Dazu kam es nicht, weil die Union eine Zusammenarbeit mit der in weiten Teilen rechtsextremen AfD kategorisch ausschließt. Selbst wenn sie diesen Tabubruch unternehmen würde, würde die Union zusammen mit der AfD im derzeitigen Bundestag keine Mehrheit zustande bringen; sie bräuchten die Unterstützung der FDP, was als unrealistisch gilt.

Dazu kommt, dass ein solcher Tabubruch im Wahlkampf SPD und Grünen in die Karten spielen würde, die die Union damit als Gefahr für die Demokratie dämonisieren könnten. Um gar nicht erst den Verdacht solcher Überlegungen aufkommen zu lassen, lenkte Friedrich Merz Nachfragen zu einem konstruktiven Misstrauensvotum im ARD-Brennpunkt auf eine denkbare grün-schwarze Mehrheit, die es aber schon rechnerisch im Parlament nicht gibt: beide Parteien bräuchten wiederum Unterstützung von FDP oder SPD, was als ebenso abstrus gilt.

Umfragen-Sieger zu sein, reicht also nicht, um daraus den Anspruch aufs Kanzleramt zu begründen: Dort sitzt bis auf weiteres Olaf Scholz. Friedrich Merz kann ihn öffentlichkeitswirksam bedrängen, aber ihm fehlen Macht, Mut und Mehrheit, den Kanzler zu stürzen.