Es gibt viele Fotos von Hertha-Spielern, die Zeitgeschichte widerspiegeln. Auf einem solchen Dokument breitet Torjäger Michael Preetz seine Arme wie Adlerschwingen aus und jubelt über einen seiner drei Treffer im mit 6:1 gewonnenem Spiel gegen den Hamburger SV. Er trägt das blau-weiß quergestreifte Trikot mit der großen roten Rückennummer 11. Das passierte im Mai 1999.
Hertha BSC im Sondertrikot gegen Kaiserslautern
Wenn Hertha BSC am Sonnabend im letzten Heimspiel dieser Saison den 1. FC Kaiserslautern im Olympiastadion empfängt, läuft das Team in eben diesen, neu aufgelegten Sondertrikots auf. Das Duell soll im Zeichen der 1990er-Jahre stehen, in denen 1997 der Aufstieg in die Erste Bundesliga gelang und schon zwei Jahre später die Champions League erreicht wurde. Als Hommage an diese Zeit werden die Reeses, Kennys oder Winklers in ähnlichen Trikots spielen, in denen einst Pal Dardai, Michael Preetz oder Eyjölfur Sverrisson die Fans begeisterten.
Der Gegner Kaiserslautern passt haargenau für diesen Rückblick, weil Hertha im April 1997 den 1. FCK mit 2:0 bezwang und der lang ersehnte Aufstieg zum Greifen nahe war. Zum ersten Mal seit 1979 war das Olympiastadion mit 75.000 Zuschauern bei einem Hertha-Spiel wieder ausverkauft. Auch für mich gehört dieses legendäre Spiel zu den emotionalsten Duellen, die ich mit Hertha erleben konnte. Dieser Fußball-Abend läutete eine neue Zeitrechnung im Verein ein.
Hertha BSC weit entfernt von glorreichen Zeiten
Die Sondertrikots erinnern nun an diesen Abschnitt der Klubgeschichte. Doch die Zeiten haben sich geändert. Kaiserslautern steht am 25. Mai im DFB-Pokalfinale gegen die Übermannschaft von Bayer 04 Leverkusen. Hertha aber hatte im Viertelfinale des Pokalwettbewerbs nach schwacher Leistung gegen die „Roten Teufel“ den Traum vom Cupfinale im „eigenen Wohnzimmer“ wieder einmal leichtfertig verspielt.
Die Hertha 2023/24 ist qualitativ meilenweit von den Protagonisten unter Trainer Jürgen Röber entfernt. Was das Team dennoch gemeinsam hat mit den Klub-Ikonen, die in den quer gestreiften Trikots einst dem FC Bayern das Fürchten lehrten und im Camp Nou in Barcelona oder dem San Siro in Mailand aufspielten, ist der Zusammenhalt im Team und die funktionierende Kabine. „Wir haben eine Atmosphäre, wie sie lange Jahre nicht mehr bei Hertha war“, schwärmt Pal Dardai, „alle Spieler wollen bleiben.“
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— Hertha BSC (@HerthaBSC) April 28, 2024
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Passend zu dieser Aussage sind die jüngsten „Liebesbeweise“ von Profis, von denen man das nicht unbedingt erwarten konnte. Der Grieche Andreas Bouchalakis, der mit Anpassungsproblemen an die Zweite Liga in Deutschland zu kämpfen hat und stets um seinen Stammplatz bangen muss, sagte jüngst „Ich will es bei Hertha schaffen. Dafür werde ich jeden Tag hart arbeiten.“
Kapitän Toni Leistner, dem es ähnlich wie Bouchalakis ging, gab zu Protokoll: „Ich habe hier für zwei Jahre unterschrieben – für ein Projekt, das ich auch nächstes Jahr mit angehe.“ Auch der Engländer Jonjoe Kenny, wegen seines sehr gut dotierten Vertrags immer wieder ein Verkaufskandidat, sagt derzeit: „Ich spüre hier Liebe und Vertrauen. Natürlich kann ich mir vorstellen, hier nächstes Jahr aufzusteigen.“
Leihspielern belasten Hertha-Budget
Hertha hat nun ein Luxusproblem. Alle wollen angeblich noch einmal die „Ochsentour“ durch die Zweite Liga antreten, um im Mai 2025 den Aufstieg zu feiern. Die Krux: Hertha muss auch erneut stattliche Einnahmen über den Verkauf von Profis erwirtschaften. Sportdirektor Benjamin Weber – so meine Hoffnung – wird sich dabei auf den endgültigen Verkauf der Leihspieler konzentrieren: Myziane Maolida (Hibernian Edinburgh), Suat Serdar (Hellas Verona), Kelian Nsona (MSK Zilina) und Wilfried Kanga (Standard Lüttich).
Wenn die Herthaner am Sonnabend die Retro-Trikots tragen, bleibt zu hoffen, dass die wunderbaren Fans nicht etwa ihre Lieblinge Fabian Reese und Haris Tabakovic zum letzten Mal bei einem Heimspiel erleben. Bei einem sicher lukrativen Verkauf der beiden hätte der nostalgische quergestreifte Dress kein Glück gebracht.