Hertha-Kolumne

Zeitenwende bei Hertha BSC: Das Aus von Tom Herrich beendet wilde Ära

Das Boss-Beben und die Folgen: Der letzte Macher aus der Epoche unter Werner Gegenbauer muss gehen. Damit wächst der Druck auf Fabian Drescher.

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Ein Bild von 2012: Tom Herrich, Michael Preetz und Werner Gegenbauer. Nach Herrichs Rücktritt sind alle drei Macher bei Hertha BSC Geschichte.
Ein Bild von 2012: Tom Herrich, Michael Preetz und Werner Gegenbauer. Nach Herrichs Rücktritt sind alle drei Macher bei Hertha BSC Geschichte.Matthias Koch/imago

Dieser Mann hat eine Ära geprägt: Marcelo dos Santos Paraiba, genannt Marcelinho. Am zurückliegenden Sonntag feierten ihn 48.000 Zuschauer im Olympiastadion vor dem Zweitligaduell der Hertha gegen die SpVgg Greuther Fürth. Der Brasilianer, der am 17. Mai seinen 50. Geburtstag feiern wird, wurde von Hertha BSC zum „Fahnenträger“ ernannt. Das ist eine spezielle Ehrung für besonders verdienstvolle Spieler. Er steht nun in einer Reihe mit den anderen Legenden Gabor Kiraly, Erich Beer, Marko Rehmer und Eyjölfur Sverrisson.

Marcelinho verzückte zwischen 2001 und 2006 Fußball-Berlin mit seinen Toren, seinen Tricks, seinem Spielwitz, auch seiner Lebensfreude und Verrücktheit. Seine Bilanz ist überragend: in 155 Bundesligaspielen für Hertha schaffte er 65 Tore und gab 49 Assists. Eine glanzvolle Ära, an die sich alle bei Hertha, auch der Kolumnenschreiber, liebend gern erinnern.

Hertha BSC: Neuendorf und Herrich drohte Rauswurf

Schon zu Zeiten von Marcelinho trug ein verdienstvoller Herthaner aus der Führungsriege des Klubs bereits Verantwortung, dessen Ära aber gerade zu Ende geht: Thomas E. Herrich. Das wurde mit einem „Beben“ in der Vereinsspitze beschrieben. Herrich, zuletzt drei Jahre in herausfordernden sportlichen wie wirtschaftlichen Krisenzeiten Geschäftsführer, wird seinen laufenden Vertrag nicht mehr erfüllen und nun beenden. 25 Jahre stand Herrich in Diensten der Blau-Weißen, lange Zeit eher im Hintergrund als Geschäftsstellenleiter, später als Mitglied der Geschäftsleitung und schließlich als Geschäftsführer. Nur weniger Tage zuvor hatte mit Andreas „Zecke“ Neuendorf ein populäres Gesicht des Klubs seinen Rücktritt erklärt. Als Profi schaffte er 149 Erstligaspiele für Hertha, später war er zehn Jahre als Nachwuchstrainer im Verein tätig und wurde schließlich zum Direktor Lizenzspieler und Akademie befördert, eine Doppelfunktion, die ihn zunehmend überforderte. Neuendorf und Herrich kamen beide wohl der vom Klub angestrebten Trennung zuvor.

Hertha BSC: Druck auf Fabian Drescher wächst

Mitte März, die Mannschaft stand am Abgrund zur Dritten Liga, ging ein Schreiben an alle 58.000 Vereinsmitglieder, in dem zum Zusammenhalt aufgerufen und nach Saisonende eine „schonungslose Analyse der sportlichen Situation“ angekündigt wurde. Die ist nun bereits voll im Gange. Viele glaubten nicht unbedingt daran, dass das siebenköpfige Präsidium um Präsident Fabian Drescher die ebenfalls angekündigte „zukünftige strategische Neuausrichtung des Vereins“ auch personell so konsequent durchziehen wird. Nach Jahren der sportlichen Stagnation samt drohender Drittklassigkeit ist das aber dringend notwendig.

Aus fünf wurden zwei: Sportdirektor Benjamin Weber (2.v.l.) und Präsident Fabian Drescher (r.) halten nach dem Aus von Pal Dardai (l.), Zecke Neuendorf (M.) und Tom Herrich bei Hertha BSC die Fahne hoch.
Aus fünf wurden zwei: Sportdirektor Benjamin Weber (2.v.l.) und Präsident Fabian Drescher (r.) halten nach dem Aus von Pal Dardai (l.), Zecke Neuendorf (M.) und Tom Herrich bei Hertha BSC die Fahne hoch.Nordphoto/imago

Fakt ist, dass vor allem das Ende der „Ära Herrich“ an ähnlich einschneidende Maßnahmen in der Vergangenheit erinnert, die vor allem drei Führungskräfte betrafen. Die besaßen allerdings eine größere Strahlkraft als der gewissenhafte Konsolidierer und erfolgreiche Sanierer Herrich: Dieter Hoeneß, Michael Preetz und Werner Gegenbauer.

Boss-Beben: Jetzt braucht Hertha BSC neue Macher

Dieter Hoeneß, unter dessen Ägide als Manager und späterer Vorsitzender der Geschäftsführung, Ende der 1990er-Jahre überhaupt erst professionelle Strukturen eingeführt wurden, kann in seiner Zeit auf das Erreichen der Champions League 1999 und sieben Teilnahmen im Uefa-Cup verweisen. 2009, nach 13 meist erfolgreichen Jahren, kam es zur Trennung. Meinungsverschiedenheiten mit Präsident Werner Gegenbauer, Kritik am Führungsstil und der wirtschaftlichen Ausrichtung wurden damals angeführt. Unternehmer Gegenbauer, der zwischen 2008 und 2020 viermal zum Präsidenten gewählt wurde (zuletzt aber nur noch 54 Prozent der Stimmen bekam) rieb sich im Machtkampf mit Großinvestor Lars Windhorst auf und trat 2022 zurück.

Genau wie Gegenbauer prägte auch Manager Michael Preetz eine Ära – zuerst als Rekordtorjäger des Vereins und ab 2009 als Manager. Im Januar 2021 – nach 25 Jahren im Verein – war Schluss, als das hoch bezahlte Team Richtung Relegationsrang abgerutscht war. Fazit: Auch lange erfolgreiche Macher sind im Profifußball vor schmerzhaften Trennungen nicht gefeit.

Zurück zum gefeierten Marcelinho, der untrennbar zur „Ära Hoeneß“ gehört. Ich würde sogar eine Wette eingehen und behaupten, mit einem Marcelinho in Glanzform wäre Hertha 2025 durch die Zweite Liga gefegt oder zuvor gar nicht erst abgestiegen … ■