Es soll ja Fußballfans geben, die Hertha BSC nicht unbedingt wohlgesonnen sind. Von dieser Klientel stammt der hämische Spruch „Willst Du Hertha oben sehen, musst Du die Tabelle drehen!“
Dieses Bonmot aus den 1990er Jahren hat derzeit bei Zweitligist Hertha seine Gültigkeit verloren. Nimmt man lediglich die Tabelle der 1. Halbzeit ist das Team von Trainer Pal Dardai sogar Spitzenreiter! Aber es gehören ja noch immer zweimal 45 Minuten zu einem Fußballspiel. Besserung ist in Sicht: Zuletzt schoss die Mannschaft gegen den SV Elversberg (5:1) drei Tore nach der Pause, am Sonnabend beim 2:1-Sieg in Kaiserslautern beide Treffer nach der Halbzeit-Ansprache …
Hertha BSC sorgt für Spektakel
Diese „Erste-Halbzeit-Rangliste“ und viele andere interessante „Spielereien“ wie etwa „Die Wahre Tabelle“, die Fehlentscheidungen der Schiedsrichter bewertet und in die Endergebnisse einfließen lässt, bieten Stoff für Stammtischdiskussionen und der Fußball ist sowieso eine herrliche Spielwiese für Statistiker. Auch ich habe gerade eine ganz persönliche Tabelle kurzerhand geändert. Meine Top Ten der „emotionalsten Hertha-Spiele“ hat endlich Zuwachs erhalten.

Das Pokal-Drama in der vorigen Woche gegen den Hamburger SV gehört fortan in diese Rangliste. Seit 1990 habe ich unzählige Duelle der Hertha hautnah erleben können, der jüngste Auftritt der talentierten Mannschaft löste auf Rasen und Rängen heftige Emotionen aus, weil die Dramaturgie unglaublich spannend war, die Mannschaft immer bis zur letzten Sekunde kämpfte und an sich glaubte.
Hertha-Spiele liefern Emotionen pur
Wenn ein Team wie Hertha gegen den HSV zweimal wie der sichere Verlierer aussieht und in der 90. Minute der regulären Spielzeit und später in der 120. Minute der Nachspielzeit zurückkommt, ist das schon außergewöhnlich. Dieser Triumph im Elfmeterschießen war deshalb so unglaublich wichtig, weil die Mannschaft sich selbst bewiesen hat, zu welch Leistungen sie fähig ist. Sie hat es allen Skeptikern gezeigt und heftige Widerstände überwunden. Der überragende Flügelflitzer Fabian Reese ordnete den Auftritt euphorisch so ein: „Ein Spiel für das man lebt, für das man Fußball spielt!“
In meine persönliche Rangliste der „emotionalsten Hertha-Spiele“, der Top Ten, hat das Spektakel nun Einzug gehalten. Im Gegenzug habe ich einen bemerkenswerten Auftritt aus dem Dezember 2002 im Uefa-Cup auf Rang 11 verwiesen: ein überaus hart erkämpftes 0:0 beim FC Fulham an der Londoner Loftus Road. Ich sehe noch einige Szenen vor mir. Innenverteidiger Josip Simunic musste schon nach acht Minuten mit einem schmerzhaften Kieferbruch vom Platz und ins Krankenhaus. Keeper Gabor Kiraly, nach einem Luftduell stark angeschlagen mit lädiertem Becken, hielt oft schier unhaltbare Bälle. Vor dem Rückflug wurde er auf dem Londoner Flughafen Gatwick im Rollstuhl transportiert. Nichts ging mehr.
Auf Platz eins meiner Liste thront noch immer das Zweitliga-Duell (!) zwischen Hertha und dem 1. FC Kaiserslautern (2:0) vom 7. April 1997. Dieses hochemotionale Spiel war der grandiose „Türöffner“ für den langersehnten Aufstieg nach Jahren der Tristesse. Zum ersten Mal nach 18 Jahren war ein Hertha-Heimspiel mit 75.000 Zuschauern wieder ausverkauft, die Euphorie riesengroß.
Hertha muss Pokal-Euphorie in die Liga mitnehmen
Ähnliche Duelle im DFB-Pokal wie das in der vorigen Woche, in denen Hertha im allerletzten Moment zuschlagen konnte, gab es schon: Im Oktober 2003 beim 6:5-Sieg nach Elfmeterschießen beim FC Hansa Rostock und im Oktober 2019 warf Hertha Dynamo Dresden mit 5:4 im Elfmeterschießen aus dem Wettbewerb. Damals besaß Hertha gestandene Mannschaften, derzeit spielt man mit einer blutjungen Truppe, was den Erfolg umso bemerkenswerter macht.
Der jüngste Pokalauftritt sollte jetzt als Vorbild für die weitere Zweitligasaison gelten. Das Team weiß nun, dass es viele Hürden überwinden kann. Und ich hätte nichts dagegen, noch weitere Duelle in meine Rangliste der „emotionalsten Hertha-Spiele“ aufzunehmen. Solche Tabellen sind ja nicht in Stein gemeißelt.