
Es fühlt sich befremdlich an, mit Wera Blanke über ihren Tod zu sprechen. Viel zu viel Leben ist da um sie herum. Termine die besucht, Bücher die gelesen, Mails die beantwortet werden wollen. Zweimal pro Woche in die Muckibude, gerade erst ist sie von einer Reise zurückgekehrt. Wera Blanke ist 92 Jahre alt. Und ihr derzeit spannendstes Projekt ist das Erzählen von einer neuen Form der Beerdigung. In ein paar Wochen wird sie auf Esperanto einen Vortrag zum Thema „Reerdigung“ halten.
„Reerdigung“ heißt ein Konzept, das von Berlin aus mittlerweile in ganz Europa Anklang und Nachahmer findet. Schleswig-Holstein ist bisher aber das einzige Bundesland, in dem seit einigen Jahren Menschen nach ihrem Tod innerhalb von 40 Tagen in einem Behälter – Kokon genannt – wieder zu humusartiger Erde werden, die dann auf einem Friedhof bestattet wird. Das ist dann auch wieder in anderen Bundesländern möglich. Derzeit drei.
„Eigentlich habe ich vorher nie darüber nachgedacht, was mit meinem Körper passiert, wenn ich tot bin“, erzählt Wera Blanke. „Es war beschlossene Sache, ich komme in die vierte Urne im Familiengrab, man brauchte gar nicht groß darüber reden.“ Doch nun sei der Gedanke, einmal nicht verbrannt werden zu müssen, besonders reizvoll.
Wera Blanke würde ihren Körper nach ihrem Tod auch gern wieder in den Kreislauf der Natur geben. Doch in Berlin verhindert das bisher die Politik und eine konservative Bestatter-Lobby.
In Fontanes Ballade vom Herrn Ribbeck im Havelland lässt der verblichene Gutsherr einen Birnbaum auf sein Grab pflanzen. In den Birnen, die Jahre später aus der Erde wachsen, steckt immer auch ein Stück seiner Güte, so wird der Wohltäter unsterblich. Der Gedanke ist so alt wie tröstlich. Schon in der Bibel heißt es „Erde zu Erde“. Doch so einfach ist das gar nicht.
Ökologisch korrekt auch nach dem Tod
Seit Wera Blanke aus der Zeitung von der Möglichkeit erfahren habe, ihren Körper nach dem Tod ökologisch korrekt und ohne Rückstände innerhalb einer kurzen Zeitspanne transformieren zu lassen, ist der Weg für sie klar.
Auch wenn die Reerdigung selber aktuell nur in Schleswig-Holstein möglich ist. Für Wera Blanke wäre dies also eine Notlösung: erst in Schleswig-Holstein zu Erde werden und dann in Mecklenburg-Vorpommern beigesetzt werden. Neben Hamburg und Schleswig-Holstein ist das Ostbundesland das dritte, in dem Bestattungen der neuen Erde möglich sind.
Es gibt weitere Faktoren, die Wera Blanke an den herkömmlichen Bestattungsmethoden nicht gefallen: „Der Energieverbrauch im Krematorium geht mir gegen den Strich“, sagt sie. Auch, dass wertvolles Biomaterial aus menschlichen Körpern ungenutzt einfach weggegeben werde, anstatt es dem Kreislauf wieder zuzuführen, sei nicht nachhaltig. Und schließlich sei da auch noch die Frage der Grabpflege. „Das ist aufwendig, wenn die Kinder anderswo leben“, sagt sie. „Keiner in unserer Familie braucht einen Ort, um zu trauern.“
Bestattungstrend zurück zur Natürlichkeit
Die Reerdigung füllt eine Lücke, die besonders Menschen anspricht, die schon zu Lebzeiten viel Wert auf Nachhaltigkeit legten. Bio-Bestattung sagen deshalb einige dazu, im angelsächsischen Raum ist der Begriff Kompostierung verbreitet.
Menschen mit einem Garten wissen, dass der Kompost der Schatz des Gartens ist: Er wird gehegt und gefüttert, weil er die Grundlage für neues, starkes Wachstum und Leben ist. Ebenso kann es mit den Körpern von Verstorbenen geschehen.
„Die Menschen wollen zurück zu Ur-Instinkten, zur Natürlichkeit“, glaubt Gründer Pablo Metz. Mit dem Unternehmen „Meine Erde“ hat er von Neukölln aus das erste Reerdigungs-Angebot in Deutschland ins Leben gerufen. „90 Prozent der Menschen in Berlin entscheiden sich mittlerweile für eine Feuerbestattung, doch das Brachiale des Feuers, die Proportionen, die irgendwie nicht stimmen, schrecken viele eigentlich ab.“ Doch bezahlbare Alternativen gibt es im christlichen Kulturkreis bisher nicht – bis auf die klassische Erdbestattung mit einem schweren und teureren Sarg.
Dabei werden die Körper, wenn man sie begräbt, von allein wieder zu Erde. Tiere, Pflanzen und auch Menschen sind biologisch abbaubar. Je nach Region und Umweltbedingungen geht das schneller oder dauert es länger.
Sicher, ökologisch und naturverbunden
Bei der Reerdigung wird der natürliche Prozess der Zersetzung durch Mikroorganismen sowie die Parameter Temperatur und Luftfeuchtigkeit technisch überwacht und genau gesteuert. In einem Behälter wird der Körper des Verstorbenen auf ein Bett aus Heu und Stroh gelegt, dann wird der Kokon vierzig Tage lang verschlossen.
Die Mikroorganismen, die zu Lebzeiten unseren Körper bevölkern und gesund halten, sorgen nach dem Tod dafür, dass er wieder zu fruchtbarer Erde wird, vorausgesetzt, dass die äußeren Bedingungen stimmen. Anders als bei einer Bestattung im Sarg, wo keine Luft zirkuliert und Leichname teilweise jahrzehntelang nicht verwesen, entstehen im Kokon Temperaturen bis 70 Grad Celsius. Krankheitserreger und Keime werden so abgetötet.
Chemikalien oder Insekten kommen bei der Reerdigung nicht zum Einsatz. Zurück bleibende Knochen werden mit der Erde gemahlen, bevor die neue Erde auf einem Friedhof in die aktive Bodenschicht eingebracht wird, wo sie ihre Nährstoffe an die Pflanzen weiterreichen kann.

Am liebsten wäre es Wera Blanke, wenn einmal eine Buche aus ihrer Erde wachsen würde. Ein Baum aus dem Kindheitswald in der bayerischen Heimat. Eine Heimat, die Blanke mit 23 Jahren in Richtung neu gegründeter DDR verließ. Hier hat sie Leben für drei geführt: Von der Schauspielschule in Berlin über Leipzig, wo sie im Theater der Jungen Welt auf der Bühne stand, mit Stationen in Altenburg und Weimar, fand sie schließlich in der Arbeit als Arbeits- und Gestaltungstherapeutin mit psychisch Kranken ihre Erfüllung. Seit 50 Jahren spricht und nutzt Wera Blanke die Weltsprache Esperanto. Mehr als 30 Jahre lang hat sie sich um die Prinzipien guter Terminologiearbeit für die Plansprache bemüht. Sterben heißt auf Esperanto morti. Erde heißt tero. Re-Erdigung heißt Re-Terigo.
Doch bis in Berlin „Re-Terigo“ möglich ist, kann es noch dauern. Dass es in dieser Legislaturperiode noch etwas wird, mit dem Reerdigen in Berlin, glaubt Wera Blanke nicht. Doch politische Verhältnisse ändern sich. Bisher setzt sich immerhin die SPD für die neue Bestattungsform ein. In der vergangenen Woche hat die SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus daher zu einem Fachgespräch über die Einführung der Bestattungsform Reerdigung in Berlin eingeladen. Vertreter aus Politik, Kirche, von Friedhöfen, aus der Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Bestattungswesen tauschten sich aus.
Dr. Marcus Schwarz, Studienleiter am Institut für Rechtsmedizin der Universität Leipzig stellte die Ergebnisse der morphologischen, toxikologischen, mikrobiologischen und bodenkundlichen Untersuchungen von inzwischen 37 durchgeführten Reerdigungsprozessen vor. Das Fazit: Eigentlich gibt es nichts, das gegen die Umwandlung eines Körpers in humusartige Erde spricht.
SPD setzt sich für Reerdigung in Berlin ein
Die SPD-Fraktion will sich denn auch dafür einsetzen, dass die Reerdigung so schnell wie möglich in Berlin erlaubt wird. „Wir erwarten von unserem Koalitionspartner CDU, dass er sich mit diesen Ergebnissen befasst und den Weg frei macht für die Zulassung der Reerdigung“, sagte Lars Düsterhöft, der sozialpolitische Sprecher der SPD-Fraktion.
Jeden Tag sterben 2500 Menschen in Deutschland. Berlin kann sich entscheiden, ob es einen umweltverträglichen, neuen Umgang mit Verstorbenen wagen will. Schon 5000 Menschen haben eine Petition der Trauerrednerin Lisa Hintzke dazu unterzeichnet.