Eltern finden keine Ruhe

Jeden Tag am Grab - Vater zerbricht am Tod seiner Tochter

Fabien Martini (21) starb bei einem Polizeicrash vor siebeneinhalb Jahren. Nun ermittelt die Polizei gegen den Vater, weil er am Gedenkort randalierte.

Author - Katrin Bischoff
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Britta und Christian Martini im Gedenkort für ihre Fabi in Berlin-Mitte.
Britta und Christian Martini im Gedenkort für ihre Fabi in Berlin-Mitte.A.S./Ostkreuz

Jeden Tag geht er denselben Weg. Seit mehr als sieben Jahren fährt Christian Martini zum Friedhof in Reinickendorf. Dort liegt seine Tochter Fabien. Sie war 21, als sie starb. Ihr Vater redet mit ihr am Grab. Manchmal trinkt er ein Bier. Aber der Schmerz wird nicht kleiner. Danach zieht es ihn oft noch an die Grunerstraße in Mitte – dorthin, wo Fabi 2018 starb. Heute erinnert dort eine Stele an die junge Frau.

Am 10. September war er wieder da. Zwei Stunden am Grab, dann mit der U-Bahn zum Alexanderplatz. Gegen 23 Uhr stand er an der Stele. Er verharrte. Dann wurde aus Trauer Wut. Martini schlug gegen den Bauzaun. Immer wieder. Ein Streifenwagen hielt. Polizisten stiegen aus. „Hören Sie auf.“ Was dann geschah, darüber gibt es zwei Geschichten. Die der Beamten. Und die des Vaters. Am Ende: Anzeige gegen die Polizisten wegen Körperverletzung. Ermittlungsverfahren gegen ihn selbst wegen Widerstands, Beleidigung, Bedrohung.

Zwei Wochen später steht Christian Martini wieder an der Stele. Diesmal mit einer Rose. Neben ihm Britta, seine Frau. Sie streicht ihm über den Arm: „Christian ist manchmal so wütend. Trotz seiner Wut ist er aber nie handgreiflich geworden.“

Ein Polizeiwagen rast vorbei. Martini schaut ihm nach: „Ob sie im Dienst sind oder nicht, sie heizen hier immer lang.“ Dann steckt er die Rose an die Stele. Britta legt den Kopf an seine Schulter. Sie sind Eltern, die um ihr Kind trauern.

Der Unfall erschütterte damals ganz Deutschland. Am 29. Januar 2018 wollte Fabien mit ihrem Renault Clio in den Rathauspassagen ein Geschäftskonto eröffnen. Sie bog langsam von der mittleren Spur der Grunerstraße nach links zu den Parkplätzen auf der Mittelinsel.

Doch aus dem Tunnel raste ein Polizeiwagen heran – 132 Kilometer pro Stunde schnell, Blaulicht, Martinshorn. Einsatz wegen eines Raubüberfalls, der sich als Fehlalarm herausstellte. Mit Tempo 91 krachte der Wagen in Fabien Martinis Auto. Sie starb noch am Unfallort.

Fabien Martini war 21 Jahre alt, als sie starb.
Fabien Martini war 21 Jahre alt, als sie starb.Markus Wächter/Berliner Kurier

Die Eltern hätten vielleicht irgendwann Frieden gefunden. Doch es gab diesen Verdacht: War der Fahrer des Streifenwagens betrunken? Direkt nach dem Crash wurde kein Alkoholtest gemacht. Erst ein Jahr später kam ein Hinweis aus der Charité. Doch die Patientenakte durfte nicht verwendet werden. Der Polizist verweigerte die Freigabe. Am Ende wurde er wegen fahrlässiger Tötung verurteilt: Geldstrafe von 12.900 Euro. Keine Rede von Alkohol. Die Revision der Eltern – abgewiesen.

Seitdem bestimmt Wut das Leben von Christian Martini. Vielleicht erklärt das, was am 10. September passierte.

„Ich habe den Beamten erklärt, dass es mir nicht gut geht. Dass meine Tochter hier von einem Polizisten im Suff totgefahren wurde. Ja, ich habe ihm auch dreimal gesagt, dass sie mich in Ruhe lassen und sich verpissen sollen.“ Dann habe ihn der Polizist mit beiden Händen geschubst, so dass er zu Boden ging. Martini drohte: Wenn er das noch einmal mache, würde er ihm den Schädel einschlagen. Platzverweis. „Die hätten mich niemals mitnehmen können.“ – „Das hätten sie schon“, sagt Britta leise.

Freiwillig ins Röhrchen geblasen: 0,9 Promille

Martini behauptet, der Polizist habe ihm beim Wegfahren noch zwei „Fuckfinger“ gezeigt. Er selbst ging zur Wache, erstattete Anzeige. Blies freiwillig ins Röhrchen: 0,9 Promille. Am nächsten Tag: geprellte Schulter.

Die Polizei erzählt es anders: Martini habe randaliert, beleidigt, den Beamten mit dem Tod gedroht. Er sei auf die Polizisten zugegangen. Daraufhin habe man ihn zurückgestoßen. Er sei über seinen Rucksack gefallen. Da er bekannt war, habe man ihn nicht mitgenommen – um zu deeskalieren.

Die Grunerstraße ist längst umgebaut. Kein Tunnel, keine Mittelinsel. Doch für die Eltern bleibt der Schmerz. Christian: „Ich war bei vielen Therapeuten. Die wollten mir nur Tabletten geben. Eine Trauergruppe habe ich auch versucht. Aber da ging es nicht um Trauer. Deswegen gehe ich jeden Tag auf den Friedhof.“

Bei dem Crash auf der Grunerstraße starb Fabien Martini in ihrem Kleinwagen.
Bei dem Crash auf der Grunerstraße starb Fabien Martini in ihrem Kleinwagen.Moriss Pudwell

Britta trauert leiser: „Ich muss nicht jeden Tag zum Grab gehen, ich denke jeden Tag an Fabi, sie ist immer bei mir.“ Sie ist oft im Garten, schaut dort „Grey’s Anatomy“, Fabis Lieblingsserie. „Da lache ich dann an der Stelle, an der auch Fabi gelacht hätte.“ Doch Geburtstage oder Feiertage reißen sie zurück: „Am Geburtstag habe ich tagelang geweint.“

Sie versucht, rauszugehen, Freundinnen zu treffen. Christian zum mitkommen zu bewegen, sei schwer. „Aber wir respektieren, dass jeder anders trauert.“

Christian legt den Arm um sie. Britta schüttelt den Kopf. Leise sagt sie, sie wolle kein Verfahren gegen ihren Mann. Die vielen Gerichtsprozesse um den Tod ihrer Tochter, die noch nicht zu Ende sind, haben viel Kraft gekostet. „Wir haben einfach keine Reserven mehr.“